Leitsatz (amtlich)

1. Zur Kostentragungspflicht nach Erledigung der Hauptsache in einem Erstattungsrechtsstreit, wenn das FA die Erstattung im Hinblick auf die Aufrechnungsmöglichkeit auf Grund eines erst noch zu erlassenden Steuerbescheids hinausgezögert hat.

2. Im Steuererstattungsverfahren bemißt sich der Streitwert für die Hauptsache nach dem Betrag, dessen Erstattung begehrt wird.

2. Wird die Hauptsache für erledigt erklärt, so ist für die Zeit seit der Erklärung der Erledigung der Hauptsache ein besonderer (Kosten-)Streitwert maßgebend, der sich auf den Betrag der gerichtlichen und erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten beschränkt.

 

Normenkette

FGO § 138 Abs. 1, § 140 Abs. 3; AO § 151

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführer - Eheleute - waren wegen des Erwerbs von Grundbesitz je zur ideelen Hälfte unter Gewährung eines Flüchtlingsfreibetrags von 50 000 DM durch einen gemeinsamen Steuerbescheid vom 6. März 1962 zu einer Grunderwerbsteuer von 3 360 DM herangezogen worden. Auf Grund einer Betriebsprüfung forderte das FA (Beschwerdegegner) durch einen gemeinsamen Steuerbescheid vom 29. Juni 1964 eine Grunderwerbsteuer von 3 500 DM nach, da der Freibetrag von 50 000 DM zu Unrecht gewährt worden sei.

Nach erfolglosem Einspruch hob das FG durch rechtskräftig gewordenes Urteil vom 23. Dezember 1964 die Steuerfestsetzung auf, da die Heranziehung beider Ehegatten durch nur einen Steuerbescheid unzulässig gewesen sei. Zur materiellen Streitfrage äußerte das FG sich nicht.

Den Ausführungen des FG folgend nahm das FA zunächst durch getrennte Bescheide vom 28. Mai 1965 die Erlaßverfügung im ersten Steuerbescheid vom 6. März 1962 - als Voraussetzung für die Berichtigung dieses Bescheids - zurück. Die Beschwerden hiergegen wies die OFD durch Beschwerdeentscheidung vom 21. September 1965 zurück. Hiergegen legten die Beschwerdeführer Berufung ein.

Am 19. Oktober 1965 hatten die Beschwerdeführer Erstattung der auf Grund des zweiten Steuerbescheids vom 29. Juni 1964 nachentrichteten Grunderwerbsteuer von 3 500 DM beantragt. Durch Verfügungen vom 28. Oktober 1965 lehnte das FA die Erstattung ab. Durch getrennte Steuerbescheide vom 26. November 1965 setzte das FA nunmehr erneut gegen jeden Ehegatten 1 750 DM Grunderwerbsteuer fest; die bereits bezahlten Beträge rechnete es an.

Gegen die die Erstattung ablehnenden Bescheide vom 28. Oktober 1965 legten die Beschwerdeführer am 30. Oktober 1965 Sprungberufung ein.

Gegen die Steuernachforderungsbescheide vom 26. November 1965 hatten die Beschwerdeführer ebenfalls Berufung eingelegt. Die Steuernachforderungen wurden unanfechtbar, da gegen die die Steuerbescheide bestätigenden Urteile des FG vom 6. Juli 1967 Rechtsmittel nicht eingelegt worden sind. Daraufhin erklärten beide Parteien am 25. September 1967 und 17. Oktober 1967 die Hauptsache (Sprungberufung wegen Ablehnung der Erstattung) für erledigt und beantragten jeweils die Kosten des Verfahrens der anderen Partei aufzuerlegen.

Das FG erlegte die Kosten des Verfahrens den Klägern auf und setzte den Streitwert auf 3 500 DM fest.

Mit der Beschwerde beantragen die Beschwerdeführer, die Verfahrenskosten dem Beschwerdegegner aufzuerlegen und den Streitwert auf 350 DM festzusetzen.

Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde führt zur Abänderung der Vorentscheidung.

Da die Hauptsache durch übereinstimmende Erklärung der Beteiligten erledigt ist, hat der Senat - den Beschwerdeanträgen entsprechend - nur noch über die Kosten des Verfahrens (§ 145 Abs. 2 FGO) und über die Höhe des Streitwerts (§ 146 Abs. 3 FGO) zu entscheiden.

1. Für die Entscheidung im Kostenpunkt ist - wie das FG insoweit zutreffend bemerkt - nicht § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO, sondern § 138 Abs. 1 FGO maßgebend. Unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands sind aber - entgegen der Auffassung des FG - die Kosten nach billigem Ermessen dem Beklagten und Beschwerdegegner aufzuerlegen, da die Beschwerdeführer mit ihrer Erstattungsklage ohne das die Hauptsache erledigende Ereignis - die Aufrechnung durch den Beschwerdegegner - im Rahmen der folgenden Erwägungen Erfolg gehabt hätten.

