Leitsatz (amtlich)

Die Steuerbefreiung für Umsätze von Versicherungsvertretern aus der verwaltenden Tätigkeit für Versicherungsunternehmen nach § 4 Nr. 17 UStG 1951 in der Fassung des Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 26. März 1965 (BGBl I 1965, 156, BStBl I 1965, 107) gilt rückwirkend nur für nach dem 31. Dezember 1961 vereinnahmte Entgelte, soweit die Umsatzsteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist.

 

Normenkette

UStG 1951 § 4 Nr. 17

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Steuerpflichtiger) ist als Versicherungsvertreter (Generalagent) für die Versicherungsbank AG (AG) tätig. Er gab Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 1962 und 1963 ab, ohne den Abschnitt C des amtlichen Vordruckes (Verzicht auf einen Umsatzsteuerbescheid und Rechtsmitteleinlegung) zu streichen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) setzte die Umsatzsteuerschuld 1962 und 1963 entsprechend den Angaben des Steuerpflichtigen durch Verfügungen vom 21. Januar 1964 bzw. 8. März 1965 fest. Mit Schreiben vom 30. April 1965 bat der Steuerpflichtige, für das Jahr 1963 zunächst von einer Festsetzung abzusehen oder aber einen rechtsbehelfsfähigen Steuerbescheid zu erteilen, weil nach § 4 Nr. 17 UStG 1951 in der Fassung des 16. UStÄndG vom 26. März 1965 (BGBl I 1965, 156, BStBl I 1965, 107) bei Versicherungsvertretern die Umsätze aus der verwaltenden Tätigkeit für Versicherungsunternehmen rückwirkend ab 1. Januar 1962 für steuerfrei erklärt worden seien. Das FA teilte dem Steuerpflichtigen durch Schreiben vom 11. Juni 1965 mit, § 4 Nr. 17 UStG 1951 n. F. sei nach dem Erlaß des BdF betreffend das 16. UStÄndG unter B Ziff. 4 Abs. 4 (BStBl I 1965, 226) nur auf nicht rechtskräftig veranlagte Fälle anzuwenden. Daraufhin beantragte der Steuerpflichtige am 27. Juli 1965 die Fehleraufdeckung durch die Aufsichtsbehörde und Berichtigung der Umsatzsteuerveranlagungen 1962 und 1963 gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 4 AO. Die OFD lehnte den ihr vorgelegten Antrag mit Verfügung vom 27. August 1965 ab. Im Schreiben vom 20. September 1965 stellte der Steuerpflichtige beim FA den Antrag, die Umsatzsteuerfestsetzungen 1962 und 1963 zu berichtigen oder rechtsmittelfähige Bescheide über die Ablehnung von Berichtigungsveranlagungen zu erteilen, wenn das FA an der Auffassung festhalte, daß die Befreiungsvorschrift nur für nicht rechtskräftige Veranlagungen gelte. Der Steuerpflichtige betonte, die Berichtigung nicht mehr in einem Verfahren über die Fehleraufdeckung, sondern "im normalen Berufungsverfahren" verfolgen zu wollen. Er beantragte die Berichtigung der Umsatzsteuerfestsetzungen unter Berücksichtigung von § 4 Nr. 17 UStG n. F. Das FA lehnte durch den mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Bescheid vom 28. September 1965 die Berichtigung der Veranlagungen unter Hinweis auf den BdF-Erlaß vom 17. Mai 1965 und die Ausführungen der OFD ab.

Die Sprungberufung(-klage) hatte keinen Erfolg. Die Vorinstanz hat ausgeführt, für eine Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Nr. 4 AO fehle es an der Voraussetzung, daß bei einer Nachprüfung durch die Aufsichtsbehörde ein Fehler aufgedeckt worden sei. Die OFD sei zu der Auffassung gekommen, es läge kein Fehler vor.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Steuerpflichtigen, mit der er rügt, das FG habe nur geprüft, ob die Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Nr. 4 AO vorgelegen hätten. § 4 Nr. 17 UStG 1951 in der Fassung des 16. UStÄndG sei nicht nur eine materiellrechtliche Vorschrift, sondern biete auch die verfahrensrechtliche Grundlage für eine Berichtigung der Umsatzsteuerbescheide durch rückwirkende Anwendung auf bereits unanfechtbar gewordene Steuerfestsetzungen. Die Beschränkung der rückwirkend angeordneten Steuerbefreiung auf nicht rechtskräftige Veranlagungen im Erlaß des BdF vom 17. Mai 1965 sei unwirksam. Das 16. UStÄndG vom 26. März 1965 sehe eine uneingeschränkte Rückwirkung der begünstigenden Vorschrift des § 4 Nr. 17 UStG n. F. vor. Dessen Wortlaut enthalte die Anordnung, die Steuerbefreiung auch dann zu gewähren, wenn ein unanfechtbarer Steuerbescheid vorliege, andernfalls hätte eine Einschränkung auf nicht rechtskräftige Veranlagungen im Gesetz ausdrücklich festgelegt werden müssen. Der Gesetzgeber habe z. B. in Art. 2 Abs. 7 des StÄndG 1960 vom 30. Juli 1960 (BGBl I 1960, 616, BStBl I 1960, 514) eine Einschränkung für nicht rechtskräftig veranlagte Fälle ausdrücklich vorgeschrieben. Wenn im 16. UStÄndG nicht zwischen rechtskräftigen und noch anfechtbaren Bescheiden unterschieden werde, sei daraus zu schließen, daß der Gesetzgeber die unterschiedliche Behandlung habe aufgeben wollen.

