Entscheidungsstichwort (Thema)

Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern

 

Leitsatz (amtlich)

Die Vermutung des § 4 Abs. 2 Satz 2 WStG ist widerlegbar.

 

Normenkette

WStG § 1/1/a, § 4 Abs. 2 S. 2

 

Tatbestand

Aus einer Warenlieferung war an die Bgin. von der X-AG (im folgenden kurz AG genannt) ein Betrag von 2.000.000 DM zu zahlen. Zu diesem Zwecke stellte die Bgin. am 19. Juni 1953 zehn unvollständige gezogene Wechsel aus, die auf Beträge lauteten, deren Gesamtsumme den Betrag von 2.000.000 DM ergab. Sechs dieser unvollständigen Wechsel sollten am 5. Oktober 1953, die übrigen vier am 6. Oktober 1953 fällig sein. Die unvollständigen Wechsel waren an die eigene Order der Bgin. gestellt. Bezogener sollte die AG sein, die Urkunden enthielten jedoch nicht den Namen der Bezogenen und auch nicht den Zahlungsort. Auf der Rückseite der Urkunden hatte die Bfin. ihre eigene Unterschrift gesetzt. Mit Schreiben vom 19. Juni 1953 übersandte die Bgin. der AG diese unvollständigen Wechsel. Die AG sandte jedoch die übersandten unvollständigen Wechsel mit Schreiben vom 23. Juni 1953 "absprachegemäß" an die Bgin. mit der Bitte zurück, an Stelle dieser zehn unvollständigen Wechsel andere zehn Wechsel auszustellen und der AG zu übersenden. Diese anderen zehn Wechsel sollten auf andere Beträge mit einer Gesamtsumme von 2.000.000 DM lauten; sieben dieser Wechsel sollten das Ausstellungsdatum vom 25. Juni 1953 tragen und am 25. September 1953 fällig sein, die übrigen drei Wechsel sollten das Ausstellungsdatum vom 26. August 1953 tragen und am 26. September 1953 fällig sein. Dementsprechend stellte die Bgin. zehn andere Wechsel aus und übersandte sie der AG, die die Wechsel auch akzeptierte. Diese Wechsel wurden auch versteuert.

Das Finanzamt erblickte in der übersendung der ersten zehn ausgestellten unvollständigen Wechsel eine nach § 1 Nr. 1 Buchst. a des Wechselsteuergesetzes (WStG) der Wechselsteuer unterliegende Aushändigung von im Inland ausgestellten Wechseln durch den Aussteller; die Steuerpflicht werde nicht durch die Ausstellung anderer Wechsel auf Grund anderer Zahlungsdispositionen aufgehoben. Es setzte die Wechselsteuer gemäß § 8 WStG auf 3.000 DM fest und forderte die Entrichtung der Steuer durch Einsendung von unentwerteten Wechselsteuermarken in dieser Höhe.

Gegen die Steuerfestsetzung legte die Bgin. mit Einwilligung des Vorstehers des Finanzamts Sprungberufung ein.

Auf die Sprungberufung der Bgin. hob das Finanzgericht die Steuerfestsetzung ersatzlos auf.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht.

Nach § 1 Nr. 1 Buchst. a WStG unterliegt der Wechselsteuer die Aushändigung eines im Inland ausgestellten Wechsels durch den Aussteller, es sei denn, daß der Wechsel lediglich zur Annahme im Inland versendet oder vorgelegt wird und mit einem inländischen Indossament noch nicht versehen ist. Dabei gilt nach § 4 Abs. 2 WStG als Wechsel in diesem Sinn auch eine unvollständige Urkunde, wenn vereinbart ist, daß sie vervollständigt werden darf, wobei diese Vereinbarung vermutet wird, wenn die Urkunde als Wechsel bezeichnet ist.

Der Bgin. kann nicht zugestimmt werden, wenn sie die Meinung vertritt, daß es sich bei den von ihr der AG mit Schreiben vom 19. Juni 1953 übersandten, als Wechsel bezeichneten Urkunden nur um Wechselformulare gehandelt habe, ferner daß Steuerpflicht deshalb nicht gegeben sei, weil die Urkunden und damit auch das Indossament wegen Fehlens des Namens des Bezogenen und des Zahlungsorts als nichtig anzusehen seien und überdies eine Aushändigung gar nicht vorgelegen habe, und schließlich daß der gleiche wirtschaftliche Vorgang nicht einer doppelten Steuer unterworfen werden könne, jedenfalls Billigkeitsgründe gegen die Erhebung der Steuer im Streitfalle sprächen. (Wird näher ausgeführt).

