Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsrecht Verfahrensrecht, Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur gerichtlichen Nachprüfung von Prüfungsentscheidungen. Der Senat hält an der im Urteil VII 35/63 vom 4. Februar 1964 (HFR 1964, 467 Nr. 427) vertretenen Rechtsauffassung, daß Prüfungsakten der Steuerbevollmächtigten- oder der Steuerberaterprüfung vom Geprüften nur mit Zustimmung derjenigen Stelle, der sie gehören, eingesehen werden können, nicht fest.

 

Normenkette

StBerG § 4 Abs. 2, § 8/2; AO § 107a; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger hatte sich im Jahre 1960 der schriftlichen und mündlichen Prüfung als Helfer in Steuersachen (HiSt) erfolglos unterzogen. Sein Antrag auf Zulassung als HiSt war deshalb wegen fehlenden Nachweises der erforderlichen Sachkunde abgelehnt worden. Nach dem vom FG in der Vorentscheidung dargestellten Sachverhalt beantragte der Kläger mit Schreiben vom 11. August 1961 die Zulassung zur Prüfung 1961 als HiSt. Er nahm in der Zeit vom 10. bis 12. Oktober 1961 an der schriftlichen Prüfung 1961 teil. Der Prüfungsausschuß für Steuerbevollmächtigte bei der Oberfinanzdirektion (OFD) beurteile u. a. die Klausurarbeit des Klägers aus dem Gebiet der Buchführung mit mangelhaft und die Arbeit aus dem Gebiet des Umsatzsteuerrechts mit ungenügend. Die OFD gab dem Kläger diese Beurteilung mit Schreiben vom 27. Februar 1962 bekannt und lehnte seinen Antrag auf Zulassung als HiSt (jetzt: Bestellung als Steuerbevollmächtigter) unter Hinweis auf § 4 Abs. 2 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten vom 16. August 1961 (StBerG) ab. Der Kläger legte gegen den Bescheid der OFD Beschwerde ein. Er beantragte u. a. die "Akteneinsicht in die" von ihm "gefertigten Prüfungsarbeiten" und bat, ihn als Steuerbevollmächtigten zu bestellen, da er den Befähigungsnachweis erbracht habe. Der Finanzminister wies die Beschwerde als unbegründet zurück.

Gegen die ablehnende Beschwerdeentscheidung legte der Kläger Berufung ein. Das FG wies die Berufung als unbegründet zurück. Es führte insbesondere aus: Der Finanzminister habe mit Recht dem Antrag des Klägers auf Einsichtgewährung in die von ihm gefertigten Klausurarbeiten nicht entsprochen; das FG nahm auf die Begründung in der Beschwerdeentscheidung Bezug. In der Sache selbst habe der Finanzminister in der Beschwerdeentscheidung zutreffend ausgeführt, daß der Kläger Einwendungen, soweit sie sich gegen die Prüfung 1960 richteten, nicht mehr geltend machen könne, da er den Bescheid vom 23. März 1961, in dem ihm mitgeteilt worden sei, daß er die Prüfung 1960 nicht bestanden habe, nicht angefochten habe. Die Einwendungen des Klägers gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses hinsichtlich 1961 seien unbegründet.

Der Kläger hat gegen die Vorentscheidung Rb. eingelegt, die nunmehr als Revision zu behandeln ist. Der Kläger bittet, die prüfungsbefreite Bestellung als Steuerbevollmächtigter anzuordnen, die er bereits 1961 beantragt habe. Er habe die erforderliche Sachkunde nachgewiesen. Die Einsichtnahme in seine Prüfungsakten sei ihm zu Unrecht verweigert worden. Er rügt mangelnde Sachaufklärung durch das FG, insbesondere über die von ihm behaupteten Tatsachen hinsichtlich nicht objektiver Behandlung durch den Prüfungsausschuß. Auch seien die Prüfungsanforderungen bei den Prüfungen als HiSt bzw. als Steuerbevollmächtigte überspannt worden. Auch der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG sei verletzt worden.

Der Finanzminister hält eine prüfungsbefreite Bestellung des Klägers als Steuerbevollmächtigter nach bisherigem Recht nicht mehr für möglich; für eine solche Bestellung nach den Vorschriften des StBerG lägen die dafür vorgeschriebenen Voraussetzungen nicht vor. Der Finanzminister hält die Vorentscheidung für zutreffend. Er bittet, die Revision als unbegründet zurückzuweisen und dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Entscheidung.

Es fragt sich, ob der Kläger den nach § 4 Abs. 2 StBerG durch eine Prüfung zu erbringenden Sachkundenachweis durch die Teilnahme an der Steuerbevollmächtigtenprüfung 1961 erbracht hat. Er ficht die Nichtanerkennung des behaupteten Erfolgs der Prüfung 1961 an.

