Leitsatz (amtlich)

Charakterbestimmender Bestandteil einer sog. Radiouhr, die in einem einheitlichen Gehäuse sowohl einen Rundfunkempfänger als auch eine elektronische Digitaluhr mit einer den Rundfunkempfänger steuernden Weck- und Abschaltautomatik enthält. Ist jedenfalls dann die elektronische Digitaluhr, wenn ihre technische Ausrüstung wesentlich besser und dadurch bedingt auch ihr Wertanteil am Gesamtgerät wesentlich höher ist als die vergleichbaren Werte des Rundfunkempfängers.

 

Normenkette

ZG § 23; ATV 3 b GZT Tarifst. 85.15 A III; ATV 3 b GZT Tarifst. 91.04 A

 

Tatbestand

Die Klägerin beantragte am 22. Mai 1974 die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) über eine von ihr als elektronische Uhr (Uhren/Wecker mit eingebautem Radioteil) bezeichnete Ware. Sie gab an, daß von den Herstellungskosten 68 % auf die Uhr/Wecker und 32 % auf den Radioteil entfielen. Die Beklagten (Oberfinanzdirektion – OFD –) wies die Ware der Tarifst. 85.15 A III des Gemeinsamen Zolltarifs – GZT – zu (… Empfangsgeräte für Rundfunk…). Den dagegen eingelegten Einspruch, mit dem die Klägerin die Zuweisung der elektronischen Uhr zur Tarifst. 91.04 A (Andere Uhren, elektrische und elektronische) beantragte, wies die OFD mit der Begründung zurück, daß die Uhr in dem in einem gemeinsamen Gehäuse eingebauten Rundfunkempfänger lediglich eine Hilfsfunktion ausübe. Der vollwertige Rundfunkempfänger mit einer Spitzenleistung von 1,5 W (wie bei einfacheren Rundfunkempfängern) und einem Klangregler könne durch die zusätzliche Möglichkeit, ihn zu wählbaren Zeiten automatisch ein- und auszuschalten, als verbesserte Alternative konventioneller Weckuhren angesehen werden, er sei jedoch nur u. a. zum Wecken bestimmt. Das Gerät werde auch ausschließlich über den Radiofachhandel vertrieben.

Ihre gegen die Einspruchsentscheidung eingelegte Klage begründet die Klägerin wie folgt: Die elektronische Uhr erfülle vorrangig die Funktion der Zeitanzeige und des Weckens und diene nur hilfsweise dazu, Rundfunksendungen zu empfangen. Charakterbestimmender Bestandteil der zu tarifierenden Ware sei der Uhrteil. Das ergebe sich aus dem Umfang des Uhrteils, seinem Wert und seiner Bedeutung in bezug auf die Verwendung der Ware. Die stark hervortretenden und in ihrer Helligkeit regelbaren Siebensegment-Leuchtziffern beherrschten die Front der Radiouhr gegenüber der Skala des Radioteils. Im Innern des Geräts überwiege ebenfalls das Volumen des Uhrteils. Der Vorrang der technischen Ausstattung der Uhr ergebe sich aus ihrer Qualität, ihrer Ganggenauigkeit, ihrer optimalen Laufruhe sowie ihrer Widerstandsfähigkeit. Die Uhr besitze im Gegensalz zu den bekannten Digitaluhren eine automatische Nullstellung, eine Vorlauf- sowie Schnellvorlaufregelung, eine getrennte Abrufmöglichkeit für die eingestellte Weck- und Abschaltzeit und eine automatische Anzeige, wenn die Uhr mit Batterie betrieben werde. Nach einer Stromunterbrechung und dadurch bedingter Notwendigkeit einer Zeitkorrektur blinke die erste Ziffer solange auf, bis die richtige Zeit wieder eingestellt sei.

