Entscheidungsstichwort (Thema)

Gegenstand des Erwerbsvorgangs bei mehreren Verträgen / Grundstück mit noch zu errichtendem Fertighaus

 

Leitsatz (NV)

1. Für die Bestimmung des Gegenstands des Erwerbsvorgangs bei der Grunderwerbsteuer sind weder die Motive der Beteiligten noch ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Bedeutung.

2. Werden die zur Errichtung des Gebäudes notwendigen Verträge erst nach dem Grundstückskaufvertrag abgeschlossen, so kann gleichwohl ein objektiver enger sachlicher Zusammenhang zum Grundstückskaufvertrag bestehen. Dies wird der Fall sein, wenn die Erwerber (spätestens) mit dem Abschluß des Grundstücksvertrags auf Grund vorheriger Absprachen oder aus faktischen Zwängen in ihrer Entscheidung über das ,,Ob" und ,,Wie" einer Bebauung nicht mehr frei waren.

 

Normenkette

GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Durch notariell beurkundeten Vertrag erwarben die Kläger ein (noch zu bildendes Trenn-)Grundstück als Miteigentümer je zur Hälfte. Der Kaufpreis betrug - vorbehaltlich des endgültigen Messungsergebnisses - . . . DM. Für die Vermittlung dieses Vertrages hatten die Kläger an den Makler A eine Provision zu zahlen.

Mit der B-GmbH & Co. schlossen die Kläger einen schriftlichen Vertrag über die Errichtung eines Wohnhauses in Fertigbauweise. Der Preis betrug . . . DM. Den Klägern wurde ein Rücktrittsrecht für den Fall eingeräumt, daß der Grundstückskauf nicht zustande käme. Die Vertragsurkunde enthält das Datum vom 25. Mai 1983. Der Kläger behauptete, daß er den Vertrag erst etwa eine Woche nach dem Grundstückskaufvertrag unterschrieben habe.

Am 1. Juni 1983 beauftragten die Kläger die C-GmbH gegen ein Entgelt von . . . DM mit der Baubetreuung und am 24. Juni 1983 Herrn D in Firma C mit der Durchführung der Architektenleistung gegen ein Honorar in Höhe von . . . DM. Das Kellergeschoß sollte in Eigenleistung erstellt werden. Die Kläger erklärten gegenüber dem beklagten Finanzamt (FA) zunächst, der Makler A habe ihnen die Auskunft erteilt, sie könnten das Grundstück nur mit einem Kaufvertrag über ein B-Haus erwerben. Sie nahmen diese Erklärung später zurück.

Das beklagte FA setzte gegen jeden der Kläger Grunderwerbsteuer in Höhe von je . . . DM fest. Es sah die vier Verträge als einheitlichen Vertrag an, dessen Gegenstand das bebaute Grundstück sei.Hiergegen richtete sich die Klage. Mit dieser machten die Kläger geltend, daß nur der Kaufpreis aus dem Grundstückskauf zu besteuern sei. Die Verträge stellten kein einheitliches Vertragswerk dar. Der Grundstücksveräußerer habe ihnen das Grundstück verkauft ohne eine Verpflichtung zu einer Bebauung oder zum Abschluß von Bauerrichtungsverträgen mit einem bestimmten Unternehmen. Der Kontakt zu der Maklerfirma A sei aufgrund einer Anzeige in der Zeitung zustande gekommen. In der Anzeige sei das Grundstück als Hammergrundstück für . . . DM angeboten worden.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Gegenstand des Erwerbsvorgangs seien die Miteigentumsanteile am unbebauten Grundstück. Die Wirksamkeit der zur Errichtung des Fertighauses abgeschlossenen Verträge hänge nicht ab vom Abschluß und/oder Fortbestand des Grundstückskaufvertrags. Die Verträge sollten mit dem Grundstückskaufvertrag nicht zusammen ,,stehen oder fallen". Den Klägern hätte das Grundstück nicht wieder entzogen werden können, wenn sie sich vom Hauskauf wieder gelöst hätten. Selbst wenn die Verträge miteinander ,,stehen oder fallen" sollten, ergebe sich daraus noch kein einheitlicher Vertrag i. S. von § 139 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Ein solcher setze vielmehr voraus, daß die mehreren Vertragspartner des Erwerbers einen entsprechenden gemeinschaftlichen Willen hätten, dieser Wille zum Ausdruck gekommen und vom Erwerber akzeptiert worden sei. Im Streitfall seien diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Das FG hielt es für entbehrlich, die von dem beklagten FA behaupteten Rechtsbeziehungen zwischen B, C und dem Makler A festzustellen.

Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 8 Abs. 1 und § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat zunächst durch Vorbescheid entschieden. Dieser wurde den Prozeßbevollmächtigten der Kläger am 22. Januar 1990 zugestellt. Der Antrag der Kläger auf mündliche Verhandlung ist beim Bundesfinanzhof (BFH) erst am 23. Februar 1990 eingegangen.

Für den verspätet gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung wird den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt (§ 56 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das FG hat den grunderwerbsteuerrechtlichen Begriff des Gegenstands des Erwerbsvorgangs verkannt.

Der notariell beurkundete Vertrag über den Erwerb der Miteigentumsanteile an dem Grundstück ist ein (jeweils) der Grunderwerbsteuer unterliegender Rechtsvorgang i. S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983. Die Steuer dafür bemißt sich nach dem Wert der Gegenleistung (§ 8 Abs. 1 GrEStG 1983). Als Gegenleistung gelten bei einem Kauf der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen und der dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983).

Zur Gegenleistung rechnet jede Leistung, die der Erwerber als Entgelt gewährt für den Erwerb des Grundstücks in dem Zustand, in dem es Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist (ständige Rechtsprechung; vgl. Entscheidung des BFH vom 21. Dezember 1988 II B 47/88, BFHE 155, 419, BStBl II 1989, 333).

Das GrEStG bestimmt nicht, was unter der Gegenleistung begrifflich zu verstehen ist. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß diese Begriffsbestimmung zwar von dem bürgerlich-rechtlichen Begriff der Gegenleistung ausgeht, sich aber darin nicht erschöpft (so z. B. Entscheidung des BFH vom 5. November 1980 II R 28/75, BFHE 132, 111, BStBl II 1981, 174).

Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs wird zunächst durch das den Steuertatbestand erfüllende (zivilrechtliche) Verpflichtungsgeschäft bestimmt. Ist Gegenstand der kaufvertraglichen Übereignungsverpflichtung das Grundstück in bebautem Zustand, so ist das Grundstück in diesem Zustand auch grunderwerbsteuerrechtlich Gegenstand des Erwerbsvorgangs. Ergibt sich die Verpflichtung zur Übereignung des Grundstücks und zur Errichtung des Gebäudes zivilrechtlich zwar aus zwei (oder mehreren) an sich selbständigen Verträgen, sind diese Verträge jedoch aufgrund ihres rechtlichen Zusammenhangs zivilrechtlich als einheitlicher Vertrag anzusehen, so ist grunderwerbsteuerrechtlich Gegenstand des Erwerbsvorgangs das Grundstück in bebautem Zustand (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 4. Mai 1983 II R 6/82, BFHE 138, 480, BStBl II 1983, 609). Die (zivilrechtliche) Verbindung der Verträge kann sich daraus ergeben, daß ihre Gültigkeit ausdrücklich voneinander abhängig ist (vgl. Entscheidung des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 24. November 1983 VII ZR 34/83 (KG), Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1984, 869). Ein rechtlicher Zusammenhang zwischen den Verträgen besteht aber auch dann, wenn die Vereinbarungen - ohne eine solche ausdrückliche Bestandsverknüpfung - nach dem Willen der Parteien derart voneinander abhängig sind, daß sie miteinander ,,stehen oder fallen" sollen. Auch wenn nur einer der Vertragspartner einen solchen Einheitswillen erkennen läßt und die andere Partei ihn anerkennt oder zumindest hinnimmt, kann ein einheitliches Vertragswerk vorliegen (vgl. BGH in NJW 1984, 869; für die Grunderwerbsteuer vgl. z. B. BFH-Entscheidungen vom 23. Juni 1982 II R 155/80, BFHE 136, 427, BStBl II 1982, 741, und vom 21. Dezember 1981 II R 124/79, BFHE 135, 217, BStBl II 1982, 330).

Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist das Grundstück in bebautem Zustand schließlich auch dann, wenn die Verträge zwar nicht durch den Willen der Parteien rechtlich verknüpft sind, zwischen den Verträgen jedoch ein so enger sachlicher Zusammenhang besteht, daß der Erwerber bei objektiver Betrachtungsweise als einheitlichen Leistungsgegenstand (vgl. dazu BFH-Entscheidungen vom 29. Juni 1988 II R 258/85, BFHE 154, 149, BStBl II 1988, 898, und vom 18. September 1985 II B 24-29/85, BFHE 144, 280, BStBl II 1985, 627) das bebaute Grundstück erhält. Dies ist der Fall, wenn der Veräußerer aufgrund einer in bautechnischer und finanzieller Hinsicht ganz konkreten und bis (annähernd) zur Baureife gediehenen Vorplanung (vgl. dazu BFH-Entscheidungen in BFHE 144, 280, BStBl II 1985, 627, und in BFHE 138, 480, BStBl II 1983, 609) ein ganz bestimmtes Gebäude auf einem bestimmten Grundstück zu einem im wesentlichen feststehenden Preis anbietet und der Erwerber dieses Angebot als einheitliches annimmt oder nur insgesamt annehmen kann (zur Begründung vgl. die Urteile des Senats vom 18. Oktober 1989 II R 85/87, BFHE 158, 483, BStBl II 1990, 181, und II R 143/87, BFHE 158, 477, BStBl II 1990, 183).

Die für die Frage nach dem Gegenstand des Erwerbsvorgangs gebotene objektive Betrachtungsweise hat - wie sich bereits aus dem Wortlaut ergibt - in erster Linie auf den Erwerber abzustellen. Entscheidend ist daher, ob dieser bei objektiver Betrachtungsweise ein unbebautes Grundstück oder als einheitlichen Leistungsgegenstand ein bebautes Grundstück erhält.

Auf der Veräußererseite können auch mehrere Personen als Vertragspartner auftreten (vgl. BFH-Urteil vom 23. Juni 1982 II R 155/80, BFHE 136, 427, BStBl II 1982, 741). Es ist dabei nicht ausschlaggebend, daß der Grundstücksübereignungsanspruch und der Anspruch auf Errichtung des Gebäudes sich zivilrechtlich gegen verschiedene Personen richten. Entscheidend ist vielmehr, daß (auch) der den Grundstücksübereignungsanspruch begründende Vertrag in ein Vertragsgeflecht mit einbezogen ist, das unter Berücksichtigung aller Umstände darauf gerichtet ist, dem Erwerber als einheitlichen Leistungsgegenstand das Grundstück in bebautem Zustand zu verschaffen (vgl. Entscheidung in BFHE 155, 419, BStBl II 1989, 333).

Der Senat verkennt nicht, daß gerade die Erwerber von Fertighäusern den Hauskauf in vielen Fällen nur unter äußersten finanziellen Anstrengungen verwirklichen können. Es ist auch zutreffend, daß Fertighauserwerber in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in aller Regel nicht mit dem typischen Anleger bei Bauherrenmodellen vergleichbar sind. Für die Bestimmung des Gegenstandes des Erwerbsvorgangs bei der Grunderwerbsteuer sind jedoch wesensgemäß weder die Motive der Beteiligten - z. B. Gewinnerzielung oder Verfolgung gemeinnütziger Ziele - noch ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Bedeutung (vgl. dazu den Beschluß vom 14. Februar 1990 II B 158/89, BFHE 159, 373, BStBl II 1990, 391). Die dargelegten Auslegungsgrundsätze sind zwar von der Rechtsprechung weitgehend zu Bauherrenmodellen entwickelt worden, in ihrer Anwendung jedoch keineswegs auf diese beschränkt. Ziel der objektivierten Rechtsauslegung des Senats ist es, daß gleiche wirtschaftliche Ergebnisse nicht unterschiedliche steuerliche Lasten auslösen.

Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist nach den dargelegten Grundsätzen im Einzelfall unter Heranziehung aller relevanten Umstände zu bestimmen. Für eine derartige Abwägung aller Umstände des Einzelfalls enthalten die Entscheidungen des Senats in BFHE 158, 483, BStBl II 1990, 181, und BFHE 158, 477, BStBl II 1990, 183, beispielgebende Hinweise. Danach kann sich der enge sachliche Zusammenhang zwischen mehreren Verträgen daraus ergeben, daß bei einem Erwerb ,,aus einer Hand" die Erwerber das Interesse des Veräußerers an dem Abschluß aller Verträge dadurch akzeptieren, daß sie sich bereits vor dem Abschluß des Grundstückskaufvertrags hinsichtlich der zur Errichtung des Gebäudes erforderlichen Verträge zivilrechtlich binden (vgl. BFHE 158, 483, BStBl II 1990, 181). Werden die zur Errichtung des Gebäudes notwendigen Verträge erst nach dem Grundstückskaufvertrag abgeschlossen, so kann gleichwohl ein objektiver enger sachlicher Zusammenhang zum Grundstückskaufvertrag bestehen. Dies wird der Fall sein, wenn die Erwerber (spätestens) mit dem Abschluß des Grundstückskaufvertrags in ihrer Entscheidung über das ,,Ob" und ,,Wie" einer Bebauung nicht mehr frei waren. Eine derartige Einschränkung der sonst für einen Grundstückserwerber bestehenden Entscheidungsfreiheit kann sich aus vorherigen Absprachen oder auch aus faktischen Zwängen ergeben. Hierzu enthält die Entscheidung des FG keine bzw. keine ausreichenden Feststellungen.

Ein Erwerb ,,aus einer Hand" im vorerwähnten Sinne wird dabei auch dann anzunehmen sein, wenn zwar mehrere Personen auf der Veräußererseite auftreten, diese aber personell, wirtschaftlich oder gesellschaftsrechtlich eng verbunden sind. Treten auf der Veräußererseite mehrere Personen auf, die nicht auf diese Weise miteinander eng verbunden sind, kann gleichwohl der geforderte enge sachliche Zusammenhang zwischen den Verträgen bestehen. Die Verflechtung der Verträge kann sich beispielsweise aus der Stellung des Projektanbieters ergeben, wenn dieser aufgrund vertraglicher Beziehungen zu den auf der Veräußererseite auftretenden Personen zu einer Vorplanung in der Lage ist, die ihm ein konkret ausgestaltetes Angebot ermöglicht, und er ein wirtschaftliches Interesse am Abschluß aller Verträge besitzt (vgl. BFHE 158, 477, BStBl II 1990, 183). Auch hierzu enthält die Entscheidung des FG keine ausreichenden Feststellungen.

Die Entscheidung des FG geht von anderen Rechtsgrundsätzen aus. Sie ist daher aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Das FG hat nicht alle Umstände festgestellt, die im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung zu berücksichtigen sind. Die Sache ist daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen haben, daß nach Auffassung des Senats der geforderte enge sachliche Zusammenhang zwischen den Verträgen auch dann bestehen kann, wenn sich die Erwerber - wenn auch ggf. unter Hinnahme von Rechtsnachteilen - allein von den Verträgen über die Errichtung des Gebäudes wieder hätten lösen können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417119

BFH/NV 1991, 479

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