Mit Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 10. September 1964 und des Steuerbescheids vom 29. Juni 1964 durch das rechtskräftig gewordene Urteil des FG vom 23. Dezember 1964 war bereits zu diesem Zeitpunkt der Anspruch auf Erstattung der nachgeforderten Grunderwerbsteuer gemäß § 151 AO fällig geworden, den der Beschwerdegegner alsbald zu erfüllen hatte (vgl. v. Wallis/List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. bis 6. Aufl., § 150 Tz. 8, letzter Absatz; Becker/Riewald/Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 151 AO, Anm. 2 [2]). Im Zeitpunkt des Erstattungsantrags - am 19. Oktober 1965 - und auch im Zeitpunkt der Erhebung der Klage (Sprungberufung) - am 30. Oktober 1965 - lagen die neuen Steuerbescheide vom 26. November 1965 noch nicht vor.

Der Umstand, daß der Steuerbescheid vom 29. Juni 1964 nur aus formellen Gründen - weil gegen die Ehegatten gemeinsam gerichtet - aufgehoben worden ist, rechtfertigte das Unterlassen der - auch ohne Antrag möglichen - Erstattung schon deshalb nicht, weil das FG zur Sachfrage, ob die Steuernachforderung materiell berechtigt sei, nicht entscheiden konnte und auch nicht entschieden hatte; außerdem hielten die Beschwerdeführer unverändert daran fest, daß ein Nachforderungsanspruch des Beschwerdegegners nicht bestehe. Auch die erst am 28. Mai 1965 ergangene Rücknahme der Erlaßverfügung im Steuerbescheid vom 6. März 1962, welche die Beschwerdeführer ebenfalls anfochten, konnte für sich allein die (wenn u. U. auch nur vorläufige) Steuererstattung nicht hindern. Ein solches "Leistungsverweigerungsrecht" des FA und entsprechend einen Ausschluß des Erstattungsanspruchs des Steuerpflichtigen wird man unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nur ausnahmsweise und in ganz besonders gelagerten Einzelfällen anerkennen können; dies etwa dann, wenn mit Sicherheit oder doch mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststeht, daß der zu erstattende Betrag in relativ kurzer Zeit zurückgezahlt werden muß. Deshalb kann der Beschwerdegegner sich auf das Urteil des RFH VI A 809/31 vom 20. Mai 1931 (RFH 28, 217, RStBl 1931, 370) nicht berufen, wo das verbösernde FG-Urteil nur förmlich aufgehoben, aber immer noch mit einer höheren als der ursprünglich vom FA festgesetzten Steuer zu rechnen war. Dies gilt also auch für das Urteil des BFH VII 142/59 U vom 20. Dezember 1961 (BFH 74, 377, BStBl III 1962, 142), das sich nur anhaltsweise auf das oben angeführte RFH-Urteil VI A 809/31 bezieht, es aber ausdrücklich dahingestellt läßt, ob dessen Gedankengängen "uneingeschränkt zu folgen" sei. Ähnlich ablehnend bzw. zurückhaltend sprechen sich auch das FG Hamburg (Urteil III 154/53 vom 28. Oktober 1953, EFG 1954, 17), Becker/Riewald/Koch, a. a. O., Anm. 2 (3); v. Wallis/List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 150 AO, Tz. 9 a. E.; Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2.-4. Aufl., vor §§ 150 bis 159 Tz. 5 aus. Ein besonderer Ausnahmefall im obigen Sinne kann hier nicht angenommen werden, weil trotz formaler Aufhebung des Steuerbescheids am 29. Juni 1964 die materielle Steuerberechtigung ungewiß blieb und von den Beschwerdeführern bestritten und angefochten worden war. Das Urteil des FG vom 23. Dezember 1964 hatte lediglich wiederum nur den formalen Verfahrensweg für eine mögliche Steuernachforderung aufgezeigt. Mit Erhebung der Erstattungsklage am 30. Oktober 1965 hatten die Beschwerdeführer einen bereits mit Bekanntgabe des FG-Urteils vom 23. Dezember 1964 fällig gewesenen Anspruch zu Recht geltend gemacht. Daß das FG nach knapp zwei Jahren durch die Urteile vom 6. Juli 1967 den Steuernachforderungsanspruch für berechtigt erklärte, muß für die Kostenentscheidung in diesem Erstattungsrechtsstreit aus den oben dargelegten Gründen unbeachtlich bleiben, dies ferner auch aus den folgenden Erwägungen.