Er bemängelt zunächst, daß ihm im Rechtsmittelverfahren die Einsichtnahme in die Prüfungsunterlagen zu Unrecht verweigert worden sei. In der Frage des Rechts des Klägers auf Einsichtnahme in die Prüfungsunterlagen, welche dem Prüfungsausschuß zur Beurteilung vorgelegen haben, insbesondere also seiner Prüfungsarbeiten mit Vermerken der Prüfenden und mit Benotungen - eine solche Einsichtnahme bezweckte der Kläger dem Sinne nach -, vermag der erkennende Senat der Meinung der Vorinstanzen nicht beizutreten. Zwar hat der Senat in dem Urteil VII 18/62 vom 25. Juni 1963 (HFR 1963 375/6 Nr. 359) entschieden, daß die Beurteilung von Prüfungsleistungen ein Gebiet der Verwaltung ist, auf dem ihr ein Beurteilungsspielraum zusteht, der nicht voll nachprüfbar ist. An diesem Grundsatz, der auch mit verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung im Einklang steht, hält der Senat fest, und zwar erachtet er die Prüfungsentscheidungen nur in folgender Hinsicht für nachprüfbar: ob die Prüfenden von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen sind, ob sachfremden Erwägungen Raum gegeben worden ist, insbesondere auch, ob die Prüfungsanforderungen (in bezug auf Aufgabenstellung und auf Bewertung der Arbeiten) überspannt worden sind, ob sonst allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe außer acht gelassen oder ob sonst die Verfahrensbestimmungen für die Prüfung nicht eingehalten worden sind. Nur wenn eine Nachprüfung unter diesen Gesichtspunkten einen Verstoß ergibt und die Prüfungsentscheidung darauf beruht, der Verstoß also rechtserheblich ist, können Einwendungen gegen die Prüfungsentscheidung im einzelnen Fall zum Erfolg führen. Diese beschränkte Nachprüfbarkeit der Prüfungsentscheidungen entspricht dem Wesen der Prüfungen und dient der Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit der Prüfenden bei der Prüfungsentscheidung (vgl. insoweit z. B. auch die sinngemäß verwertbare Entscheidung des BVerwG in BVerwGE 8, 272, 273/4). Es ist daher auch zutreffend, daß - wie der Senat in dem Urteil VII 35/63 vom 4. Februar 1964 (HFR 1964, 467 Nr. 427) dargelegt hat - grundsätzlich für die Beurteilung von Prüfungsleistungen gilt, daß diese nicht durch die Gerichte, sondern durch den Prüfungsausschuß geschieht; der Prüfungsbewerber, der die Prüfung nicht bestanden hat, hat grundsätzlich auch kein Recht darauf, daß die Prüfung durch andere Sachverständige (einen anderen Prüfungsausschuß) bewertet wird. Der Kläger kann auch nicht verlangen, die Prüfungsakten anderer Prüflinge einzusehen.

Wenn der Senat jedoch in der letzterwähnten Entscheidung ausgesprochen hat, daß die Prüfungsakten der Steuerbevollmächtigtenprüfung "Vorakten" im Sinne des § 267 Abs. 1 Satz 2 der AO a. F. seien, es zu ihrer Einsichtnahme durch den Geprüften der Zustimmung derjenigen Stelle bedürfe, der die Akten gehören, und daß daher die Prüfungsakten des Geprüften der Einsichtnahme durch ihn entzogen seien, so hält er hieran nicht mehr fest (vgl. auch Mattern/Messmer, Reichsabgabenordnung, Textziff. 625, sowie Deutsche Steuerzeitung A 1966 S. 340 II 2). Der vom Finanzminister mehrfach erwähnte Beschluß des BVerwG vom 23. Februar 1962 VII B 21.61 (BVerwGE 14, 31, 34/5, Deutsches Verwaltungsblatt 1962 S. 379, 380) vermag den Senat in der Begründung zu 3 und 4 nicht zu überzeugen. Auch der Finanzminister ist in seinen Stellungnahmen der Meinung, daß die Entscheidung des Prüfungsausschusses "in einem begrenzten Umfang" gerichtlich nachprüfbar sei (u. a. verfahrensmäßig: ob die Arbeiten von allen Mitgliedern des Prüfungsausschusses benotet worden seien, ob die vorgesehenen Beurteilungsnoten angewendet worden seien und ob die Prüfungsnoten für die einzelnen Arbeiten jeweils aus den Einzelvorschlägen der Prüfer zutreffend ermittelt worden seien). Diese Prüfung werde "dem Gericht aber wesentlich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht, wenn ihm die Prüfungsarbeiten nicht vorgelegt würden". Im Interesse der Unabhängigkeit der Prüfer sei es erforderlich, daß die Prüfungsakten zwar dem Gericht zur uneingeschränkten Auswertung vorgelegt würden, dem Kläger jedoch die Einsichtnahme versagt bliebe.