Andererseits kann dem Finanzamt nicht zugestimmt werden, wenn es der Meinung ist, daß es auf die Vorschrift des § 4 Abs. 2 WStG im Streitfall nicht ankomme, da sich die Steuerpflicht bereits aus § 1 Nr. 1 WStG ergebe, ferner daß eine Vereinbarung der Vervollständigung der Urkunden im Streitfall schon deshalb als gegeben angesehen werden müsse, weil die gesetzliche Vermutung des Vorliegens einer solchen Vereinbarung im Fall der Bezeichnung der unvollständigen Urkunden als Wechsel nicht widerlegbar sei. Die Vorschrift des § 1 Nr. 1 WStG spricht von "Wechsel". Ein Wechsel ist gegeben, wenn die Urkunde die im Art. 1 des Wechselgesetzes angeführten Erfordernisse erfüllt. Fehlen diese Erfordernisse zum Teil, dann ist wechselrechtlich noch kein Wechsel vorhanden. Es würde damit die Aushändigung einer solchen Urkunde nicht der Wechselsteuer unterliegen können, wenn nicht die Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 1 WStG bestünde, wonach als Wechsel im Sinne des Gesetzes auch eine unvollständige Urkunde "gilt", wenn vereinbart ist, daß sie vervollständigt werden darf, wobei nach § 4 Abs. 2 Satz 2 WStG im Fall der Bezeichnung der Urkunde als Wechsel nach dem Gesetz dieser Vereinbarung zu vermuten ist. Es kommt also im Streitfall sehr wohl darauf an, ob die in Betracht kommenden Urkunden als Wechsel nach § 4 Abs. 2 WStG gelten. Der Hinweis auf das Urteil des Reichsfinanzhofs II A 412/26 vom 19. Oktober 1926 (Mrozek-Kartei, Wechselsteuergesetz - 1923 - § 5, Rechtsspruch 1) geht fehl, da die Urkunden, die zur Beurteilung standen, alle wesentlichen Erfordernisse eines Wechsels enthielten.

Entgegen der Auffassung des Finanzamts ist weiter die Vermutung (§ 4 Abs. 2 Satz 2 WStG) widerlegbar. Wenn im sonstigen gesetzlichen Sprachgebrauch das Wort vermuten für die Annahme eines bestimmten Sachverhalts gebraucht wird, so wird damit zum Ausdruck gebracht, daß die Annahme durch Gegenbeweis entkräftet werden kann. Es liegt kein Grund vor, dem Begriff im § 4 Abs. 2 Satz 2 WStG eine andere Bedeutung beizumessen als in sonstigen Gesetzen. Es handelt sich um eine "Rechtsvermutung" (praesumtio juris), wie eindeutig in der Begründung zum "Entwurf eines Gesetzes wegen änderung des Wechselstempelgesetzes" - mit diesem Gesetz wurde die in Betracht kommende Vorschrift eingeführt - gesagt ist (Verhandlungen des Reichstags, XII. Legislatur-Periode, I. Session 1907/1909, Band 256 Nr. 1457). Eine Rechtsvermutung aber ist widerlegbar. Würde der Gesetzgeber bei als Wechsel bezeichneten unvollständigen Urkunden deren Gleichstellung mit Wechseln gewollt haben, dann würde er sich angesichts dessen, daß in anderen Gesetzen dem Begriff der Vermutung deren Widerlegbarkeit innewohnt, einer anderen Ausdrucksweise bedient haben. (Vgl. hierzu auch Greiff, Wechselstempelgesetz, 2. Aufl., 1914, § 2 Anm. 6 S. 29, und Weinbach, Wechselsteuergesetz, 1927, § 2 Anm. 10 S. 26). Der gegenteiligen Auffassung von Keßler und Cerutti kann nicht gefolgt werden. Keßler (Wechselsteuergesetz, 1935, § 4 Anm. 4 S. 37) gibt für seine Auffassung überhaupt keine Begründung. Cerutti (Das Wechselsteuergesetz vom 10. August 1923, § 2 Anm. 3 S. 14) begründet seine Auffassung damit, daß die Wechselsteuer "eine an die Urkunde als solche und an den Rechtsvorgang von deren Begebung geknüpfte Steuer" ist. Diese Begründung kann jedoch nicht als durchschlagend angesehen werden.

Obwohl hiernach dem Finanzgericht darin zuzustimmen ist, daß die Entscheidung im Streitfall davon abhängt, ob eine Vereinbarung zwischen der Bgin. und der AG des Inhalts vorlag, daß die AG die übersandten, als Wechsel bezeichneten Urkunden ergänzen dürfe, kann dem Finanzgericht nicht ohne weiteres gefolgt werden, wenn es das Vorliegen einer solchen Vereinbarung verneint. Zwar spricht die Rücksendung der in Betracht kommenden Urkunden und die Tatsache, daß die AG nach Empfang der Urkunden und vor deren Rücksendung mit der Bgin. verhandelt hat, für die Annahme, daß vor der übersendung der Urkunden durch die Bgin. an die AG mit Schreiben vom 19. Juni 1953 keine die Urkunden betreffende Vereinbarung nach § 4 Abs. 2 WStG getroffen worden ist. Immerhin aber ist auch das Gegenteil möglich, wie das Finanzgericht selbst damit zum Ausdruck bringt, daß es ausführt, bei einer Warenlieferung im Werte von 2 Mill. DM müsse angenommen werden, daß die Zahlungsbedingungen bereits vor der Lieferung der Waren abgesprochen gewesen seien. Bei dieser Sachlage wäre es geboten gewesen, zur Frage des Vorliegens einer Vereinbarung Ermittlungen durch Rückfrage bei der AG, von der noch keine äußerung bei den Akten liegt, anzustellen.

Hiernach war die Vorentscheidung aufzuheben und die noch nicht spruchreife Sache an das Finanzgericht zur erneuten Prüfung und Entscheidung zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410588

BStBl III 1963, 172

BFHE 1963, 474

BFHE 76, 474

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