Der Beschwerdegegner konnte zwar nach Erlaß der Steuerbescheide vom 26. November 1965 mit seinem neu geltend gemachten Steueranspruch trotz der hiergegen eingelegten Rechtsbehelfe (§ 251 AO) gegen den Erstattungsanspruch aufrechnen, so daß der Erstattungsanspruch (vorerst) als erloschen galt (§§ 387, 389 BGB). Der Beschwerdegegner hat dies auch im Ergebnis dadurch getan, daß er auf die Nachforderung in den Steuerbescheiden vom 26. November 1965 den bereits am 26. Oktober 1964 entrichteten Steuerbetrag anrechnete. Abgesehen davon, daß die Aufrechnung nicht dem Veranlagungs-, sondern dem Erhebungsverfahren angehört (vgl. v. Wallis/List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 124 AO, Tz. 15; Mattern/Meßmer, Reichsabgabenordnung, Tz. 819, 823; Tipke/Kruse, a. a. O., § 124 Tz. 8), hat der Beschwerdegegner diese der Realisierung des Erstattungsanspruchs (zunächst vorläufig) entgegenstehende Aufrechnung nicht im Rahmen dieser Erstattungsklage geltend gemacht. Dies wäre um so unerläßlicher gewesen, als es sich bei dem Erstattungsverfahren um ein gesondertes, in seinem Ausgang an sich von einem etwaigen Klageverfahren wegen eines (u. U. auch anderen) Steueranspruchs unabhängiges Verfahren handelt. Außerdem konnte von den Beschwerdeführern nicht erwartet werden, daß sie ihrerseits im Rahmen ihres Erstattungsverfahrens - ohne durch das FA veranlaßt zu sein - sich zur Aufrechnungserklärung des Beschwerdegegners äußerten, nachdem sie mit ihren Rechtsmitteln gegen den Steueranspruch dessen Berechtigung bekämpften. Die Beschwerdeführer haben aber, nachdem sie nach Rechtskraft der ihre Klage abweisenden Urteile des FG vom 6. Juli 1967 auf die Rechtslage aufmerksam gemacht waren, unverzüglich und noch vor dem Beschwerdegegner die Hauptsache für erledigt erklärt.

Unter diesen Umständen waren die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen gemäß § 138 Abs. 1 FGO dem Beklagten aufzuerlegen.

2. Den Streitwert für die Hauptsache bis zu deren Erledigung hat das FG gemäß § 140 Abs. 3 FGO zutreffend mit 3 500 DM festgesetzt.

Streitwert ist grundsätzlich der Betrag, um den unmittelbar gestritten wird (vgl. BFH-Entscheidungen I 98/63 vom 11. Januar 1966 und I B 2/66 vom 26. April 1966, BFH 85, 321 und 467, BStBl III 1966, 325 und 424). Das ist im vorliegenden Fall der Erstattungsbetrag von 3 500 DM. Mit ihrer Meinung, daß nach ständiger Rechtsprechung in "Zahlungssachen" der Streitwert auf 1/10 des Hauptbetrags festzusetzen sei, sind die Beschwerdeführer offenbar insofern einem Irrtum unterlegen, als dieser 10 v. H.-Satz nach ständiger Rechtsprechung des BFH unter anderem zwar in der Regel für Verfahren gilt, welche die Stundung von Abgaben (§ 127 AO), die Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO) oder die einstweilige Einstellung der Vollstreckung (§ 150 FGO) betreffen (vgl. BFH-Entscheidungen VI 163/55 S vom 17. Januar 1958, BFH 66, 314, BStBl III 1958, 121; IV 44/58 U vom 9. November 1962, BFH 76, 214, BStBl III 1963, 76; IV B 23/66 vom 14. Apil 1967, BFH 88, 195, BStBl III 1967, 321; IV B 15/66 vom 2. Juni 1967, BFH 89, 23, BStBl III 1967, 512), keinesfalls aber für Erstattungsverfahren.

Allerdings ist für die Zeit seit der Erklärung der Erledigung der Hauptsache ein besonderer (Kosten-) Streitwert maßgebend, der sich auf den Betrag der gerichtlichen und der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten beschränkt (vgl. FG München Beschluß III 115/67 vom 23. Januar 1968, EFG 1968, 174, mit Zitat des nicht veröffentlichten BFH-Beschlusses V 132/64 vom 21. Oktober 1966; ferner Oberverwaltungsgericht Münster, Beschluß II B 635/55 vom 25. August 1955, Verwaltungs-Rechtsprechung Bd. 8, Nr. 126). Diesen besonderen Streitwert haben die Beschwerdeführer - wie ihr auf 10 v. H. des Erstattungsbetrags gerichteter Antrag zeigt - mit ihrem Begehren offensichtlich nicht angesprochen. Außerdem ergibt sich dieser besondere (Kosten-)Streitwert zwangsläufig aus der Errechnung der Gerichtskosten und der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten (vgl. §§ 139, 147 Satz 1, § 149 FGO).

 

Fundstellen

BStBl II 1971, 603

BFHE 1971, 232

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