Leitsatz (amtlich)

Eine offenbare Unrichtigkeit ist anzunehmen, wenn anläßlich des Abgangs eines Anlagegegenstandes sein Restbuchwert vom Steuerpflichtigen zwar im Anlageverzeichnis abgesetzt, aber nicht als Betriebsausgabe in die Überschußrechnung nach § 4 Abs.3 EStG übertragen wird.

 

Orientierungssatz

1. Ausführungen zur Anwendung von § 129 AO 1977 bei Übernahme von fehlerhaften Angaben des Steuerpflichtigen durch das FA und zur Offenbarkeit eines Fehlers (vgl. BFH-Rechtsprechung).

2. Die Klage, mit der eine Fehlerberichtigung nach § 129 AO 1977 beantragt wird, ist als Verpflichtungsklage anzusehen (vgl. BFH-Urteil vom 24.7.1984 VIII R 304/81; Literatur).

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 3; AO 1977 § 129; FGO § 40 Abs. 1; EStG § 4 Abs. 4

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr 1980 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt worden sind. Der Kläger (Ehemann) ist selbständiger Architekt. Er ermittelt seinen Gewinn aus freiberuflicher Tätigkeit aus dem Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben (§ 4 Abs.3 des Einkommensteuergesetzes --EStG--).

In ihrer Einkommensteuererklärung für 1980 wiesen die Kläger einen Gewinn des Ehemanns aus selbständiger Arbeit in Höhe von 77 909 DM aus. Dieser Gewinn war auf der Grundlage einer der Einkommensteuererklärung als Anlage beigefügten Einnahmeüberschußrechnung mit Erläuterungen ermittelt. Darin war der Erlös aus der Veräußerung eines von mehreren zum Betriebsvermögen gehörigen PKW in Höhe von 7 965 DM als Betriebseinnahme angesetzt, der Restbuchwert dieses PKW in Höhe von 7 434 DM jedoch nicht als Betriebsausgabe abgezogen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) veranlagte die Kläger nach Maßgabe ihrer Steuererklärung zur Einkommensteuer. Der Einkommensteuerbescheid 1980 vom 11.Februar 1982 wurde bestandskräftig.

Mit Schreiben ihres Steuerberaters vom 7.Februar 1983 beantragten die Kläger, den Einkommensteuerbescheid 1980 gemäß § 173 der Abgabenordnung (AO 1977) in der Weise zu berichtigen, daß die Einkünfte aus selbständiger Arbeit um 7 434 DM niedriger mit 70 475 DM angesetzt werden, weil erst jetzt im Zusammenhang mit der Anfertigung der Überschußrechnung für 1982 festgestellt worden sei, daß der Restbuchwert des 1980 veräußerten PKW bei der Gewinnermittlung für 1980 nicht als Betriebsausgabe abgezogen worden sei. Das FA lehnte diesen Antrag ab. Den Einspruch wies das FA zurück.

Auch die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, das FA habe im Ergebnis zu Recht sowohl eine Berichtigung gemäß § 129 AO 1977 als auch eine Änderung gemäß § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977 abgelehnt. Zwar könne eine Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit grundsätzlich auch in Betracht kommen, wenn das FA bei der Veranlagung eine offenbare Unrichtigkeit in der Steuererklärung übernehme. Im Streitfall liege jedoch keine offenbare Unrichtigkeit vor, denn es sei nicht auszuschließen, daß der Nichtansatz des Restbuchwertes auf einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung beruhe, zumal bei der Gewinnermittlung für das Folgejahr der gleiche Fehler noch einmal unterlaufen sei. Auch eine Änderung wegen nachträglich bekanntgewordener Tatsachen scheide aus, weil der Nichtabzug des Restbuchwertes als Betriebsausgabe aus den der Steuererklärung beigefügten Anlagen eindeutig ersichtlich gewesen sei. Der Inhalt der Steuerakten sei als dem FA bekannt anzusehen und könne daher nicht nachträglich bekanntwerden (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5.November 1970 V R 71/67, BFHE 101, 156, BStBl II 1971, 220).

Mit der Revision, die der Senat mit Beschluß vom 5.Juli 1984 wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat, beantragen die Kläger sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer 1980 nach einem um 7 434 DM niedrigeren zu versteuernden Einkommen festzusetzen. Die Kläger rügen Verletzung des § 129 AO 1977 oder des § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist begründet; das FA hätte den Einkommensteuerbescheid 1980 berichtigen müssen.

1. Nach § 129 AO 1977 kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten berichtigen, die beim Erlaß eines Verwaltungsakts unterlaufen sind. Das gilt auch dann, wenn ein Steuerbescheid bestandskräftig geworden, die Steuerfestsetzungsfrist, wie im Streitfall, jedoch noch nicht abgelaufen ist (§ 169 Abs.1 AO 1977).