Das Wecken erfolge in einem 24-Stunden-Turnus und nicht, wie bei gewöhnlichen Weckern, in einem 12-Stunden-Turnus. Das sei nur bei hochwertigen Geräten der Fall. Der Wecktermin könne durch Tastendruck ohne Veränderung der Weckzeit gesperrt werden. Das Wecken erfolge wahlweise durch Summton oder durch ein vorher eingestelltes Rundfunkprogramm. Bei letzterem werde der Weckvorgang durch eine mit der Weckautomatik gekoppelte Abschaltautomatik spätestens nach 59 Minuten ausgeschaltet. Diese Abschaltautomatik stehe im Zusammenhang mit dem Wecker und sei dem Uhrteil zuzurechnen. Die streitige Radiouhr wolle die Alternative zu bisher üblichen Weckuhren bieten, mittels eines Rundfunkprogramms geweckt zu werden. Der Radioteil übe eine dienende Funktion aus.

Bei einer möglichen Netzunterbrechung übernehme eine Batterie die Stromversorgung für die Uhr, nicht aber für den Radioteil. Daraus ergebe sich, daß die elektronische Uhr von ihrer Verwendungsmöglichkeit her primär für einen Einsatz als Uhr und nur sekundär als Rundfunkempfänger konzipiert worden sei.

Der Uhrteil sei hochwertig und wesentlich besser ausgestattet als der Radioteil (Er enthalte wesentlich mehr Transistoren, Dioden und Schaltplatten als der Radioteil). Der Radioteil enthalte nur die unbedingt notwendigen Elemente. Der Radioteil sei kein vollwertiges Empfangsgerät. Die Empfangsmöglichkeit sei auf den Ultrakurz- und Mittelwellenbereich beschränkt. Es sei nur darauf Wert gelegt worden, daß ein grundsätzlich vertretbarer Empfang erzielt werden könne. Es bestehe keine Möglichkeit, eine Außenantenne anzuschließen. Die Wurfantenne sei eine reine Behelfsantenne. Die Verstärkerleistung betrage nur 1 W.

Die vorherrschende Bedeutung des Uhrteils lasse sich auch daraus ersehen, daß 79,35 % der aufzuwendenden Kosten dem Uhrteil zuzuordnen seien. Die Abweichung der Kostenanteile gegenüber den Angaben im Antrag auf Erteilung einer vZTA beruhe darauf, daß die auf das Gesamtgerät entfallenden Kosten (Netztrafo, Gehäuse, Verpackung) im Verhältnis der auf den Uhrteil zum Radioteil direkt entfallenden Kosten aufgeteilt worden seien. Die Ermittlung des charakterbestimmenden Bestandteils nach dem Wert siehe gleichwertig neben den anderen im Rahmen der ATV 3 b gegebenen Kriterien, wie Umfang, Menge und Gewicht. So habe auch der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 19. Januar 1966 VII 153/61 (BFHE 85, 370, BStBl III 1966, 341) entschieden. Für die Uhr als charakterbestimmender Bestandteil der Radiouhr in bezug auf die Verwendung der Ware spreche auch, daß Radiogeräte mit gleicher Bestückung und technischer Ausstattung zu etwa 10 bis 20 % des empfohlenen Richtpreises zu erhalten seien. Der Käufer einer Radiouhr wolle eine Uhr mit dem Zusatzteil Radio, welches durch die Uhr gesteuert werde. Es solle keine Käuferschicht angesprochen werden, die noch kein Radiogerät besitze, sondern solche Kreise, die eine mit Vorhandenem nur schwer vergleichbare Uhr mit zahlreichen Nebenfunktionen erwerben wollen. Der mitgelieferte Kissenlautsprecher betone den Verwendungszweck als Uhr, indem er das Wecken angenehm gestalte, ohne andere Personen zu stören.

Die streitige Radiouhr werde auch über Kaufhäuser und Vertriebsketten vertrieben. Daß daneben bewußt der Elektrofachhandel mit dem Vertrieb befaßt werde, biete sich deshalb an, weil die Radiouhr mit elektrischem Strom betrieben werde. Im übrigen habe der Verkaufsweg keinen Einfluß auf die Tarifierung.

