Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung und der Verwertung gepfändeter Sachen

 

Leitsatz (NV)

1. Ein Anordnungsanspruch auf Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. § 257 Abs. 1 Nr. 3 AO wegen angeblicher Verjährung des Steueranspruchs setzt voraus, daß die Verjährung durch präsente Beweismittel glaubhaft gemacht wird.

2. Allein die Möglichkeit eines vom Antragsteller begehrten Erlasses von Steuerschulden reicht zur Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruches nicht aus.

3. Lediglich die Möglichkeit, daß ein gepfändeter Gegenstand unter Wert versteigert wird, reicht zur schlüssigen Darlegung eines Anordnungsanspruchs nicht aus. Vielmehr muß eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des Umstandes bestehen, der die Unbilligkeit der Verwertung begründen soll.

 

Normenkette

FGO § 114; ZPO § 920 Abs. 21; AO 1977 § 257 Abs. 1 Nr. 3, §§ 258, 297

 

Tatbestand

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) betreibt gegen den Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) die Vollstreckung wegen rückständiger Einkommen- und Vermögensteuer. Am 22. April 1986 betrugen die Rückstände für den Zeitraum 1965 bis 1972 nebst Säumniszuschlägen . . . DM und für den Zeitraum 1973 bis 1982 . . . DM. Das FA lehnte Anträge auf Vollstreckungsaufschub sowie Stundung ab; über die gegen die Ablehnungsbescheide erhobene Klage ist noch nicht entschieden. Im Januar 1985 hat das FA die Briefmarkensammlung des Antragstellers gepfändet.

Der Antragsteller beantragte beim Finanzgericht (FG), ihm durch einstweilige Anordnung Vollstreckungsaufschub mindestens bis zum . . . zu gewähren und die vom FA angekündigte Versteigerung der Briefmarken aufzuschieben.

Das FG wies den Antrag mit der Begründung zurück, es fehle an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Das Vorliegen solcher Gründe habe der Antragsteller weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Der Hinweis allein, es werde bei der vom FA bereits angekündigten Verwertung ,,ein erheblicher Schaden entstehen", könne die Notwendigkeit eines einstweiligen Vollstreckungsaufschubs nicht begründen. Im übrigen habe der Antragsteller hinreichend Zeit und Gelegenheit gehabt, die Versteigerung der bereits im Januar 1985 gepfändeten Briefmarken abzuwenden.

Mit der Beschwerde gegen diese Entscheidung trägt der Antragsteller vor, daß die Steuerschulden für die Zeiträume bis einschließlich 1972 verjährt, die Säumniszuschläge unberechtigt seien und zudem aufgrund der im Klageverfahren anhängigen Erlaßanträge aufzuheben seien. Es sei unzulässig, die laut Einzelaufstellung vom FA mit 140 000 DM bewerteten Briefmarken wahrscheinlich zu einem Wert unter 70 000 DM im Wege der Versteigerung zu verschleudern. Außerdem habe das FA bereits eingeräumt, daß die Steuerrückstände für die Veranlagungszeiträume 1973 bis 1982 unzutreffend ausgewiesen worden seien.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluß des FG aufzuheben und dem FA aufzugeben, die Versteigerung der Briefmarken einzustellen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Es trägt vor, daß die Steuerrückstände für die Zeit von 1965 bis 1972 und für den Zeitraum 1973 bis 1982 unverändert seien und die Steueransprüche insbesondere nicht verjährt seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das FG hat mit dem angefochtenen Beschluß den Antrag des Antragstellers auf Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, daß ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden sind (§ 114 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung). Im Streitfall fehlt es zumindest an der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruches.

Nach § 257 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) besteht ein Anspruch auf Einstellung der Zwangsvollstreckung, wenn der Anspruch auf die Leistung erloschen ist. Soweit der Antragsteller einen solchen Anordnungsanspruch insbesondere deswegen für gegeben hält, weil die gesamte Steuerschuld und Säumniszuschläge für die Veranlagungszeiträume bis einschließlich 1972 verjährt seien, fehlt es an einer Geltendmachung durch präsente Beweismittel (vgl. dazu Beschluß des Senats vom 18. März 1986 VII B 115/85, BFH/NV 1986, 479).

Da dieser Steueranspruch betragsmäßig allein ausreichend ist für die Vollstreckung, kommt es nicht darauf an, ob und in welcher Höhe weitere Steuerrückstände für die Veranlagungszeiträume 1973 bis 1982 bestehen.

Im Streitfall ist der Antragsteller ferner der Auffassung, daß die Zwangsvollstreckung und Verwertung der Briefmarken unbillig sei. Als Rechtsgrundlage dafür kommen allein § 258, § 297 AO 1977 in Betracht. Nach der zuletzt angeführten Vorschrift kann die Vollstreckungsbehörde - das FA - die Verwertung gepfändeter Sachen unter Anordnung von Zahlungsfristen zeitweilig aussetzen, wenn die einstweilige Verwertung unbillig wäre. Es ist umstritten, unter welchen Voraussetzungen vorläufiger Rechtsschutz durch das Gericht erlangt werden kann, wenn der Anordnungsanspruch eine behördliche Ermessensentscheidung betrifft (vgl. Beschlüsse des Senats vom 5. und 13. Mai 1977 VII B 9/77, BFHE 122, 28, 30, BStBl II 1977, 587, und vom 4. Juli 1986 VII B 56/86, BFH/NV 1987, 20, 22). Es bedarf keiner Entscheidung, welcher der vertretenen Auffassung zu folgen ist. Auch wenn der für den Antragsteller günstigsten Auffassung gefolgt wird, nämlich der, daß das Gericht die einstweilige Anordnung in Ausübung eigenen (,,Interims"-)Ermessens zu treffen befugt ist, wäre die Anordnung zu versagen, weil ihre Voraussetzung - die Unbilligkeit der alsbaldigen Verwertung - nicht schlüssig dargelegt, geschweige glaubhaft gemacht ist. Allein die Darlegung der rechtlichen Möglichkeit, daß es zu dem begehrten Steuererlaß kommt, vermag das Vorliegen des Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft zu machen. Dazu hätte es des Vorbringens von Tatsachen bedurft, aus denen sich ergibt, daß nur noch die Gewährung des beantragten Erlasses als rechtens angesehen werden kann (vgl. Beschluß des Senats vom 12. Februar 1985 VII B 61/84, BFH/NV 1986, 68).

An der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs aufgrund des § 258 oder des § 297 AO 1977 fehlt es im Streitfall auch deshalb, weil der Antragsteller sich lediglich auf die Möglichkeit beruft, daß die Briefmarkensammlung wahrscheinlich unter ihrem Wert versteigert wird. Das reicht zur schlüssigen Darlegung eines Anordnungsanspruchs schon deshalb nicht aus, weil das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs als Voraussetzung für eine einstweilige Anordnung nur angenommen werden kann, wenn zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß der Umstand eintritt, der die Unbilligkeit der Verwertung begründen soll, vgl. Senatsbeschluß in BFH/NV 1986, 479, 480, 481 zu § 258 AO 1977. Schon das hat der Antragsteller nicht vorgetragen. Deshalb kommt es im Streitfall nicht darauf an, daß der Antragsteller seine Behauptung, die Briefmarkensammlung könne im Wege der Versteigerung ,,verschleudert" werden, nicht näher durch nachprüfbare Angaben belegt hat und ob es nicht auch deshalb an einer hinreichenden Darlegung des Anordnungsanspruchs fehlt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415351

BFH/NV 1988, 314

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge