Leitsatz (amtlich)

Der Senat billigt die in Abschn. 83 Abs. 4 VStR 1963 (= Abschn. 83 Abs. 4 VStR 1966) vertretene Auffassung, daß in den Fällen der Organschaft mit Gewinnabführungsvereinbarung bei der Ermittlung des Ertragshundertsatzes der Anteile an dem Organträger nach dem sogenannten Stuttgarter Verfahren in der Regel der vom Organ abgeführte Gewinn oder ein vom Organträger übernommener Verlust zu berücksichtigen ist.

 

Normenkette

BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 13 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin, eine GmbH, hatte in ihrer Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Feststellung des gemeinen Werts ihrer Anteile zum 31. Dezember 1962 bei der Berechnung des Ertragshundertsatzes von ihrem körperschaftsteuerpflichtigen Einkommen der Jahre 1960, 1961 und 1962 jeweils die Handelsgewinne einer GmbH abgezogen, die ihr auf Grund eines mit dieser Organgesellschaft abgeschlossenen Ergebnisabführungsvertrags (EAV) zugeflossen waren. Sie hatte danach den gemeinen Wert der Anteile zum 31. Dezember 1962 errechnet. Das FA setzte dagegen die Betriebsgewinne der Jahre 1960, 1961 und 1962 mit dem vollen körperschaftsteuerpflichtigen Einkommen einschließlich der Handelsbilanzgewinne der Organgesellschaft an und stellte den gemeinen Wert der Anteile der Klägerin zum 31. Dezember 1962 dementsprechend fest.

Die Sprungberufung hatte Erfolg. Das FG führte im wesentlichen aus: Nach dem Urteil des BFH III 352/59 U vom 29. März 1963 (BFH 77, 19, BStBl III 1963, 324) seien die Ertragsaussichten der Organgesellschaft, obwohl sie auf Grund des EAV an die Organträgerin abzuführen seien, bei der Ermittlung des gemeinen Werts der Anteile an dieser Organgesellschaft zu berücksichtigen. Sie wirkten sich also bereits in dem Vermögenswert der Organträgerin aus, bei dem der gemeine Wert der Anteile an der Organgesellschaft angesetzt werde. Die Ertragsaussichten der Organgesellschaft könnten nicht darüber hinaus noch einmal bei der Berechnung der Ertragsaussichten der Organträgerin berücksichtigt werden. Ein fiktiver Käufer würde die Quote am Gewinn des Organs, die ihm bei Übernahme einer Beteiligung an der Organträgerin zustehen würde, nur einmal berücksichtigen. Der RFH habe deshalb in dem Urteil III 253/38 vom 15. Februar 1940 (RStBl 1940, 494) das Verfahren eines FA, das den Gewinn einer Organgesellschaft, nachdem es ihn bei der Ermittlung des Werts der Anteile der Organgesellschaft herangezogen hatte, bei der Bewertung der Anteile an der Organträgergesellschaft außer Betracht ließ, als "folgerichtig" bezeichnet. Dieses Verfahren stehe auch entgegen der Auffassung von Dahlheimer (Steuerwarte 1964 S. 124) nicht dazu in Widerspruch, daß an Börsen gehandelte Wertpapiere dem Vermögen der Gesellschaft, die sie besitze, mit ihrem vollen Kurswert, in dem sich die Ertragsaussichten niedergeschlagen hätten, zugerechnet und "außerdem" die tatsächlichen Erträge aus den Wertpapieren bei der Ermittlung des Ertragshundertsatzes der besitzenden Gesellschaft herangezogen würden. Denn nach der Rechtsprechung des RFH gebe der Kurswert häufig keinen Aufschluß über den tatsächlichen inneren Wert des betreffenden Unternehmens und dessen Ertragsaussichten. Ebensowenig ergebe sich entgegen der Auffassung von Rid (BB 1964, 715) eine Parallele zwischen den Sachverhalten des Streubesitzes oder der Sperrminorität und dem Fall der Organschaft mit EAV. Gewinnausschüttungen seien immer geringer als eine Gewinnabführung. Es könne auch aus dem Gesetz nicht gefolgert werden, daß eine "Doppelbesteuerung" des Ertragswerts der Organgesellschaft im Sinn der Rechtsordnung liege. § 60 BewG zeige im Gegenteil die Tendenz des Gesetzgebers, eine vervielfachte steuerliche Erfassung bei der Verschachtelung einer Kapitalgesellschaft mit einer anderen zu vermeiden. Abschn. 83 VStR 1963 entspreche insoweit nicht dem Gesetz. Diese Auffassung werde im Schrifttum z. B. von Rössler-Troll (Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 7. Aufl. S. 906 [8. Aufl. S. 1167]), Troll (BB 1964, 296), Henniger (GmbH-Rundschau 1964 S. 65) und Jurgeleit (Finanz-Rundschau 1964 S. 445) vertreten.

