Leitsatz (amtlich)

Wird gleichzeitig mit einer Nichtzulassungsbeschwerde Revision mit dem Zusatz eingelegt, "falls der Streitwert über 1 000 DM liegen sollte", so ist diese nicht als unbedingt eingelegtes, unzulässiges Rechtsmittel anzusehen (Anschluß an BVerfG-Beschluß vom 29. Oktober 1975 2 BvR 630/73, HFR 1976, 70).

 

Normenkette

FGO § 115

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 23.10.1979; Aktenzeichen 1 BvR 623/79)

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) beantragte im Januar 1978 die Zulassung zur Steuerbevollmächtigtenprüfung 1978.

Der Zulassungsausschuß bei der Beklagten und Revisionsbeklagten (Oberfinanzdirektion - OFD -) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28. April 1978 ab, weil die Zulassungsvoraussetzung des § 156 Abs. 2 Nr. 3 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) fehle.

Die dagegen eingelegte Klage, mit der die Klägerin die Verpflichtung der OFD begehrte, sie zur Steuerbevollmächtigtenprüfung zuzulassen, wies das Finanzgericht (FG) ab.

Das FG ließ die Revision gegen dieses Urteil nicht ausdrücklich zu und fügte dem Urteil eine zutreffende Rechtsmittelbelehrung bei. Das Urteil wurde der Klägerin am 25. August 1978 zugestellt. Mit Schreiben vom 8. September 1978 - eingegangen beim FG am 11. September 1978 - legte die Klägerin - vertreten durch einen Steuerberater - Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache ein. Im selben Schreiben heißt es weiter: "Falls der Streitwert über 1 000 DM liegen sollte - ein Streitwert ist bisher nicht festgesetzt worden - und somit die Revision generell zugelassen ist (§ 115 Abs. 1 FGO), lege ich hiermit das Rechtsmittel der Revision" ein.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig.

Nach § 115 Abs. 1 FGO in Verbindung mit Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFH-EntlastG) ist bei berufsrechtlichen Streitigkeiten über Rechtsverhältnisse, die durch den Sechsten Abschnitt des Zweiten Teils des Steuerberatungsgesetzes geregelt sind - eine solche Streitigkeit liegt hier vor - die Revision statthaft, wenn der Wert des Streitgegenstandes 1 000 DM übersteigt. Das ist hier der Fall.

Die Bestimmung des Streitwerts richtet sich, wenn er für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels festzusetzen ist, nach § 155 FGO in Verbindung mit § 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Er ist danach nach freiem Ermessen festzusetzen.

Die Klägerin wendet sich gegen die Nichtzulassung zur Steuerbevollmächtigtenprüfung. Der erkennende Senat hat in einem entsprechenden Fall den Streitwert auf 8 000 DM festgesetzt (Beschluß vom 3. Februar 1976, VII B 54/75, BFHE 118, 145, BStBl II 1976, 383). Zwar beruht dieser Beschluß auf § 140 Abs. 3 FGO a.F. Die in ihm angestellten Erwägungen - auf die verwiesen wird - führen aber auch bei Anwendung des § 3 ZPO zum gleichen Ergebnis.

Wegen der im Prozeßrecht erforderlichen Klarheit über das Schweben oder das Nichtschweben eines Rechtsstreits wird die bedingte Einlegung eines Rechtsmittels allgemein als unzulässig angesehen (vgl. z. B. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 17. Oktober 1973 IV ZR 68/73, Höchtsrichterliche Finanzrechtsprechung 1974 S. 268 - HFR 1974, 268 -). Die vorliegende Revision ist jedoch nicht als bedingt eingelegt anzusehen.

Ob ein Rechtsmittel bedingt eingelegt worden ist, ist eine Frage der Auslegung. Auch Prozeßhandlungen sind der Auslegung zugänglich, wobei die für die Auslegung von Willenserklärungen des brügerlichen Rechts entwickelten Grundsätze auf die Auslegung von Prozeßhandlungen der Parteien entsprechend anwendbar sind. Es ist daher analog § 133 BGB nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks der Parteierklärungen zu haften, sondern es ist der in der Erklärung verkörperte Wille anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln (vgl. das zitierte BGH-Urteil IV ZR 68/73). Bei dieser Auslegung ist auch Rücksicht auf § 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) zu nehmen; der Rechtsweg darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 29. Oktober 1975 2 BvR 630/73, HFR 1976, 70, BStBl II 1976, 271)

Der BFH hält in ständiger Rechtsprechung die gleichzeitige Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde und der Revision - wobei immer nur eines dieser Rechtsmittel zulässig sein kann - für möglich (vgl. BVerfG-Beschluß 2 BvR 630/73 mit weiteren Nachweisen). Nur durch die Einlegung beider Rechtsmittel kann sich der Beteiligte in Fällen, in denen es für ihn ungewiß ist, ob eine zulassungsfreie Revision gegeben ist, vor Nachteilen bewahren. Nichtzulassungsbeschwerde und Revision stehen bezüglich ihrer Zulässigkeit notwendig in einem gegenseitigen innerprozessualen Bedingungsverhältnis (vgl. BVerfG-Beschluß 2 BvR 630/73. Im vorliegenden Fall ist die Revision mit dem Schreiben eingelegt worden, in dem auch die Nichtzulassungsbeschwerde enthalten ist. Dadurch wird das genannte Bedingungsverhältnis deutlich gemacht. Der Hinweis auf den Streitwert bei der Revisionseinlegung ist daher dahin auszulegen, daß damit die Klägerin den Grund, warum sie neben der Nichtzulassungsbeschwerde auch Revision einlegte, besonders darlegen wollte, ohne daß sie damit beabsichtigte, die Revisionseinlegung an eine Bedingung zu knüpfen.

Für diese Auslegung spricht auch der Umstand, daß die Klägerin mit ihrem Hinweis auf den Streitwert nur auf eine Wirksamkeitsvoraussetzung der Revision aufmerksam gemacht hat, von der die Revision ohnehin kraft Gesetzes abhängig ist. Auch muß berüchsichtigt werden, daß nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Beschluß VII B 54/75) objektiv kein Zweifel bestehen kann, daß der Streitwert die Wertgrenze von 1 000 DM erheblich überschreitet, also im Ergebnis die im Prozeßrecht erforderliche Klarheit über das Schweben oder das Nichtschweben eines Rechtsstreits trotz der mißverständlichen Formulierung der Revisionseinlegung nicht beeinträchtigt ist.

 

Fundstellen

BStBl II 1979, 374

BFHE 1979, 135

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