Die ATV 3 c sei, da die Radiouhr schon nach der ATV 3 b eindeutig der Tarifst. 91.04 A zuzuweisen sei, nicht anwendbar. Die Klägerin beantragt,

  1. 1. die vZTA der OFD München vom 12. Juli 1974 und die Einspruchsentscheidung der OFD München vom 23. September 1974 aufzuheben und
  2. 2. die Radiouhr der Tarifnr. 91.04 des GZT zuzuweisen.

Die OFD beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, daß das Volumen des Radioteils dem des Uhrteils mindestens gleichzusetzen sei, wenn der im Gerät eingebaute Lautsprecher und der dem Radioteil zuzurechnende Kissenlautsprecher in den Vergleich einbezogen würden. Die Radioskala trete zusammen mit den Anzeigen für Lautstärke, Klang, Wellenbereich und Ein-/Aus-Anzeigen für Radio und Automatik gegenüber den Siebensegment-Leuchtziffern optisch derart in den Vordergrund, daß der Eindruck eines Rundfunkempfängers mit besonderer Ausstattung vermittelt werde. Die von der Klägerin herausgestellten technischen Besonderheiten des Uhrteils entsprächen einschließlich der 24-Stunden-Weckeinrichtung und der Siebensegment-Leuchtziffern heute selbstverständlichen Anforderungen. Die Abschaltautomatik sei keine Uhrenfunktion. Der Weckvorgang erstrecke sich nicht bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Radio nach spätestens 59 Minuten automatisch wieder abgestellt werden könne. Die Abschaltautomatik werde auch beim Einschlafen mit Musik benutzt. Bei dem Vergleich der Bauelemente habe die Klägerin offenbar die Funktionen des Kissenlautsprechers und der Abschaltautomatik dem Uhrteil und nicht dem Radioteil zugerechnet. Außerdem ermögliche die Transistorentechnik den Aufbau von Rundfunkempfängern mit relativ wenigen Bauelementen. Es treffe auch nicht zu, daß sich die Ausstattung des Rundfunkteils an der unteren Grenze bewege. Der Radioteil weise neben einer Innenantenne eine Wurfantenne sowie für den Ultrakurzwellenbereich einen AFC-Teil auf. Die Stellung des Lautstärke- und Klangreglers sei auch an der Frontseite des Geräts ersichtlich gemacht. Auch ein von der Klägerin vertriebenes Kofferradio habe eine Ausgangsleistung von nur 1,4 W.

Die Kostenaufteilung der Klägerin weiche von den ursprünglich angegebenen Kostenanteilen ab. Die Klägerin irre, wenn sie meine, daß der charakterbestimmende Bestandteil sowohl nach Umfang, Menge, Gewicht und Wert zu bestimmen sei. Von den aufgezeigten Merkmalen sei nach den Erläuterungen zur ATV 3 Teil 1 Randziffer 16 dasjenige vorrangig zu berücksichtigen, das der Ware am meisten gerecht werde. Bei der elektronischen Radiouhr trete nach dem Gesamtbild und im Hinblick auf den Verwendungszweck die Bedeutung des Rundfunkempfangteils so auffallend in den Vordergrund, daß er als der charakterbestimmende Bestandteil anzusprechen sei. Daß andere Beschaffenheitsmerkmale zu einer anderen Beurteilung führen würden, sei ohne Bedeutung. Der höhere Wertanteil der Digitaluhr müsse deshalb unberücksichtigt bleiben. Die Klägerin habe selbst, der vorherrschenden Bedeutung des Radioteils entsprechend, die streitige Radiouhr im Prospekt 1975/76 nicht als Uhr, sondern als Radio angeboten. Auch andere Hersteller bzw. Händler sähen ebenso wie der Fachverband Rundfunk und Fernsehen und der Verband der deutschen Uhrenindustrie wie sich aus den vorgelegten Stellungnahmen ergebe, vergleichbare Geräte als Rundfunkempfänger an. Dieser Umstand sei nach dem BFH-Urteil VII 153/61 für die Tarifierung von Bedeutung.

