Leitsatz (amtlich)

Sind bei einer Kettenbriefaktion ("Amerikanisches Roulette") weder der Verpflichtete, demgegenüber ein Gewinner seinen Gewinnanspruch geltend machen kann, noch die Zahl und die Höhe der Gewinne bekannt, und ist ungewiß, ob überhaupt ein Teilnehmer einen Gewinn erzielen wird, so ist der Plan, nach dem sich ein solches "Spiel" vollzieht, insoweit unbestimmt, und eine solche Veranstaltung wird demgemäß nicht nach "einem bestimmten Plan" i. S. des Lotteriebegriffs abgewickelt.

 

Normenkette

RennwLottG § 17

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) setzte zu Beginn des Jahres 1970 ein Spiel der folgenden Art (sog. Amerikanisches Roulette) in Gang: Der Kläger verkaufte an einzelne Mitspieler zum Preis von 4 DM eine Liste mit fünf Namenszeilen. Die ersten vier Namenszeilen enthielten jeweils den Namen und die Anschrift je einer Person; die letzte Zeile war frei. Der Käufer der Liste sollte nach ihrem Erwerb der an erster Stelle der Liste genannten Person 15 DM überweisen, seinen Namen an fünfter Stelle eintragen und die Liste zusammen mit dem Überweisungsbeleg und Briefmarken an den Kläger zurückschicken. Sodann sollte er vom Kläger fünf neue Listen erhalten, in denen der Name des Empfängers der 15 DM fehlte und die anderen entsprechend vorgerückt waren. Diese neuen Listen sollte der nunmehr auf den Listen an letzter Stelle stehende Mitspieler an von ihm zu findende neue Mitspieler zum Preis von 4 DM vertreiben. Durch den Vertrieb der fünf Listen zum Preis von je 4 DM konnte der Mitspieler also seine Ausgaben von 20 DM (4 DM Listenkauf, 15 DM Überweisung und 1 DM Briefmarken) decken und erhielt darüber hinaus die Chance, 9 375 DM (54 x 15 DM) zu gewinnen, falls sich genügend nachfolgende Mitspieler fanden.

Seit dem 24. April 1970 wandelte der Kläger das Spiel dahin gehend ab, daß er sich mit der Überweisungsquittung noch eine Bearbeitungsgebühr von 5 DM bezahlen ließ.

Das FA hielt diese Veranstaltung für eine Lotterie, errechnete aufgrund der eingegangenen Bearbeitungsgebühren für die Zeit nach dem 24. April 1970 3 100 Mitspieler und schätzte für die Zeit davor die Zahl der Mitspieler auf 3 000. Als Einsatz nahm es für die Zeit vor dem 24. April 1970 20 DM, für die Zeit danach 25 DM an. Dementsprechend setzte es gegen den Kläger durch Bescheid vom 28. September 1971 Lotteriesteuer in Höhe von 22 504,15 DM fest.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das FG hob den Steuerbescheid ersatzlos auf, da es in dem Spiel keine Lotterie sah.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist im Ergebnis unbegründet.

Im Inland veranstaltete öffentliche Lotterien und Ausspielungen unterliegen einer Steuer (§ 17 Satz 1 des Rennwett- und Lotteriegesetzes - RennwLottG -).

Die vom Kläger betriebene Veranstaltung ist weder Lotterie noch Ausspielung in diesem Sinne.

Unter Lotterie wird nach der Rechtsprechung eine Veranstaltung verstanden, bei der einer Mehrzahl von Personen die Möglichkeit eröffnet wird, nach einem bestimmten Plan gegen einen bestimmten Geldeinsatz ein vom Eintritt eines zufälligen Ereignisses abhängiges Recht auf einen bestimmten Geldgewinn zu erwerben (vgl. Urteile des Reichsgerichts vom 8. Oktober 1926 I 381/26, RGSt 60, 385, und vom 22. Dezember 1933 4 D 177/33, RGSt 67, 397; Oberlandesgericht Braunschweig, Urteil vom 10. September 1954 Ss 128/54, NJW 1954, 1777; Klenk, Der Lotteriebegriff in straf- und steuerrechtlicher Sicht, Goltdammer's Archiv für Strafrecht 1976 S. 361).

