Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Verpflichtung des BdF zur Aufnahme von Verhandlungen über gegenseitige VSt-Befreiung

 

Leitsatz (amtlich)

Wird mit der Klage geltend gemacht, der BMF sei nach § 12 Abs.3 VStG 1974 in der bis 1983 geltenden Fassung zur Aufnahme von Verhandlungen über die Herstellung des Einvernehmens über die gegenseitige Steuerbefreiung mit einem ausländischen Staat verpflichtet, der selbst keine Vermögensteuer erhebt, so ist die Klage zwar zulässig aber unbegründet.

 

Orientierungssatz

1. NV: § 12 Abs. 3 VStG 1974 in der bis 1983 geltenden Fassung (VStG a.F.) ist auch anwendbar auf Wirtschaftsgüter, die in einem ausländischen Staat belegen sind, der keine Vermögensteuer erhebt. Die "Herstellung des Einvernehmens … über die gegenseitige Steuerbefreiung" ist materielles Erfordernis für die Gewährung der Steuerbefreiung auch dann, wenn der ausländische Staat keine Vermögensteuer erhebt. Der Steuerpflichtige hat keinen Rechtsanspruch auf Herstellung des Einvernehmens über die Gegenseitigkeit oder auch nur auf Aufnahme entsprechender Verhandlungen, und zwar auch dann nicht, wenn der ausländische Staat keine Vermögensteuer erhebt. Die der Exekutive in § 12 Abs. 3 VStG a.F. gewährte Entscheidungsbefugnis ist nach Auffassung des Senats mit dem GG nicht vereinbar. Die Entscheidung eines Rechtsstreits, mit dem Steuerfreiheit beansprucht wird für Wirtschaftsgüter in einem ausländischen Staat, mit dem das Einvernehmen über die gegenseitige Steuerbefreiung nicht hergestellt ist, hängt jedoch von der Gültigkeit des § 12 Abs. 3 VStG nicht ab (vgl. BFH-Urteil vom 7.11.1990 II R 17/86).

2. NV: Eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 GG ist nicht möglich, wenn der Senat zwar eine Rechtsnorm für verfassungswidrig hält, über die Revision aber entscheiden kann, ohne daß es auf die Gültigkeit der Rechtsnorm ankommt (vgl. BVerfG-Beschluß vom 14.4.1959 1 BvL 19, 21/58).

 

Normenkette

FGO § 40 Abs. 1-2; VStG 1974 § 12 Abs. 3; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 100

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat Betriebsvermögen im Scheichtum Dubai am Persischen Golf und gewinnt dort Erdöl und Erdgas. Das Scheichtum Dubai gehört zu den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Mit den VAE besteht kein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA). Die VAE erheben keine Vermögensteuer.

Das Finanzamt (FA) ermäßigte die auf das Betriebsvermögen der Klägerin in Dubai entfallende Vermögensteuer für die Jahre 1977 bis 1983 auf die Hälfte. Die Klägerin strebte an, daß dieses Vermögen nach § 12 Abs.3 des Vermögensteuergesetzes i.d.F. des Vermögensteuerreformgesetzes vom 17.April 1974 (BGBl I, 949) ―VStG a.F.―, die bis einschließlich 1983 galt (vgl. Gesetz vom 22.Dezember 1983, BGBl I, 1583), völlig außer Ansatz bleibe. Sie beantragte mit Schreiben vom 9.Februar 1982 beim Bundesminister der Finanzen (BMF), er möge das in § 12 Abs.3 VStG a.F. vorgesehene Einvernehmen über die gegenseitige Steuerbefreiung mit den zuständigen Behörden von Dubai herbeiführen. Der BMF antwortete mit Schreiben vom 2.März 1982, er beabsichtige nicht, mit den zuständigen Behörden der VAE Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel, nach Maßgabe des § 12 Abs.3 VStG a.F. Einvernehmen über die gegenseitige Vermögensteuerbefreiung herzustellen.

Mit ihrer Klage strebte die Klägerin an, den BMF zu verurteilen, "mit den zuständigen Behörden des Scheichtums Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) Verhandlungen mit dem Ziel aufzunehmen, nach Maßgabe des § 12 Abs.3 VStG Einvernehmen über die gegenseitige Steuerbefreiung für die Veranlagungszeiträume 1977 bis 1983 herzustellen". Zur Begründung ihrer Klage trug sie im wesentlichen vor: Durch die Weigerung des Beklagten, in Verhandlungen mit Dubai einzutreten, werde sie in ihren Rechten verletzt. Die Entscheidung über die Aufnahme von Verhandlungen sei kein justizfreier Hoheitsakt. Vielmehr gehörten die Einvernehmensverhandlungen nach Maßgabe des § 12 Abs.3 VStG a.F. zu richterlich überprüfbaren Routineakten ohne hochpolitischen Charakter.