Im Hinblick auf die Verwendung, nach dem Gesamtbild und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Ware als Rundfunkempfänger gehandelt werde, trete die Bedeutung des Radioteils so in den Vordergrund, daß er gemäß ATV 3 b als der charakterbestimmende Bestandteil anzusehen sei. Diese Tarifierung ergebe sich auch dann, wenn man keinen der beiden Bestandteile der Radiouhr als charakterbestimmend ansehen wolle. Dann wäre das streitige Gerät gemäß ATV 3 c ebenfalls der Tarifst. 85.15 A III zuzuordnen, weil sie zur höchsten Zollbelastung führe.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der vZTA sowie der Einspruchsentscheidung.

Die Beteiligten streiten darüber, wie ein Gerät zu tarifieren sei, das in einem einheitlichen Gehäuse eine elektronische Digitaluhr mit Weckvorrichtung (Tarifst. 91.04 A) und ein Empfangsgerät für Rundfunk (Tarifst. 85.15 A III) enthält. Bei der Entscheidung dieser Frage kann nicht entscheidend darauf abgestellt werden, wie die Beteiligten dieses Gerät bezeichnen (z. B. Uhren-Wecker mit eingebautem Radioteil oder Radiouhr), unter welcher Bezeichnung das Gerät in Werbeprospekten vorgestellt, in welcher Reihenfolge die beiden Bestandteile dort näher beschrieben werden, in welchen Geschäften sie zum Kauf angeboten werden oder wie Fachverbände das streitbefangene Gerät beurteilen. Diesen Fragen kommt allenfalls indizielle Bedeutung zu. Wie das streitige Gerät, das im folgenden als Radiouhr bezeichnet werden soll, zu tarifieren ist, kann allein unter Heranziehung des Wortlauts der in Frage kommenden Tarifnummern sowie der zu den betreffenden Abschnitten und Kapiteln ergangenen Vorschriften des GZT und der im Teil I des GZT aufgeführten ATV entschieden werden.

Im Streitfall gibt der Wortlaut der in Frage kommenden Tarifst. 85.15 A III (… Empfangsgeräte für Rundfunk…) und 91.04 A (andere Uhren: elektrische oder elektronische) für die Entscheidung nichts her. Auch die Vorschriften zu Abschn. XVI (Maschinen, Apparate und mechanische Geräte; elektrotechnische Waren) und zu Kap. 85 einerseits und zu Kap. 91 (Uhrmacherwaren) andererseits enthalten keine Anhaltspunkte für die Tarifierung der Radiouhr. Das gleiche gilt für die ATV 2 a und b sowie 3 a. Was die letztere Vorschrift betrifft, so beschreibt jede der beiden in Frage kommenden Tarifnummern nur einen der Bestandteile der Radiouhr. Für die Tarifierung der Radiouhr ist danach die ATV 3 b maßgebend. Danach werden Waren, die, wie im Streitfalle, aus verschiedenen Bestandteilen bestehen und die nicht nach der Vorschrift 3 a tarifiert werden können, nach dem charakterbestimmenden Bestandteil der Radiouhr nicht das Radio, sondern die elektronische Uhr mit Werkvorrichtung ist. Die Radiouhr ist deshalb der Tarifst. 91.04 A des GZT zuzuweisen.

Im Gegensatz zur Auffassung der OFD kann bei der Beantwortung der Frage, welches der charakterbestimmende Bestandteil ist, nicht auf das Erscheinungsbild der Radiouhr abgestellt werden. Es gibt, wie dem von der OFD vorgelegten Prospekt zu entnehmen ist, sowohl Radiouhren als auch Radios, die äußerlich ein ähnlich flaches und breites Erscheinungsbild haben, wie die streitige Radiouhr. Auch Digitaluhren ohne Radioteil sehen häufig, wie dem Senat bekannt ist, ähnlich aus. Das Erscheinungsbild wird nach Auffassung des Senats im Gegenteil eher durch die leuchtkräftige Zeitanzeige des Uhrteils beeinflußt, die aufleuchtet, sobald das Gerät an den Stromkreis angeschlossen wird.