In Nordrhein-Westfalen versteht die Verwaltung nach dem Runderlaß des Innenministeriums vom 12. März 1957 I C 4/24 - 30.11 (Ministerialblatt - MinBl - NW S. 698) unter Lotterie eine Veranstaltung, durch die einer Mehrzahl von Personen vertragsgemäß gegen Entrichtung eines Einsatzes nach einem bestimmten Plane und nach außen hin erkennbar, die Hoffnung auf einen ausschließlich oder doch überwiegend vom Zufall abhängenden Geldgewinn gewährt wird (vgl. Ausführungsanweisung zur Verordnung über die Genehmigung öffentlicher Lotterien und Ausspielungen - Lotterieverordnung - vom 6. März 1937, RGBl I 1937, 283, i. d. F, der Bekanntmachung vom 1. Juni 1955, Gesetz- und Verordnungsblatt Nordrhein-Westfalen S. 119 - GVBl NW, 119 -).

Im Handwörterbuch der Sozialwissenschaften (Stuttgart - Tübingen - Göttingen 1961, Bd. 7) wird zum Begriff "Lotterie" ausgeführt:

"Die Lotterie stellt eine Sonderform des Glückspieles dar. Sie besteht aus einer vertraglichen Vereinbarung zwischen einem oder mehreren privaten oder öffentlichen Unternehmen und meist zahlreichen Teilnehmern. Der Unternehmer verpflichtet sich schuldrechtlich, nach einem festgesetzten und veröffentlichten Spielplan die "gezogenen" Gewinne an die Lotterieteilnehmer nach Maßgabe ihrer Einsätze auszuschütten. Diese erwerben das Recht der Teilnahme an der Ziehung oder Ausspielung durch die Einzahlung eines Geldbetrags oder eines geldähnlichen Gutes ("Einsatz"); als Quitting aber erhalten sie hierfür in der Regel einen Schein ("Los")."

Bei Dreher (StGB, 36. Aufl., München 1976, § 286 Anm. 2) heißt es: Eine Lotterie "liegt vor, wenn eine Mehrzahl von Personen vertragsgemäß die Möglichkeit hat, nach einem bestimmten Lotterieplan gegen bestimmten Einsatz einen bestimmten Geldgewinn zu machen, dessen Erzielung den Mitspielern erkennbar vom Zufall abhängig ist". Ferner sagt Dreher (a. a. O.): Ein Spielplan muß "vom Veranstalter der Lotterie aufgestellt werden, in dem die möglichen Gewinne und Verluste nach Zahl und Höhe und deren Verteilung an die Mitspieler festgelegt sind".

Gleichgültig von welcher Bestimmung des Begriffs "Lotterie" ausgegangen wird, wird jedenfalls u. a. begrifflich vorausgesetzt, daß nach einem "bestimmten Plan" gewonnen werden kann. Dieses Merkmal (es müsse nach einem "bestimmten Plan" gewonnen werden können) hat der Begriff der Lotterie mit dem der "Ausspielung" gemeinsam.

