Entscheidungsstichwort (Thema)

Gegenvorstellung

 

Leitsatz (NV)

Die Gegenvorstellung gegen den eine Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurückweisenden Beschluß hat dann keinen Erfolg, wenn die in ihm erfolgte Zurückweisung der Rüge mangelnder Sachaufklärung aufgrund ihrer unschlüssigen Erhebung den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nicht verletzt.

 

Normenkette

FGO § 76 Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 1

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) gegen einen Haftungsbescheid abgewiesen, mit dem dieser als alleiniger Geschäftsführer einer GmbH wegen nicht vorangemeldeter und entrichteter Umsatzsteuer für die Monate Mai, Juli und August 1987 in Höhe von 15 000 DM nach den §§ 71 und 34 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) in Anspruch genommen worden ist. Der Haftungsbescheid beruhte auf den Feststellungen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung, nach denen der Kläger im Juli 1987 die damalige Buchhalterin schriftlich angewiesen hat, mehrere Rechnungen an eine in den Monaten Mai, Juli und August 1987 belieferte Firma aus der Umsastzsteuer-Voranmeldung herauszurechnen, damit auch erst mit der Meldung im Mai die Umsatzsteuer fällig werde. Nach dem Zahlungseingang im Oktober 1987 wurden die Umsätze nicht nachgemeldet, so daß eine Versteuerung der den Rechnungen zugrundeliegenden Umsätze nicht erfolgte.

Der Senat hat die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des FG als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen hat der Kläger eine Gegenvorstellung erhoben und beantragt, unter Abänderung des Beschlusses des Bundesfinanzhofs (BFH) die Revision gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen. Gleichzeitig hat der Kläger gegen den Beschluß Verfassungsbeschwerde eingelegt und deren Begründung zum Bestandteil der Gegenvorstellung gemacht.

Der Kläger ist der Ansicht, der BFH-Beschluß verletze ihn in seinem Grundrecht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), weil der Senat seine Verfahrensrüge der mangelnden Sachaufklärung durch Nichtvernehmung der in der Klageschrift als Zeugin benannten Buchhalterin trotz ausreichender Darlegung als nicht "bezeichnet" i. S. des § 115 Abs. 3 i. V. m. § 120 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückgewiesen habe. Entgegen der Auffassung des Senats habe es der Angabe, warum der Verfahrensmangel in der mündlichen Verhandlung nicht gerügt worden sei, deshalb nicht bedurft, weil nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Senatsurteil vom 26. Februar 1985 VII R 137/81, BFH/NV 1986, 136) die schlichte Rüge der Nichtvernehmung eines Zeugen den Anforderungen der §§ 115 Abs. 3, 120 Abs. 2 Satz 2 FGO dann entspreche, wenn das FG -- wie im Streitfall -- in seinem Urteil selbst das Absehen von der Beweiserhebung begründet habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Gegenvorstellung des Klägers hat keinen Erfolg.

Der Senat läßt unerörtert, ob die Gegenvorstellung, mit der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) eine Abänderung formell rechtskräftiger Entscheidungen in den Fällen für zulässig gehalten wird, in denen die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) oder einem Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) beruht, statthaft ist (vgl. zur bisherigen Rechtsprechung des BFH: Senatsbeschlüsse vom 23. April 1991 VII B 74/90, BFH/NV 1992, 392, und vom 24. August 1993 VII B 203/92, BFH/NV 1994, 294). Die vorliegende Gegenvorstellung gibt keinen Anlaß, diese Frage grundsätzlich zu entscheiden, weil die mit der Gegenvorstellung angegriffene Entscheidung das Recht des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt.

1. Die Rüge mangelnder Sachaufklärung durch das Übergehen eines Beweisantrages ist vom Kläger nicht schlüssig erhoben worden, so daß ihre Zurückweisung keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG darstellt. Hierzu hat der Senat im angefochtenen Beschluß ausgeführt: "Soweit der Kläger geltend macht, das FG habe entgegen eines Beweisangebotes die Buchhalterin und ... nicht als Zeugen vernommen, ist die Verfahrensrüge mangelnder Sachaufklärung nicht i. S. des § 115 Abs. 3 i. V. m. § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO ,bezeichnet`.

Für die schlüssige Darlegung unterlassener Sachverhaltsermittlung (§ 76 Abs. 1 FGO) hätte es der Angabe bedurft, daß der Verfahrensmangel in der mündlichen Verhandlung gerügt worden ist oder warum dies nicht habe geschehen können, denn das Übergehen eines Beweisantrages stellt einen verzichtbaren Verfahrensmangel dar, bei dem das Rügerecht durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verlorengeht.