Auch Umfang und Menge der beiden Bestandteile lassen nicht den Schluß zu, daß der Radioteil charakterbestimmend ist. Radioteil und Uhrteil werden von einem einheitlichen Gehäuse umfaßt, das, wie bereits ausgeführt, in seiner Form sowohl für Radiouhren als auch für Radios und Digitaluhren charakteristisch ist. Es mag zwar zutreffen, daß die Vorderseite der Radiouhr, was die Radioskala und die Anzeigen für Lautstärke, Klang und Wellenbereich betrifft, in stärkerem Maße vom Radioteil als vom Uhrteil geprägt wird. Der äußerlich erkennbare Umfang zweier Bestandteile einer einheitlichen Ware sagt aber insbesondere bei technischen Geräten nicht immer Entscheidendes darüber aus, welchen Umfang die zu den einzelnen Bestandteilen gehörende technische Ausrüstung und Ausstattung im Innern des Geräts beanspruchen. Im Streitfalle ist unbestritten, daß es sich bei der in das Gerät eingebauten elektronischen Digitaluhr mit Weckvorrichtung um ein hochwertiges Modell handelt. Die OFD hat das mit dem Wort eingeräumt, daß die von der Klägerin herausgestellten technischen Besonderheiten (in der Lichtstärke regelbare Siebensegment-Leuchtziffern, optimale Laufruhe, Ganggenauigkeit, Widerstandsfähigkeit, automatische Nullstellung, Vorlauf- und Schnellvorlaufregelung, getrennte Abrufmöglichkeit für die Weck- und Abschaltzeit, automatische Anzeige bei Stromausfall und Batteriebetrieb, Ausschaltautomatik, Wecken im 24-Stunden-Turnus, Wecken durch Musik oder Summton, Sperrtaste für den Wecktermin usw.) heute selbstverständliche Forderungen seien. Andererseits bestreitet die OFD nicht, daß es sich beim Radioteil um einen einfacheren Radioempfänger handele (mit einer für einen solchen üblichen geringen Spitzenleistung) und daß die Transistorentechnik den Aufbau von Rundfunkempfängern mit relativ wenigen Bauelementen gestatte. Bei dieser Sachlage geht der Senat davon aus, daß die Angaben der Klägerin über die Anzahl der im Uhrteil bzw. im Radioteil verwendeten Transistoren, Dioden und Schaltplatten im wesentlichen zutreffend sind. Das bedeutet aber, daß Umfang und Menge der dem Uhrteil zuzuordnenden technischen Ausrüstung im Innern der Radiouhr größer sind als beim Radioteil. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Behauptung der OFD zutrifft, daß die Klägerin den Lautsprecher und den Kissenlautsprecher möglicherweise dem Uhrteil zugerechnet habe. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß die Klägerin unwidersprochen vorgetragen hat, daß der Kissenlautsprecher keine Transistoren oder Schaltplatten enthalte, so daß die Anzahl der von der Klägerin angegebenen Transistoren, Dioden und Schaltplatten sich insoweit nicht zugunsten des Radioteils verändert. Selbst wenn es zutreffen sollte, daß die Klägerin den Lautsprecher und die dazu gehörende technische Ausstattung fälschlicherweise dem Uhrteil zugerechnet habe, ist allenfalls der von der OFD gezogene Schluß gerechtfertigt, daß das Volumen des Radioteils dem des Uhrteils zumindest gleichzusetzen sein dürfte. Eine solche Gleichsetzung reicht aber nach Auffassung des Senats nicht aus, um zu dem Ergebnis zu kommen, daß dem Radioteil damit eine für die Tarifierung charakterbestimmende Bedeutung beizumessen sei.