Mit der nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandelnden Rechtsbeschwerde rügt das FA unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Es ist der Auffassung, daß die Gewinne der Organgesellschaft bei der Berechnung des Ertragshundertsatzes zur Ermittlung des gemeinen Werts der Anteile an der Klägerin zu berücksichtigen seien.

Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ist in der mündlichen Verhandlung dieser Auffassung des FA entgegengetreten. Er ist der Meinung, das FG habe zu Recht eine doppelte Erfassung der Ertragsaussichten der Organgesellschaft durch Ansatz beim Vermögenswert und bei der Errechnung des Ertragshundertsatzes für die Anteile an der Obergesellschaft abgelehnt. Zumindest müßten im Streitfall, in dem eine Beteiligung von 100 v. H. bestehe und die Obergesellschaft mit der Organgesellschaft "eine wirtschaftliche Einheit" bilde, die Anteile an der Obergesellschaft wie die Anteile an einer Holdinggesellschaft behandelt werden.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die von der Organgesellschaft erzielten Gewinne bei der Feststellung des gemeinen Werts ihrer Anteile nach dem BFH-Urteil III 352/59 U (a. a. O.) zu berücksichtigen waren und daß dies im Streitfall auch geschehen ist. Es ist auch richtig, daß diese Gewinne den Vermögenswert der Anteile an der Klägerin erhöht haben, weil die Schachtelbeteiligung an der Organgesellschaft bei der Ermittlung des Vermögenswerts der Anteile an der Klägerin angesetzt worden ist. Der Senat folgt jedoch nicht der Auffassung des FG, daß deswegen eine nochmalige Berücksichtigung der Gewinne der Organgesellschaft bei der Ermittlung des Ertragshundertsatzes für die Anteile an der Klägerin ausgeschlossen sei. Diese Auffassung beruht auf der Annahme, daß ein fiktiver Käufer der Anteile an der Klägerin die Tatsache, daß aus dem EAV mit der Organgesellschaft Gewinne zufließen, nur einmal bei der Berechnung des Kaufpreises berücksichtigen werde. Diese Annahme hält der Senat nicht für richtig.

Ausgangspunkt für alle Überlegungen muß nach Auffassung des Senats sein, daß der gedachte Erwerb von Anteilen an der Obergesellschaft ohne Einfluß auf den Fortbestand des EAV ist. Denn nur dann lassen sich zutreffende Folgerungen auf den Wert der Anteile in der Hand der jetzigen Gesellschafter ziehen.

Wenn man von der Grundkonzeption des Stuttgarter Verfahrens zur Ermittlung des gemeinen Werts ausgeht, daß nämlich ein Erwerber von Anteilen in erster Linie von dem Vermögenswert ausgeht und die Ertragsaussichten nur als Korrektiv berücksichtigt (vgl. Abschn. 79 VStR 1963), so wird der fiktive Erwerber von Anteilen an einer Gesellschaft, die mit einer Organgesellschaft einen EAV abgeschlossen hat, bei der Bemessung des Kaufpreises folgende Überlegungen anstellen: Er wird einmal berücksichtigen, daß er mit dem Vermögenswert auch eine Beteiligung an einer Organgesellschaft erwirbt. Ihm wird dabei bewußt sein, daß der Wert dieser Beteiligung auch durch die Ertragsaussichten beeinflußt ist, die diese Organgesellschaft hat. Diese Ertragsaussichten bestehen jedoch unabhängig davon, ob die Organgesellschaft ihre Gewinne selbst behalten oder auf Grund eines EAV an den Organträger abführen muß. Denn nach dem BFH-Urteil III 352/59 U (a. a. O.) sind die Ertragsaussichten ja gerade ohne Berücksichtigung des EAV berechnet worden. Die Auswirkungen des EAV zeigen sich vielmehr erst darin, daß durch die Gewinnabführungsverpflichtung der Organgesellschaft die Ertragsaussichten des Organträgers steigen. Auch diesen Umstand wird der Erwerber bei der Bemessung des Kaufpreises der Anteile berücksichtigen. Daß dies der Fall ist, zeigt sich eindeutig dann, wenn die Organgesellschaft keine Gewinne erzielt, sondern Verluste erleidet, die der Organträger auf Grund des EAV zu übernehmen hat. Für diesen Fall hat der I. Senat in dem Urteil I 262/63 vom 18. Oktober 1967 (BFH 90, 370, BStBl II 1968, 105) ausgeführt, daß ein EAV nicht ohne Auswirkung auf den gemeinen Wert der Anteile bleibe, wenn, wie es das Gesetz vorschreibe, auch die Ertragsaussichten zu berücksichtigen seien. Denn ein fremder Käufer der Anteile werde den Betrag, der dem Vermögenswert der Anteile entspreche, zum Erwerb dieser Anteile nur dann aufwenden, wenn die Anteile einen Ertrag versprächen, der mindestens der marktüblichen Verzinsung des Kapitals entspricht. Insoweit enthalte Abschnitt 79 VStR 1966 (= Abschn. 79 VStR 1963) einen allgemeinen Rechtsgedanken, der auf der wirtschaftlichen Erfahrung beruhe. Der Senat schließt sich dieser Auffassung des I. Senats an. Sie führt dazu, daß beim Vorhandensein von Gewinnen der gedachte Erwerber die günstigen Auswirkungen des EAV bei der Bemessung des Kaufpreises über den Vermögenswert hinaus berücksichtigen wird. Soweit der I. Senat von dieser Auffassung bei der Bewertung der Anteile eines Minderheitsgesellschafters abweicht, hat er dies aus körperschaftsteuerlichen Gründen getan. Der Senat braucht dazu nicht Stellung zunehmen, zumal es sich im Streitfall nicht um die Bewertung von Anteilen eines Minderheitsgesellschafters handelt.

Der Senat braucht im Streitfall auch nicht zu entscheiden, ob in Ausnahmefällen, etwa dann, wenn die Organgesellschaft ständig im Verhältnis zu ihrem Vermögen sehr hohe Gewinne erzielt und abführt, der gemeine Wert der Anteile an der Obergesellschaft durch einen Abschlag oder in anderer Weise ermäßigt werden müßte. Der Senat hat mehrfach, zuletzt in dem vom Prozeßbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung erwähnten Urteil III R 135/67 vom 18. Dezember 1968 (BFH 95, 266, BStBl II 1969, 370) hervorgehoben, daß der nach dem Stuttgarter Verfahren ermittelte Wert nur ein Annäherungswert sein kann und daß im Einzelfall "gewisse Unebenheiten und Härten" hingenommen werden müssen. Nach Auffassung des Senats handelt es sich auch im Streitfall, in dem sich selbst bei Berücksichtigung der engen Verpflechtung der Klägerin mit der Organgesellschaft nach der Berechnung des Prozeßbevollmächtigten ein nur um wenige Punkte geringerer gemeiner Wert ergeben würde, als ihn das FA festgestellt hat, um eine solche "Unebenheit", die keine Ausnahmebehandlung erfordert.

Da die Vorentscheidung von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, war sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage (Sprungberufung) des Klägers gegen den Feststellungsbescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung des gemeinen Werts der Anteile an der Klägerin zum 31. Dezember 1962 war als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68628

BStBl II 1969, 609

BFHE 1969, 319

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