Der Steuerpflichtige beantragt die völlige Freistellung von der Umsatzsteuer für die Jahre 1962 und 1963.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

Die Entscheidung des FG ist im Ergebnis zutreffend. § 4 Nr. 17 UStG 1951 in der Fassung des 16. UStÄndG ist eine materiell-rechtliche und keine verfahrensrechtliche Vorschrift. Sie besagt lediglich, daß bei Versicherungsvertretern die Umsätze aus der verwaltenden Tätigkeit für Versicherungsunternehmen steuerfrei sind. Der Steuerpflichtige hat in den Veranlagungszeiträumen 1962 und 1963 als Versicherungsvertreter u. a. eine verwaltende Tätigkeit für die AG ausgeübt, daraus Entgelte nach dem 31. Dezember 1961 vereinnahmt und damit die Voraussetzungen der Befreiungsvorschrift erfüllt, die nach Art. 5 Abs. 2 Nr. 2 des 16. UStÄnG am 1. Januar 1962 in Kraft trat. Er wäre in den Genuß der Steuerbefreiung gekommen, wenn die Umsatzsteuerfestsetzungen 1962 und 1963 im Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelverfahren noch hätten geändert werden können. Sonst kann ein unanfechtbar gewordener Steuerbescheid grundsätzlich nur mit Hilfe eines ausdrücklichen Gesetzesbefehls geändert werden. Das gilt auch für den Fall eines rückwirkend zugunsten des Steuerpflichtigen in Kraft getretenen Gesetzes (Urteil des BFH II 162/62 U vom 4. März 1964, BFH 79, 210, BStBl III 1964, 308). § 4 Nr. 17 UStG 1951 stellt keine gesetzliche Grundlage für eine Berichtigung unanfechtbarer Umsatzsteuerbescheide dar. Das UStÄndG schreibt ganz allgemein vor, daß die Steuerbefreiung für nach dem 31. Dezember 1961 vereinnahmte Entgelte gilt, ohne diese Regelung auf nicht rechtskräftige Veranlagungen zu beschränken. Der Gesetzgeber schweigt also zu der Frage, ob die Steuerbefreiung nur in Fällen nicht rechtskräftiger Veranlagungen oder auch beim Vorliegen unanfechtbarer Bescheide anzuwenden ist. Daraus läßt sich nicht entnehmen, daß die Befreiungsvorschrift rückwirkend für alle Veranlagungen auch unter Durchbrechung der Rechtskraft gelten sollte. Wenn der Gesetzgeber in anderen steuerrechtlichen Bestimmungen ausdrücklich die Rückwirkung begünstigender Vorschriften auf nicht rechtskräftige Fälle beschränkte, so ergibt sich daraus nicht zwingend, daß er zwischen rechtskräftigen und noch anfechtbaren Fällen elnen Unterschied dann nicht machen wollte, wenn er diese Frage, wie im 16. UStÄndG, nicht ausdrücklich regelte. Dadurch, daß die rechtskräftigen Veranlagungen im 16. UStÄndG nicht besonders erwähnt worden sind, ist keine Gesetzeslücke entstanden. Eine solche liegt dann nicht vor, wenn ergänzend ein anderes Gesetz anwendbar ist und dieses dafür eine Norm enthält. Ein ergänzendes und formelle Fragen der Berichtigung rechtskräftiger Bescheide regelndes Gesetz ist die AO. Nach § 3 gilt die AO für alle öffentlich-rechtlichen Abgaben, die der Gesetzgebung des Bundes unterliegen und durch Bundesfinanzbehörden oder durch Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Hätte der Gesetzgeber ausschließen wollen, daß die Bestimmungen der AO über Berichtigungsveranlagungen angewendet werden sollen, so hätte er dies ausdrücklich regeln müssen. Das BVerfG ist in seiner Entscheidung 1 BvL 28/62 vom 14. März 1963 (BStBl I 1963, 470) zu Art. 2 Abs. 7 StÄndG 1960 auf das Verhältnis dieser materiell-rechtlichen Vorschrift zu den allgemeinen Berichtigungsvorschriften der AO nicht eingegangen, sondern hat entschieden, daß es mit dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vereinbar sei, wenn in einem Gesetz ausdrücklich geregelt ist, daß eine begünstigende Vorschrift rückwirkend nur für noch nicht rechtskräftig veranlagte Fälle gelte. Da das BVerfG in seiner Entscheidung dem Grundsatz der Rechtssicherheit, wie er sich in der Beständigkeit rechtskräftiger Entscheidungen ausdrückt, den Vorrang vor dem Grundsatz der Gleichheit gegeben hat, ist davon auszugehen, daß für die Berichtigung rechtskräftiger Fälle allein die AO gilt.

Die Voraussetzungen für die in der AO aufgeführten beschränkten Berichtigungsmöglichkeiten rechtskräftiger Bescheide (§§ 92 Abs. 3, 222 Abs. 1 Nr. 2 und 4) sind im Streitfall nicht gegeben.

Die durch das 16. UStÄndG eingeführte Umsatzsteuerbefreiungsvorschrift bildet keine Grundlage für die Berichtigung unanfechtbar gewordener Bescheide (so auch FG Karlsruhe Urteil I 180/65 vom 17. Dezember 1965, EFG 1966, 257). Die im vereinfachten Verfahren erfolgten Umsatzsteuerfestsetzungen ohne Bescheiderteilung können nicht anders beurteilt werden als solche, bei denen förmliche Bescheide ergangen sind (BFH-Urteil V 79/60 U vom 22. November 1962, BFH 76, 141, BStBl III 1963, 51).

 

Fundstellen

BStBl II 1971, 756

BFHE 1972, 102

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