Sind aber Erscheinungsbild, Umfang und Menge der beiden teile der Radiouhr nicht geeignet, Aussagen über den charakterbestimmenden Bestandteil zu machen, dann kommen als tarifentscheidende Kriterien im Streitfalle die unterschiedlichen Wertanteile der beiden Bestandteile und die damit in enger Verbindung stehenden technischen Gestaltungsmöglichkeiten (auch i. S. der technischen Abhängigkeit oder Steuerung des einen Bestandteils vom bzw. durch den anderen) in Betracht. Beide Kriterien sprechen dafür, daß der Uhrteil den Charakter der Radiouhr bestimmt.

Es ist bereits bei der Behandlung des Volumens und der Menge der den einzelnen Bestandteilen zuzuordnenden Ausstattung der Radiouhr festgehalten worden, daß die Qualität und Ausrüstung des Uhrteils wesentlich höher einzuschätzen sind als beim Radioteil. Die OFD hat den höheren Wertanteil der elektronischen Digitaluhr mit Weckvorrichtung gegenüber dem Radioteil nicht in Abrede gestellt. Sie hat auch der Behauptung der Klägerin nicht widersprochen, daß ein Radiogerät mit der in der Radiouhr eingebauten Bestückung und technischen Ausstattung schon für 10 bis 20 % des Richtpreises der Radiouhr, also etwa zum Preise von 30 DM bis 65 DM zu kaufen sei. Es kann deshalb dahinstehen, ob – unter Berücksichtigung der zusätzlichen Kosten, die durch den Einbau in die hier zu tarifierende Radiouhr notwendigerweise entstehen – der Wertanteil des Uhrteils, wie von der Klägerin im Antrag vom 20. Mai 1974 angegebenen, 68 % oder, wie in der Klage vorgetragenen, 79 % beträgt. Der Wertanteil des Uhrteils ist auf jeden Fall beträchtlich höher als der des Radioteils. Der Senat hat im Streitfall keinen Zweifel, daß sich dieser Umstand im Rahmen der Prüfung, welcher Bestandteil charakterbestimmend ist, zugunsten des Uhrteils auswirkt. Dieser höhere Wertanteil des Uhrteils und der damit verbundene höhere technische Standard gegenüber dem Radioteil hat auch unmittelbar Auswirkungen auf den Zweck, den der Käufer mit dem Kauf eines solchen Geräts verfolgt. Der Klägerin ist darin zuzustimmen, daß er nicht darin besteht, nur Rundfunksendungen zu empfangen. Käme es einem Käufer nur darauf an, über einen bescheidenen Rundfunkempfänger zu verfügen, so brauchte er dafür nur einen Bruchteil des Betrages auszugeben, den er benötigt, um die streitige Radiouhr zu erwerben. Ausschlaggebend für die Bereitschaft der Käufer, für das streitige Gerät den mehrfachen Preis zu bezahlen, der für einen Rundfunkempfänger der hier vorliegenden Qualität aufzubringen wäre, ist die vielseitige und hohen Ansprüchen gerecht werdende Funktionstüchtigkeit der mit dem Rundfunkgerät in einem Gehäuse vereinten und mit diesem technisch koordinierten elektronischen Digitaluhr mit Weckvorrichtung. Auf den unbestritten hohen technischen Standard des Uhrteils einschließlich der automatischen Weck- und Abschaltvorrichtung ist bereits hingewiesen worden. Bei der streitigen Radiouhr steht zunächst die zuverlässige, gut sichtbare und völlig geräuschlose elektronische Zeitanzeige durch regelbare Siebensegment-Leuchtziffern im Vordergrund. Dieser hohe Leistungsstandard der elektronischen Digitaluhr muß gerade im Hinblick darauf, daß der miteingebaute Rundfunkempfänger nur bescheidenen Ansprüchen gerecht wird, auch Auswirkungen auf die Käufererwartung des Gesamtgeräts und damit auch auf die Frage haben, welcher Bestandteil charakterbestimmend ist.