Die Voraussetzungen für ein Einvernehmen nach § 12 Abs.3 VStG a.F. seien erfüllt. Hierfür sei ausreichend, daß Dubai keine Vermögensteuer erhebe. § 12 Abs.3 VStG a.F. wolle, wie es allgemein bei der Anwendung der Freistellungsmethode in DBA der Fall sei, nicht nur die effektive, sondern auch die virtuelle Doppelbesteuerung beseitigen. Dies habe der Beklagte für die vergleichbare Vorschrift des § 2 Abs.3 VStG anerkannt, wenn er insoweit Vereinbarungen über die Gegenseitigkeit auch mit solchen Staaten, wie z.B. Bulgarien, abgeschlossen habe, die keine Vermögensteuer erhöben. Die Freistellung von deutscher Vermögensteuer sei auch in diesen Fällen gerechtfertigt, weil die ausländischen Betriebsstätten inländischer Unternehmen mit den dort ansässigen Unternehmen konkurrierten.

Da die Voraussetzungen für ein Einvernehmen gegeben seien, sei der Beklagte auch verpflichtet, auf ein solches hinzuwirken. Es handele sich bei dem Einvernehmen um ein Ressortabkommen nach Art.59 Abs.2 Satz 2 des Grundgesetzes (GG), da die steuerbefreiende Wirkung nicht auf der Vereinbarung, sondern auf § 12 Abs.3 VStG a.F. beruhe. Diese Vorschrift räume dem Beklagten kein Ermessen ein, ob er tätig werden wolle oder nicht. Es würde gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen, wenn die steuerliche Freistellung allein vom Belieben des Beklagten abhinge. Auch sei das Einvernehmen keine materielle Voraussetzung für die Steuerbefreiung. Vielmehr handele es sich um einen bloß formalen Tatbestand, der die Gegenseitigkeit der Steuerbefreiung sicherstellen wolle. Falls der andere Staat keine Vermögensteuer erhebe, habe das Einvernehmen bloß deklaratorische Wirkung. Dann werde der Beklagte lediglich in Vollzug des Gesetzes tätig, ohne daß ihm ein Entscheidungs- oder Ermessensspielraum bleibe.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Sie sei als allgemeine Leistungsklage statthaft; die Klägerin begehre eine Leistung, die nicht im Erlaß eines Verwaltungsakts bestehe. Das FG lasse offen, ob der von der Klägerin behauptete Anspruch offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise bestehe, denn selbst wenn die Klagebefugnis unterstellt werde, könne die Klage in der Sache keinen Erfolg haben. Die Klägerin habe keinen Anspruch gegen den Beklagten, daß dieser mit den zuständigen Stellen von Dubai Verhandlungen aufnehme. Die Entscheidung des FG ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1985, 420. Das FG hat die Revision zugelassen, weil es der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimißt.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 12 Abs.3 VStG a.F. Sie beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und den BMF zu verpflichten, mit den zuständigen Behörden des Scheichtums Dubai (VAE) Verhandlungen mit dem Ziel aufzunehmen, nach Maßgabe des § 12 Abs.3 VStG in der bis 1983 geltenden Fassung Einvernehmen über die gegenseitige Steuerbefreiung für die Veranlagungszeiträume 1977 bis 1983 herzustellen.

Der BMF beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Klägerin ist als unbegründet zurückzuweisen. Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verstoßen zwar (teilweise) gegen bestehendes Recht, die Entscheidung selbst stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 126 Abs.4 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

1. Die Klage ist zulässig. Das FG hat zu Unrecht die Frage der Zulässigkeit der Klage offengelassen.

a) Der Finanzrechtsweg ist gegeben (§ 33 Abs.1 Nr.1 FGO).

Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in einer Abgabenangelegenheit. Abgabenangelegenheiten sind alle mit der Verwaltung der Abgaben oder sonst mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten (§ 33 Abs.2 FGO). Das Klagebegehren ist für die Klägerin ausschließlich aus steuerrechtlichen Gründen von Bedeutung. Insofern liegt eine Abgabenangelegenheit vor.

b) Es handelt sich um eine (sonstige) Leistungsklage. Mit der Klage soll der BMF zu einem bestimmten Tun (Aufnahme von Verhandlungen mit einem ausländischen Staat) verpflichtet werden. Dieses Tun ist weder ein Verwaltungsakt, noch hat es selbst Rechtsnormqualität. Für die Klageart ist es im Streitfall ohne Belang, wie eine Vereinbarung über die Herstellung des Einvernehmens nach § 12 Abs.2 VStG a.F. völkerrechtlich und im System des GG (Art.59 GG) einzuordnen ist, da das Klagebegehren nur auf Aufnahme der entsprechenden Verhandlungen zielt. Für dieses Klagebegehren ist die andere Leistungsklage (§ 40 Abs.1 FGO) gegeben.