Ein solches Verfahren hielte jedoch rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht stand, insbesondere nicht möglichster "Chancengleichheit" der Streitenden im Prozeßverfahren (vgl. dazu auch die Urteile des BFH IV 169/58 S vom 10. November 1961, BFH 74, 289, BStBl III 1962, 109, 111, und I 302/61 S vom 16. Januar 1965, BFH 84, 268, 272, BStBl III 1966, 97) und dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), aber auch nicht dem Grundsatz ausreichender Rechtsschutzgewährung gegenüber einer Rechtsverletzung durch die öffentliche Gewalt (Art. 19 Abs. 4 GG). Der Senat vermag zunächst dem BVerwG in BVerwGE 8, 272, 274 nicht beizutreten, daß auch vom Gegenstandpunkt aus die rechtliche Nachprüfung der Prüfungsentscheidungen nicht verwehrt werde. Zur Wahrnehmung seiner Rechte aus Art. 19 Abs. 4 GG wird der mit negativem Erfolg Geprüfte nicht immer aus einer Rücksprache mit dem Vorsitzenden oder einem Mitglied des Prüfungsausschusses diejenige Aufklärung erhalten, die ihm die Unterlage für seinen Rechtsbehelf (Beschwerde, Klage) gibt, z. B. Anhaltspunkte für etwaige sachfremde Randbemerkungen eines Prüfenden an einer schriftlichen Arbeit des Geprüften; er wird auch den genauen Wortlaut dieser Randbemerkungen kennen müssen, um sich darüber schlüssig zu werden, ob ein Rechtsbehelf Erfolg haben kann. Die Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit der Prüfenden wird durch die Einsichtnahme in die Prüfungsakten, insbesondere in die mit Randbemerkungen versehenen und benoteten Prüfungsarbeiten, nicht beeinträchtigt; die Prüfenden müssen auch eine etwa unberechtigte Kritik in Kauf nehmen. Die Unabhängigkeit der Prüfenden wird insbesondere durch die oben bezeichnete beschränkte gerichtliche Nachprüfbarkeit der Prüfungsentscheidungen gesichert, die sich aus dem Wesen der Prüfung ergibt, nicht aber durch eine rechtsstaatlich bedenkliche erschwerte Aufklärbarkeit von Fehlern, die bei der Prüfung auf seiten der Prüfenden etwa vorgekommen sind. Die Tätigkeit des Prüfenden bei der Beurteilung von Prüfungsarbeiten und Prüfungsergebnissen (Votierung durch die Prüfenden) ist auch der Tätigkeit des Richters bei der Urteilsfindung nicht völlig gleichzusetzen; es besteht nur eine gewisse ähnlichkeit. Deshalb ist auch die Unabhängigkeit dem Richter durch das GG garantiert, während eine gleiche ausdrückliche Regelung für Prüfende und ihre Beurteilung der Prüfungsleistungen nicht besteht. Die Regelungen des § 100 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung und des § 78 Abs. 2 FGO sind sonach nicht unbeschränkt auf die Tätigkeit der Prüfenden bei der Beurteilung von Prüfungsarbeiten entsprechend anwendbar. Gegen die Meinung des Finanzministers, die Verwertung der Prüfungsakten durch das Gericht sei zur ordnungsmäßigen und gerechten überprüfung erforderlich, die Akten dürften aber dem erfolglos Geprüften nicht bekanntgegeben werden, wendet sich der Kläger zutreffend auch aus dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs; sie steht mit Art. 103 Abs. 1 GG nicht im Einklang. Auch das BVerwG hat in seiner neueren Rechtsprechung (vgl. BVerwGE 19, 128, 132) anerkannt, daß ein Rechtsschutzinteresse für eine über eine mündliche Auskunft hinausgehende Information "in besonders gelagerten Fällen in Betracht kommen" könne, "insbesondere, wenn gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen sollten, daß bei der Prüfung Bewertungsfehler unterlaufen sind, die einer Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte unterliegen". Ein "besonders gelagerter Fall" liegt im Streitfall auch vor. Der Kläger macht nämlich geltend, daß bei der Prüfung 1961 sachfremde Erwägungen obgewaltet hätten, insbesondere, daß die Prüfungsanforderungen überspannt worden seien.

Sonach ist dem Kläger die Einsichtnahme in seine Prüfungsakten zu Unrecht verweigert worden. Die Vorentscheidung kann mithin nicht bestehen bleiben. Die Sache wird gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.

Das FG wird außer der Nachprüfung, ob sachfremde Erwägungen obgewaltet haben, insbesondere, ob die Prüfungsanforderungen (hinsichtlich der gestellten Prüfungsaufgaben oder hinsichtlich der Bewertung der Prüfungsleistungen) überspannt worden sind, noch zu beachten haben, daß der Kläger auch Bedenken gegen die Verfahrensbestimmungen erhoben hat (vgl. seine Beschwerdeschrift und die Beschwerdeentscheidung Seite 7). Es wird auch diese Frage zu prüfen sein, auch, ob die Prüfungsbestimmungen - der Finanzminister zitiert einen änderungserlaß vom 25. Juli 1960 S 1144 - 1 - V D 3 - ordnungsmäßig bekanntgegeben worden sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 423983

BStBl III 1967, 579

BFHE 1967, 370

BFHE 89, 370

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