Die Berichtigungsmöglichkeit hat nach Wortlaut und Sinn des § 129 AO 1977 nur Versehen des FA, nicht aber des Steuerpflichtigen im Auge (BFH-Urteile vom 1.Juli 1954 IV 444/53 U, BFHE 59, 146, BStBl III 1954, 265; vom 17.April 1969 V R 21/66, BFHE 95, 484, BStBl II 1969, 474, jeweils zu § 92 Abs.2 der Reichsabgabenordnung --AO--). Sie muß jedoch auch Anwendung finden, wenn die Fehlerhaftigkeit von Angaben des Steuerpflichtigen für das FA ohne weiteres erkennbar war und das FA damit eine offenbare Unrichtigkeit der Steuererklärung als eigene übernommen hat (BFH-Urteil vom 25.Februar 1972 VIII R 141/71, BFHE 105, 234, BStBl II 1972, 550, ebenfalls zu § 92 Abs.2 AO).

Demgemäß hat der BFH bei der Angabe eines unzutreffenden Gewinns in der Steuererklärung darauf abgestellt, ob der Fehler aus den beigefügten Gewinnermittlungsunterlagen für das FA ohne weiteres ersichtlich war (Urteile in BFHE 105, 234, BStBl II 1972, 550; vom 24.Juli 1984 VIII R 304/81, BFHE 141, 485, BStBl II 1984, 785). Bei einer Veranlagung zur Einkommensteuer würdigt das FA entsprechend seinem Ermittlungsauftrag (§ 88 AO 1977) die ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen, mögen sie von ihm selbst beschafft oder vom Steuerpflichtigen mitgeteilt worden sein. Wie die unzutreffende Auswertung von Unterlagen der Verwaltung, insbesondere eines Betriebsprüfungsberichts (dazu BFH-Urteil vom 28.November 1985 IV R 178/83, BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293) eine offenbare Unrichtigkeit i.S. von § 129 AO 1977 bedeuten kann, so auch die fehlerhafte Würdigung von Unterlagen und Ausführungen des Steuerpflichtigen, sei es zu seinem Vorteil oder seinem Nachteil.

2. Im Streitfall hatte der Kläger eine Zusammenstellung seiner Einnahmen und Ausgaben eingereicht und daraus seinen Gewinn errechnet. Außerdem hatte er eine Übersicht über die Entwicklung des Anlagevermögens beigefügt, aus der sich neben der Absetzung für Abnutzung (AfA) auch die Vermögensabgänge ergaben, die im Streitjahr aus dem Restbuchwert des verkauften Kfz bestanden. In die Überschußrechnung waren nur die AfA, nicht aber der Vermögensabgang in Gestalt des Restbuchwerts des Kfz übernommen worden, der im Rahmen des § 4 Abs.3 EStG zu einer Betriebsausgabe führt. Hierin lag eine offenbare Unrichtigkeit i.S. von § 129 AO 1977.

Als derartige Unrichtigkeit sind, wie sich durch den gesetzlichen Hinweis auf Schreib- und Rechenfehler ergibt, allerdings nur mechanische Fehler anzusehen, die ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können (BFHE 141, 485, BStBl II 1984, 785, m.w.N.). Besteht dagegen auch nur die Möglichkeit eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung, kommt eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 nicht in Betracht (BFHE 105, 234, BStBl II 1972, 550). Im Streitfall scheidet eine derartige Möglichkeit entgegen der Annahme des FG aus. Bei dem aufgezeigten Versehen handelte es sich vielmehr um einen einfachen Übertragungsfehler, wie er auch vorliegen würde, wenn die in der Anlage ausgewiesenen AfA oder Vermögensabgänge mit einem niedrigeren oder höheren Betrag in die Überschußrechnung übernommen worden wären.

Die Unrichtigkeit der Überschußrechnung infolge des genannten Übertragungsfehlers war auch offenbar. Dies ist anzunehmen, wenn der Fehler auf der Hand liegt, wenn er durchschaubar, eindeutig oder augenfällig ist (BFH-Beschluß vom 4.September 1984 VIII B 157/83, BFHE 142, 13, BStBl II 1984, 834). So liegt es im Streitfall, da eine ausführliche Zusammenstellung der Einnahmen und Ausgaben vorgelegt worden war und an der Ursächlichkeit des Übertragungsfehlers für die unzutreffende Gewinnberechnung und die fehlerhafte Steuerfestsetzung nicht zu zweifeln ist. Daß die Ursachen hierfür in der Sphäre des Steuerpflichtigen liegen, hat nach dem Gesagten keine Bedeutung; das FA, das die Berechnung des Steuerpflichtigen übernommen hat, kann nicht anders behandelt werden, als wäre der Übertragungsfehler ihm selbst unterlaufen.

3. Dementsprechend mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und auf das als Verpflichtungsklage anzusehende Klagebegehren (vgl. BFHE 141, 485, BStBl II 1984, 785; Tipke/Kruse, Abgabenordnung- Finanzgerichtsordnung, 8.Aufl., § 129 AO 1977 Anm.11) die Verpflichtung des FA zur Änderung des Steuerbescheids ausgesprochen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61921

BStBl II 1987, 762

BFHE 149, 490

BFHE 1987, 490

BB 1987, 1451

BB 1987, 1451-1451 (ST)

DB 1987, 1672-1672 (ST)

HFR 1987, 390-390 (ST)

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