Leitsatz (amtlich)

Wer sich als Sicherheit für ausgegebene Darlehen unvollständige, mit einer Annahmeerklärung versehene Wechsel vom Annehmer aushändigen läßt, haftet für die Wechselsteuerschuld des Annahmenden auch dann, wenn er die Wechsel nicht vervollständigt und nicht diskontieren läßt.

 

Normenkette

WStG § 1 Nr. 3, § 4 Abs. 2, § 9 Abs. 1, 2 Nr. 2; WG Art. 1, 10, 25 Abs. 1 S. 2; FGO § 155; ZPO § 292 S. 1; StAnpG § 8 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Revisionskläger sind Erben des ursprünglichen, während des Revisionsverfahrens verstorbenen Klägers. Dieser (fortan als Rechtsvorgänger - RV - bezeichnet) hatte im Jahre 1959 ein Finanzierungsunternehmen übernommen. Zur Sicherung ausgegebener Darlehen legte er inländischen Darlehensnehmern Urkunden vor, die als Wechsel bezeichnet waren. Diese Wechsel waren unvollständig: Es fehlte der Name dessen, an den gezahlt werden sollte, in zahlreichen Fällen auch die Angabe des Zahlungsortes und die Unterschrift des Ausstellers. Der Darlehensnehmer setzte seine Unterschrift links quer auf die Vorderseite des Wechsels und gab den Wechsel dem RV zurück Dieser war laut den "Geschäftsbedingungen", die der Darlehensnehmer unterschrieben hatte, "beauftragt", den Wechsel für den Darlehensnehmer zu verkaufen. Wechselsteuermarken verwendete der RV nicht, stellte aber dem Darlehensnehmer Auslagen für Wechselsteuermarken in Rechnung.

Der Beklagte, das FA, forderte durch Haftungsbescheid vom 30. Juni 1964 insgesamt 9 333,65 DM Wechselsteuer vom RV. Dieser wandte ein, er habe nie einen Wechsel vervollständigt, nie einen zu Protest gehen oder diskontieren lassen; er habe alles so gehandhabt, wie seine Vorgängerin. Das FA wies seinen Einspruch zurück. Das FG wies die Klage ab.

Mit der Revision rügen die Revisionskläger, daß das FG ohne mündliche Verhandlung entschieden habe. Auch beruhe das Urteil des FG auf unrichtiger Anwendung des § 4 Abs. 2 Satz 2 des WStG. Eine Vereinbarung, daß der RV die unvollständigen Wechsel vervollständigen dürfe, sei nicht getroffen worden, denn der RV habe einen dahingehenden Willen nicht gehabt, was daraus hervorgehe, daß er nie einen Wechsel vervollständigt, unterzeichnet, seiner Bank zum Diskont, zum Einzug oder als Sicherheit gegeben habe. Damit sei gleichzeitig die Vermutung des § 4 Abs. 2 Satz 2 WStG widerlegt. Unter diesen Umständen bestehe keine Haftungsschuld.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Ein Verfahrensmangel liegt nicht vor. Das FG durfte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten erklärt hatten, sie seien mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 FGO).

Das Urteil des FG beruht nicht auf der Verletzung von Bundesrecht. Gemäß § 1 Nr. 3 WStG unterliegt der Wechselsteuer auch "die Aushändigung eines mit einer Annahmeerklärung versehenen unvollständigen Wechsels (§ 4 Abs. 2) durch den inländischen Annehmer". Diese Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes hat das FG ohne Rechtsirrtum für gegeben erachtet. Die unvollständige Urkunde, die der RV dem inländischen Darlehensnehmer vorlegte (vgl. Artikel 1, 21 des Wechselgesetzez - WG -), galt als Wechsel im Sinne des WStG, da vereinbart war, daß der RV sie vervollständigen darf (§ 4 Abs. 2 Satz 1 WStG). Daß eine dahin gehende Vereinbarung getroffen worden war, war zu vermuten, weil die Urkunde als Wechsel bezeichnet war (§ 4 Abs. 2 Satz 2 WStG). Diese Rechtsvermutung war zwar widerlegbar (§ 155 FGO, § 292 Satz 1 ZPO; Urteile des BFH vom 5. September 1962 II 186/59 U, BFHE 76, 474, BStBl III 1963, 172, und vom 9. Mai 1967 II 232/65, BFHE 88, 572, BStBl III 1967, 507), der RV hatte sie jedoch nicht widerlegt, insbesondere nicht durch seine Beteuerung, er habe nie einen Wechsel vervollständigt, unterzeichnet, seiner Bank zum Diskont, zum Einzug oder als Sicherheit gegeben. Denn damit ist nicht das Fehlen einer Vereinbarung erwiesen, sondern allenfalls dargetan, daß der RV eine rechtliche Möglichkeit ungenutzt ließ.

Mit einer "Annahmeerklärung" versehen hatte der Darlehensnehmer den unvollständigen Wechsel dadurch, daß er seine Unterschrift links quer auf die Vorderseite des Wechsels setzte (vgl. Artikel 25 Abs. 1 Satz 2 WG). Die "Aushändigung" des mit der Annahmeerklärung versehenen unvollständigen Wechsels durch den inländischen Annehmer lag darin, daß dieser den Wechsel dem RV zurückgab und ihm damit in den Geschäftsbedingungen vereinbarte Möglichkeit eröffnete, den Wechsel zu verkaufen. Denn "Aushändigung" in diesem Sinne ist jedes Aus-den-Händen-geben des Wechsels, das dazu dient, den Wechsel in Umlauf zu bringen oder sonst Geschäfte damit zu machen, also eine wechselrechtlich oder außerwechselrechtlich bedeutsame Handlung vorzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 12. November 1958 II 120/56 U, BFHE 68, 172, BStBl III 1959, 67).

Die Steuerschuld war in der Person des jeweiligen Darlehensnehmers entstanden (§ 9 Abs. 1 WStG). Für dessen Steuerschuld haftete der RV, weil er den Wechsel als Sicherheit angenommen hatte (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 WStG).

Damit steht fest, daß eine Haftungsschuld des RV bestanden hat. Seine Haftungsschuld ist nach Maßgabe des § 8 Abs. 2 StAnpG auf die Revisionskläger als Gesamtrechtsnachfolger übergegangen (§ 8 Abs. 1 StAnpG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 70921

BStBl II 1974, 499

BFHE 1974, 308

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