Die Klägerin behauptet, sie habe ein subjektiv öffentliches Recht auf Aufnahme der Einvernehmensverhandlungen. Sie sieht dieses Recht unmittelbar durch § 12 Abs.3 VStG a.F. gewährleistet, der andernfalls einen verfassungswidrigen Inhalt habe. Damit hat sie schlüssig dargelegt, daß sie durch das entsprechende Unterlassen des BMF in ihren Rechten verletzt worden sei. Nach dem Vortrag der Klägerin erscheint diese Rechtsverletzung zumindest möglich. Die Klagebefugnis nach § 40 Abs.2 FGO liegt daher vor. Ob aus § 12 Abs.3 VStG a.F. wirklich ein subjektiv öffentliches Recht ―und sei es auch nur auf fehlerfreie Ermessensausübung― abgeleitet werden kann, ist eine Frage der Begründetheit.

2. Das FG hat die Klage im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgewiesen. § 12 Abs.3 VStG a.F. gibt der Klägerin keinen Rechtsanspruch ―auch nicht in Gestalt eines subjektiven öffentlichen Rechts auf fehlerfreie Ermessensausübung― auf Aufnahme entsprechender Verhandlungen mit den VAE.

++/ a) Die Vorschrift des § 12 Abs.3 VStG a.F. ist grundsätzlich auch dann anwendbar, wenn ―wie im Streitfall― der betreffende ausländische Staat keine Vermögensteuer erhebt. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist die Herstellung des Einvernehmens mit den zuständigen Behörden des ausländischen Staats über die gegenseitige Steuerbefreiung jedoch materielles Erfordernis für die Gewährung der Steuerbefreiung (vgl. dazu die Entscheidung des Senats vom heutigen Tag II R 17/86, BFHE 162, 450).

b) Aus § 12 Abs.3 VStG a.F. läßt sich jedoch kein Rechtsanspruch auf Herstellung des Einvernehmens über die Gegenseitigkeit oder auch nur auf Aufnahme entsprechender Verhandlungen durch den BMF ableiten. Dies gilt selbst dann, wenn der ausländische Staat keine Vermögensteuer erhebt.

Der Wortlaut der Vorschrift selbst gibt keinen Anhalt, daß das Gesetz den von der Vorschrift berührten Steuerpflichtigen einen entsprechenden Rechtsanspruch einräumen wollte. Dies würde auch dem Grundsatz widersprechen, dem einzelnen Bürger keine subjektiven öffentlichen Rechte im Hinblick auf die Gestaltung der auswärtigen Beziehungen einzuräumen. Aus der Entstehungsgeschichte der Norm läßt sich insoweit nichts Gegenteiliges entnehmen. Auch bei den der Vorschrift als Vorbild dienenden DBA besteht kein Rechtsanspruch auf Abschluß bzw. auch nur auf Einleitung entsprechender Verhandlungen. Die zur Anwendung der Steuerbefreiung notwendige Herstellung des Einvernehmens über die Gegenseitigkeit ist auch nicht vergleichbar der Durchführung eines Verständigungsverfahrens im Rahmen eines bereits abgeschlossenen DBA. Bei einem Verständigungsverfahren steht erkennbar (auch) der Individualrechtsschutz im Vordergrund. Dies ist bei der Herstellung des Einvernehmens nach § 12 Abs.3 VStG a.F. nicht der Fall. Da der Klägerin der behauptete Rechtsanspruch auf Tätigwerden des BMF nicht zusteht, hat das FG im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen.

3. Die der Exekutive in § 12 Abs.3 VStG a.F. gewährte Entscheidungsbefugnis über den Eintritt der Steuerbefreiung ist nach Auffassung des Senats mit dem GG nicht vereinbar (vgl. dazu ebenfalls die Entscheidung des Senats vom heutigen Tage II R 17/86). Dies hat jedoch auf die Entscheidung im Streitfall keinen Einfluß. Ist die Norm gültig, so läßt sich aus ihr der von der Klägerin geltend gemachte Rechtsanspruch nicht ableiten. Wäre sie ungültig, so könnte sich die Klägerin ohnehin nicht auf sie berufen. Die vom Senat angenommene Verfassungswidrigkeit ließe sich auch nicht auf einen Teil der Norm beschränken. Der Senat kann daher über die Revision entscheiden, ohne daß es auf die Gültigkeit des § 12 Abs.3 VStG a.F. ankommt. Aus diesem Grund ist auch die Möglichkeit einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art.100 GG nicht gegeben (vgl. Beschluß des BVerfG vom 14.April 1959 1 BvL 19, 21/58, BVerfGE 9, 250, 254). /++

 

Fundstellen

Haufe-Index 63429

BFH/NV 1991, 18

BStBl II 1991, 183

BFHE 162, 457

BFHE 1991, 457

BB 1991, 335 (T)

DB 1991, 478 (L)

HFR 1991, 299 (LT)

StE 1991, 51 (K)

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