2. Entgegen der Ansicht des Klägers liegt ein Fall der in dem Senatsurteil in BFH/NV 1986, 136 behandelten Art, der zu einer Begründungserleichterung für die hier erhobene Verfahrensrüge führen könnte, im Streitfall nicht vor, da das Urteil des FG eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit dem Beweisantrag des Klägers nicht enthält. Das FG hat lediglich rechtliche Erwägungen in bezug auf die Überwachungspflicht des Klägers angestellt und hierzu ausgeführt: "Viel eher muß sich der Kläger entgegenhalten lassen, daß er als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH die Pflicht gehabt hat, sich durch Überwachung und Abstimmung mit der Buchhalterin davon zu überzeugen, daß die hier in Frage stehenden Umsätze auch tatsächlich angemeldet und die hieraus resultierenden Steuerschulden gezahlt werden. Dies hat der Kläger, wie sich aus seinem eigenen Vorbringen ergibt, nicht getan. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob und wieweit die beauftragte Person sorgfältig ausgewählt war oder nicht. Entscheidend ist allein, daß der Kläger den objektiven und subjektiven Tat bestand der Steuerhinterziehung erfüllt hat, indem auf seine Weisung hin die getätigten Umsätze nicht in den Voranmeldungen für die Monate Mai, Juli bzw. August 1987 erfaßt worden sind."

Aus diesen Ausführungen läßt sich nicht entnehmen, daß der Kläger überhaupt einen Beweisantrag gestellt hat und daß dieser vom FG übergangen oder zurückgewiesen worden ist. Die den angeblichen Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen ergeben sich jedoch nur dann aus dem Urteil selbst -- so daß die Forderung nach ihrer Angabe in der Beschwerdeschrift eine unnötige Förmelei darstellen würde --, wenn das FG ausdrücklich begründet hat, weshalb es entgegen dem Beweisantritt eines Beteiligten einen bestimmten Zeugen nicht vernommen hat. Nur in diesem Fall genügt schon die schlichte Rüge der Nichtvernehmung den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO (vgl. Senatsurteil vom 21. Juni 1988 VII R 135/85, BFHE 153, 393, BStBl II 1988, 841).

3. Im übrigen kann entgegen der Auffassung des Klägers aus der angeführten Rechtsprechung des BFH nicht geschlossen werden, daß neben Angaben über den Beweisantritt und das Beweisthema auch auf Ausführungen hinsichtlich des Nichteintritts eines Rügeverlustes verzichtet werden kann. Unabhängig davon, ob das Urteil Aufschluß über die angebotenen Beweismittel und die Gründe für ihre Nichtbeachtung gibt, kann das Übergehen eines Beweisantrages dann nicht mehr mit einer Verfahrensrüge angegriffen werden, wenn der in der mündlichen Verhandlung anwesende Beteiligte, dem die mangelnde Ladung des benannten Zeugen zum Termin erkennbar war, den Verfahrensverstoß nicht gerügt und damit auf die Wahrnehmung seiner Rechte verzichtet hat. Wird in der Beschwerdeschrift nicht dargelegt, daß die Nichterhebung der angebotenen Beweise in der mündlichen Verhandlung gerügt worden ist oder weshalb diese Rüge nicht möglich war, ist es auch nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht als Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG anzusehen, wenn eine Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen wird (vgl. Beschluß des BVerfG vom 19. Februar 1993 2 BvR 620/92, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1993, 331).

4. Die Gegenvorstellung des Klägers kann auch deshalb keinen Erfolg haben, weil selbst bei Annahme einer schlüssigen Darlegung des Verfahrensmangels keine andere Entscheidung möglich gewesen wäre.

Nach den vorstehend zitierten Ausführungen des FG kam es diesem bei seiner Entscheidungsfindung auf die persönliche Zuverlässigkeit der Buchhalterin und auf eine etwaige Absicht des Klägers, die entstandenen und geschuldeten Umsatzsteuern zu einem späteren Zeitpunkt zu entrichten, nicht an. Da bei der Prüfung eines Verfahrensmangels von dem materiell-rechtlichen Standpunkt der Vorinstanz auszugehen ist (vgl. BFH-Urteil vom 7. Juli 1976 I R 218/74, BFHE 119, 274, BStBl II 1976, 621), kann somit nicht angenommen werden, daß das Urteil auf dem Übergehen des Beweisantrages und der Nichtvernehmung der benannten Zeugin beruht. Die Beschwerde des Klägers hätte deshalb auch bei Annahme einer schlüssig erhobenen Verfahrensrüge als unbegründet zurückgewiesen werden müssen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1996, 912

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