Entscheidungsstichwort (Thema)

Begriff der Abweichung i. S. d. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Abweichung i. S. d. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO liegt nur vor, wenn das FG in einer Rechtsfrage eine andere Auffassung als der BFH vertreten hat. Eine abweichende Beurteilung von Tatsachen genügt nicht. Das FG muß seiner Entscheidung vielmehr eine rechtliche Erwägung (Rechtssatz) zugrunde gelegt haben, die mit einem ebenfalls tragenden Rechtssatz einer Entscheidung des BFH nicht übereinstimmt.

2. Nicht jede fehlerhafte Rechtsanwendung ist mit der Aufstellung eines von der BFH- Rechtsprechung abweichenden Rechtssatzes verbunden.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Die Revision ist nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) -- wegen Abweichung von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) -- zuzulassen.

1. Eine Abweichung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO liegt nur vor, wenn das Finanzgericht (FG) in einer Rechtsfrage eine andere Auffassung vertreten hat als der BFH. Eine abweichende Beurteilung von Tatsachen genügt nicht. Das FG muß seiner Entscheidung vielmehr eine rechtliche Erwägung (Rechtssatz) zugrunde gelegt haben, die mit einem ebenfalls tragenden Rechtssatz einer Entscheidung des BFH nicht übereinstimmt (s. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 115 Rz. 17 m. w. N.).

2. Dem Urteil des FG liegen keine Rechtssätze zugrunde, die von Rechtssätzen in den von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) bezeichneten BFH-Urteilen abweichen.

a) Nach dem BFH-Urteil vom 1. April 1977 VI R 153/76 (BFHE 123, 1, BStBl II 1977, 853) ist eine Berichtigung eines Steuerbescheids wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 92 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung -- AO -- (jetzt: § 129 der Abgabenordnung -- AO 1977 --) möglich, wenn der Eingabewertbogen für die maschinelle Herstellung des Bescheids versehentlich falsch ausgefüllt wurde und kein in den Bereich der Willensbildung fallender Tat sachen- oder Rechtsirrtum vorlag.

Das FG hat seine Entscheidung auf keinen davon abweichenden Rechtssatz gestützt. Es hat vielmehr § 129 AO 1977 im Streitfall nicht für anwendbar gehalten, weil ein Rechtsirrtum in bezug auf die gewerbesteuerrechtliche Qualifizierung der Rückstellung für Beitragsrückerstattungen nicht auszuschließen sei.

b) Im Urteil vom 2. April 1987 IV R 255/84 (BFHE 149, 490, BStBl II 1987, 762) hat der BFH die Auffassung vertreten, § 129 AO 1977 sei auch anwendbar, wenn die Fehlerhaftigkeit von Angaben des Steuerpflichtigen in der Steuererklärung für das Finanzamt ohne weiteres erkennbar gewesen sei und das Finanzamt diesen Fehler in den Bescheid übernommen habe.

Das FG ist diesem Urteil ausdrücklich gefolgt (s. S. 7 des FG-Urteils -- Mitte --). Es hat jedoch den Sachverhalt dahingehend gewürdigt, der den steuerlichen Beratern der Klägerin unterlaufene Fehler -- der Eintrag in den Zeilen 50 bzw. 51 des Gewerbesteuererklärungsvordrucks statt in Zeile 49 -- sei für den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) trotz des in den Erklärungen 1985 bis 1987 von der Klägerin zu diesen Eintragungen gegebenen Hinweises "Rückst. für Beitragsrückerstattungen" nicht ohne weiteres als Fehler erkennbar gewesen.

Selbst wenn unterstellt wird, das FG habe den Sachverhalt insoweit unzutreffend gewürdigt, liegt keine Abweichung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO vor. Nicht jede fehlerhafte Rechtsanwendung ist mit der Aufstellung eines von der BFH-Rechtsprechung abweichenden Rechtssatzes verbunden (s. Gräber/Ruban, a.a.O.).

c) Nach dem BFH-Urteil vom 18. April 1986 VI R 4/83 (BFHE 146, 350, BStBl II 1986, 541) können Fehler beim Ausfüllen eines Eingabebogens für die maschinelle Herstellung des Steuerbescheides, die auf einem Irrtum über den tatsächlichen Programmablauf beruhen, zu einer Berichtigung nach § 129 AO 1977 führen.

Das FG hat keinen dem widersprechenden Rechtssatz aufgestellt. Es ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß sich der steuerliche Berater der Klägerin und ihm folgend der Sachbearbeiter des FA über die gewerbesteuerrechtliche Behandlung der Rückstellung für Beitragsrückerstattungen irrten und nicht über den Ablauf des Programms für die maschinelle Herstellung der Gewerbesteuermeßbescheide.

d) Schließlich ist das FG auch nicht von dem BFH-Urteil vom 31. Juli 1975 V R 121/73 (BFHE 116, 462, BStBl II 1975, 868) abgewichen. Nach diesem Urteil schließt die rein theoretische Möglichkeit, daß der fehlerhaften Eintragung in den Eingabebogen auch rechtliche Überlegungen zugrunde gelegen haben könnten, eine Berichtigung gemäß § 92 Abs. 2 AO (jetzt: § 129 AO 1977) nicht aus. Das FG hat diese Rechtsprechung beachtet. Es hat die Frage geprüft und verneint, ob nur eine rein theoretische Möglichkeit besteht, daß die zur Unrichtigkeit der Gewerbesteuermeßbescheide 1985 bis 1988 führenden Ein tragungen in den Zeilen 50 bzw. 51 statt in Zeile 49 der Erklärungsvordrucke und die Übernahme der damit verbundenen Zu ordnungen in die Bescheide auf einer falschen rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes durch den steuerlichen Berater der Klägerin oder den Sachbearbeiter des FA beruhte.

 

Fundstellen

BFH/NV 1995, 319

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