Der Ausdruck "Spielplan" wird in diesem Zusammenhang vielfach sowohl als Oberbegriff gebraucht, um die Gesamtheit der Regeln zu beschreiben, die das Spiel und die Einzelheiten seines Ablaufs, die Beteiligung an ihm und die Regeln über die bei dem Spiel anfallenden Gewinne und ihre Verteilung betreffen - also dem Merkmal "bestimmter Plan" gleichgesetzt -, als auch mit dem Inhalt, daß entweder nur die Beschreibung des Spiels und seine Einzelheiten oder diese und die Regeln für die Beteiligung an dem Spiel bezeichnet werden. Steuerrechtlich wie strafrechtlich muß dem "bestimmten Plan" i. S. des Lotterie- wie des Ausspielungsbegriffs entnommen werden können, nach welchen Regeln das Spiel betrieben wird (Spielbeschreibung) und unter welchen Voraussetzungen sich eine Mehrzahl von Personen beteiligen kann (Beteiligungsbedingungen; Spielbeschreibung und Beteiligungsbedingungen zusammen können als "Spielregel" bezeichnet werden) sowie wie die Gewinne (ihrer Zahl und Höhe nach) festgesetzt bzw. ermittelt (Gewinnfestsetzungsplan; Gewinnermittlungsplan; häufig kurz als Gewinnplan bezeichnet) und verteilt (Gewinnverteilungsplan) werden (Gewinnermittlungsplan bzw. Gewinnfestsetzungsplan und Gewinnverteilungsplan zusammen ergeben den Gewinnplan). Spielregel und Gewinnplan bilden bei dieser Ausdrucksweise den "Spielplan" oder sind - anders ausgedrückt - der "bestimmte Plan" i. S. von Steuerrecht und Strafrecht.

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, welche Voraussetzungen im einzelnen erfüllt sein müssen, damit eine Veranstaltung als nach einem "bestimmten Plan" betrieben anzusehen ist. Denn diese Voraussetzungen sind notwendigerweise unterschiedlich je nach der Art der Lotterie.

Während z. B. bei der typischen Klassenlotterie der Gewinn von dem Ereignis abhängt, ob bei der Ziehung ein Gewinn auf das Los entfällt, ist beim Zahlenlotto die Höhe des Gewinnes außerdem davon abhängig, wie viele Personen sich an der Veranstaltung beteiligten und wie viele im gleichen Umfange alle oder mehrere Zahlen richtig geraten haben (vgl. dazu Oberlandesgericht Braunschweig, Urteil vom 10. September 1954 - Ss 128/54, NJW 1954, 1777).

Anzahl und Höhe der Gewinne einer Lotterie brauchen nicht von vornherein festzustehen; der Gewinnplan (im oben erwähnten weiten Sinne von Gewinnfestsetzungs- bzw. Gewinnermittlungsplan und Gewinnverteilungsplan) muß aber in einem solchen Fall bindende Regeln enthalten, nach denen sich die Anzahl und die Höhe der Gewinne bestimmen, wenn festgestellt ist, wie hoch die Geldsumme ist, die nach den Bedingungen des Planes auszuschütten ist (vgl. Urteil des Reichsgerichts vom 4. Oktober 1934 2 D 1180/33, Juristische Wochenschrift 1934 Nr. 19 S. 3204).

Der vom Kläger betriebenen Veranstaltung liegen zwar Regeln, nach denen sich das Spiel vollziehen soll, und solche, aus denen sich ergibt, wer sich aufgrund welcher Bedingungen beteiligen kann, zugrunde. Die Darstellung des Spiels durch den Kläger scheint auch einen Gewinnfestsetzungs- und einen Gewinnverteilungsplan zu enthalten. Denn der Kläger erweckt durch seine Angaben die Erwartung, ein Teilnehmer könne, wenn er seinen Einsatz leiste und sich an der Veranstaltung beteilige, Geld in errechenbarer Höhe gewinnen. Dabei läßt der Kläger aber offen, ob jemand und ggf. wer zu welchem Zeitpunkt den erhofften Gewinn bzw. die jeweiligen Teilbeträge davon dem "Gewinner" zahlen werde - wobei dahingestellt bleiben kann, ob dies im Auftrag des Veranstalters geschehen würde oder als Folge der Beteiligung ohne ein solches Auftragsverhältnis des Veranstalters -, mit anderen Worten wer der zur Zahlung der Gewinne Verpflichtete ist. Insofern ist der Gewinnverteilungsplan unbestimmt, mag er auch eine theoretische Bestimmung dessen, der die Zahlung leisten werde, enthalten. Offen ist ferner, ob und ggf. wie viele Gewinne in welchem Zeitraum bei der Durchführung eines Spiels anfallen werden. Insofern ist der Gewinnermittlungsplan unbestimmt, mag auch er eine theoretische Bestimmung darüber enthalten, unter welchen Umständen ein Teilnehmer gewinnen könnte und daß diese Erwartung für die auf der Liste stehenden Teilnehmer nacheinander möglich sei. Im Hinblick auf die vorstehenden Umstände ist der "Gewinnplan" und damit auch der "Plan" insgesamt also nicht bestimmt, sondern unbestimmt.

Die Veranstaltung solcher "Glücksspiele" nach dem Schneeballsystem wird dadurch möglich, daß eine genügende Anzahl Menschen diese Ungewißheiten nicht erkennt und nicht in der Lage ist zu beurteilen, in welchem Umfang und mit welchen Chancen das angebliche "Spiel" durchführbar ist und mit Erfolg verbunden sein kann, daß mit anderen Worten genügend Menschen die Durchführbarkeit der Theorie des angeblichen "Spiels" nicht zu durchschauen vermögen.

Sind wie hier aber weder der Verpflichtete, demgegenüber ein Gewinner seinen Gewinnanspruch geltend machen kann, noch die Zahl und die Höhe der Gewinne bekannt, und ist ungewiß, ob überhaupt ein Teilnehmer einen Gewinn erzielen wird, so ist der Plan insoweit unbestimmt, und eine solche Veranstaltung wird demgemäß nicht nach einem "bestimmten Plan" i. S. des Lotterie- wie des Ausspielungsbegriffs abgewickelt.

Der Mangel der Bestimmtheit ist im vorliegenden Fall gerade das Merkmal, wodurch sich diese Veranstaltung von einer Lotterieveranstaltung - einer Veranstaltung mit einem Plan, der diese Unbestimmtheiten nicht enthält - unterscheidet.

Der Senat kann es dahingestellt sein lassen, ob das Fehlen des Merkmals, "wer der zur Zahlung des Gewinns Verpflichtete ist", allein bereits einen Gewinnplan "unbestimmt" sein läßt und ob allein die Ungewißheit, daß es trotz Veranstaltung möglicherweise überhaupt keinen Gewinn geben wird, ebenfalls bereits einen Gewinnplan "unbestimmt" sein läßt. Jedenfalls ist ein Plan, bei dem diese beiden Ungewißheiten zusammentreffen, kein "bestimmter Plan" i. S. des Lotteriewie des Ausspielungsbegriffs.

Ist die Veranstaltung des Klägers weder Lotterie noch Ausspielung, unterliegt sie auch nicht gemäß § 17 RennwLottG der Steuer.

Soweit das Oberlandesgericht Karlsruhe im Urteil vom 16. Dezember 1971 (- 1 Ss 243/71, NJW 1972, 1963) hinsichtlich des Lotterie- und Ausspielungsbegriffs von anderen Überlegungen ausgegangen sein sollte, vermag ihm der Senat nicht zu folgen.

Der Senat braucht unter diesen Umständen nicht darauf einzugehen, ob dem Lotterie- und Ausspielungsbegriff notwendig innewohnt, daß das Spiel vom Veranstalter nicht nur in Gang gesetzt, sondern von ihm auch in seinen wesentlichen Teilen durchgeführt werden muß, während Glücksspiele der vorliegenden Art davon leben, daß- abgesehen vom Ingangsetzen des Spiels durch den Absatz der ersten Listen - die Teilnehmer selbst durch das Werben weiterer Teilnehmer wesentliche Funktionen des Spielablaufs übernehmen.

 

Fundstellen

BStBl II 1977, 495

BFHE 1977, 534

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