Weiter von ausschlaggebender Bedeutung für die Frage, welcher Bestandteil der Radiouhr charakterbestimmend ist, sind die technischen Möglichkeiten des Uhrteils. Diese gestatten es, den Radioteil zu einer bloßen Funktion des Uhrteils zu machen. Der Rundfunkempfänger wird, gesteuert durch die elektronische Digitaluhr, zu den gewünschten Zeiten im 24-Stunden-Turnus eingeschaltet und übt damit die Funktion eines Weckers aus. Dieser für Weckuhren typische Verwendungszweck wird noch dadurch unterstrichen, daß zur eingestellten Weckzeit wahlweise auch ein in der Lautstärke regelbarer Summton ausgelöst werden kann. Durch den Uhrteil gesteuert, schaltet sich der zur Weckzeit automatisch in Betrieb gesetzte Radioteil spätestens nach 59 Minuten automatisch wieder aus. Auch insoweit besteht eine für den Charakter des Gesamtgeräts ausschlaggebende Abhängigkeit des Radioteils vom Uhrteil. Dabei kommt es im Gegensatz zur Auffassung der OFD in diesem Zusammenhang nicht darauf an, daß der von einer Rundfunksendung begleitete Weckvorgang wegen der Abschaltautomatik nahezu eine Stunde dauert, was, wie die OFD meint, gegen den Charakter des Gerätes als Weckuhr spreche. Die Klägerin hat zu Recht darauf hingewiesen, daß diese Weckautomatik durch einen mit dem Uhrteil gekoppelten Sensortaster jederzeit ausgeschaltet worden kann.

Der hauptsächliche Verwendungszweck des Gesamtgerätes als Uhr wird auch nicht dadurch beeinträchtigt, daß die den Radioteil steuernde Abschaltautomatik des Uhrteils auch dazu genutzt werden kann, den in Betrieb befindlichen Rundfunkempfänger (etwa beim Einschlafen) innerhalb einer Stunde automatisch abzuschalten. Nach Auffassung des Senats wird im Gegenteil durch diese Möglichkeit der überwiegende Verwendungszweck als Uhr betont; denn auch hier wird der Radioteil durch den Uhrteil gesteuert.

Der Klägerin ist weiter darin beizupflichten, daß der Verwendungszweck der Radiouhr auch durch die für den Fall eines Stromausfalls vorgesehene Versorgung der Digitaluhr (und nicht auch des Radioteils) mit Batteriestrom entscheidend geprägt wird. Denn durch diese technische Vorrichtung wird der Ausfall des Radioteils bewußt in Kauf genommen, die Funktionsfähigkeit der Digitaluhr aber erhalten.

Angesichts der vorstehend aufgeführten Gesichtspunkte, die zu dem Ergebnis führen, daß der Uhrteil sowohl im Hinblick auf den höheren (qualitätsbedingten) Wertanteil gegenüber dem Radioteil als auch im Hinblick auf die damit verbundenen technischen Gestaltungsmöglichkeiten des Gesamtgerätes als charakterbestimmender Bestandteil angesehen werden muß, fällt nicht ins Gewicht, daß die funktionsmäßige Abhängigkeit des Radioteils bei Ausschaltung der Automatik jederzeit gelöst werden kann. Es hängt selbstverständlich von den Wünschen und Vorstellungen des jeweiligen Käufers ab, ob er die Radiouhr nicht in einem Schlafraum und damit nicht in erster Linie als Weckuhr (wenn auch notwendigerweise als Uhr) benutzt. Darauf kommt es aber nicht an. Die Entscheidung darüber, welcher der beiden Bestandteile der streitigen elektronischen Radiouhr i. S. der ATV 3 b charakterbestimmend ist, muß in erster Linie unter Berücksichtigung objektiver Kriterien, die sich im vorliegenden Falle aus den annähernd feststellbaren Wertanteilen und den daraus resultierenden technischen Verwendungsmöglichkeiten ableiten lassen, getroffen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 510452

BFHE 1977, 109

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