Entscheidungsstichwort (Thema)

NZB

 

Leitsatz (NV)

1. Die Abweichung von einer Entscheidung des BFH ist nicht schlüssig gerügt, wenn sich aus der Beschwerdebegründung ergibt, daß nur die unrichtige Rechtsanwendung im Streitfall geltend gemacht wird.

2. Das FG handelt nicht fehlerhaft, wenn es im Rahmen des Klagebegehrens auch Fragen nachgeht, über die die Beteiligten nicht streiten.

3. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt nicht, daß das Gericht den Beteiligten die einzelnen für seine Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte im voraus anzudeuten hat.

4. Die ordnungsgemäße Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechts sache erfordert u. a., daß sich der Beschwerdeführer mit der bisherigen zu den für klärungsbedürftig gehaltenen Fragen vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinandersetzt und vorträgt, inwiefern sie keine Klärung gebracht habe.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2, 3 S. 3

 

Gründe

Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.

1. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben zwar eine Divergenz (§115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) des angefochtenen Urteils zu dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. Januar 1992 X R 145/90 (BFH/NV 1992, 439) behauptet, sie jedoch nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen schlüssig dargetan (§115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Dazu gehört u. a., daß konkret herausgearbeitet wird, das Finanzgericht (FG) habe seiner Entscheidung einen bestimmten tragenden (abstrakten) Rechtssatz zugrunde gelegt, der mit den ebenfalls tragenden rechtlichen Erwägungen einer Entscheidung des BFH nicht übereinstimme (vgl. BFH-Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479, ständige Rechtsprechung).

Aus dem Urteil in BFH/NV 1992, 439 ergibt sich, daß dann, wenn zur Überzeugung des FG kein Darlehensverhältnis besteht, sondern als Darlehensvaluta bezeichnete Eigenmittel (in den Betrieb) hereingenommen wurden, §160 der Abgabenordnung (AO 1977) ohne Bedeutung ist, da diese Vorschrift voraussetzt, daß das behauptete Darlehensverhältnis für bestehend oder zumindest für möglich erachtet wird. Davon geht aber auch das FG aus, wenn es im Streitfall unter Hinweis auf diese Entscheidung die Anwendung von §160 AO 1977 und die Frage, ob die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind, für unerheblich hält. Letztlich wird von den Klägern denn auch nicht eine Abweichung von der genannten Rechtsprechung des BFH gerügt, sondern die unrichtige Anwendung vor allem des formellen Rechts. Ein solches Vorbringen ist aber nicht geeignet, die Zulassung der Revision zu rechtfertigen, sondern allenfalls, die Revision als solche zu begründen.

2. a) Soweit die Kläger geltend machen, das FG habe die Begrenzung des Streit gegenstandes sowie die gerichtliche Prüfungs- und Entscheidungskompetenz gegenüber Ermessensentscheidungen der Verwaltung gemäß §102 FGO mißachtet, als es den seiner Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt selbst ermittelt -- "wie ein Finanzamt agiert" -- habe, ergibt sich aus dem Vorbringen keine schlüssige Darlegung eines Verfahrensfehlers i. S. des §115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.

Die Kläger verkennen, daß das FG an ihre Antragstellung insofern nicht gebunden war, als bei Anfechtungsklagen -- und um eine solche handelt es sich im Streitfall -- das Entscheidungsprogramm durch den Regelungsgehalt des angefochtenen Verwaltungsaktes bestimmt wird. Streitgegenstand (Gegenstand des Klagebegehrens) im steuergerichtlichen Verfahren ist nicht das einzelne Besteuerungsmerkmal, sondern die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheids (BFH-Beschluß vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344). Das bedeutet, daß die Steuergerichte im Rahmen des klägerischen Begehrens -- im Streitfall die Berücksichtigung der geltend gemachten Zinsaufwendungen als Betriebsausgaben bei der Festsetzung der Einkommensteuer für die Streitjahre -- nicht nur die Rechtmäßigkeit der festgesetzten Steuer aus den vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) genannten Gründen und die Unrechtmäßigkeit aus den vom Kläger angegebenen Gründen zu prüfen haben; vielmehr haben sie die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids im Rahmen dieses Begehrens ohne Rücksicht auf die -- nach Auffassung der Verfahrensbeteiligten bestehenden oder fehlenden -- Besteuerungsgrundlagen zu prüfen (BFH-Beschluß vom 26. November 1979 GrS 1/78, BFHE 128, 117, BStBl II 1980, 99). Das zur Ermittlung von Amts wegen berechtigte und verpflichtete FG (§76 Abs. 1 FGO) kann daher im Rahmen des Klagebegehrens auch Fragen nachgehen, über die die Beteiligten nicht streiten, insbesondere auch den Sachverhalt unter anderen als von den Beteiligten vorgegebenen Gesichtspunkten ermitteln (vgl. BFH- Urteil vom 1. Juni 1994 X R 73/91, BFH/NV 1995, 2).

b) Der von den Klägern geltend gemachte Verfahrensmangel der unzureichenden Sachaufklärung (§76 FGO) wegen Nichteinvernahme des Zeugen S ist nicht gegeben. Dahingestellt bleiben kann, ob die Darlegung dieses Mangels schlüssig ist. Denn die Rüge der fehlenden Vernehmung des Zeugen geht schon deshalb fehl, weil es Aufgabe des Klägers war, den im Ausland lebenden Zeugen in der mündlichen Verhandlung zu stellen (§76 Abs. 1 Satz 4 FGO i. V. m. §90 Abs. 2 AO 1977; BFH- Beschlüsse vom 21. April 1995 VIII B 133/94, BFH/NV 1995, 954, und vom 1. Juli 1987 I R 284--286/83, BFH/NV 1988, 12). Zudem hat das FG den von den Klägern vorgetragenen und durch Vernehmung des Zeugen S unter Beweis gestellten Sachverhalt als wahr unterstellt und bei der getroffenen Entscheidung berücksichtigt.

c) Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs genügt nicht den formellen Anforderungen des §115 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die schlüssige Rüge eines Mangels i. S. des §119 Nr. 3 FGO erfordert, daß der Beschwerdeführer im einzelnen substantiiert darlegt, wozu er sich nicht hat äußern können und was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte. Außerdem muß dargelegt werden, daß bei Berücksichtigung des nicht beachteten Vortrags eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §119 Anm. 13, m. w. N.). Die Kläger haben zwar geltend gemacht, sie hätten sich nicht zu den vom FG für entscheidungserheblich erachteten Umständen äußern können, daß eigenes im Ausland befindliches Geld in den Betrieb verlagert worden sei und die Zinszahlungen verdeckte Einnahmen darstellten. Es fehlen jedoch schon jegliche Ausführungen dazu, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs dazu vorgetragen worden wäre.

Die Rüge wäre im übrigen auch nicht begründet. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt nicht, daß das Gericht den Beteiligten die einzelnen für seine Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte im voraus anzudeuten hat (vgl. z. B. BFH- Urteile vom 22. Oktober 1986 I R 107/82, BFHE 148, 507, BStBl II 1987, 293, m. w. N.; vom 24. April 1990 VIII R 170/83, BFHE 160, 256, BStBl II 1990, 539, und vom 16. Dezember 1993 X R 67/92, BFHE 173, 152, BStBl II 1996, 669). Die Kläger konnten zudem von der Urteilsbegründung auch nicht überrascht sein. Bereits in den am 22. November 1994 erfolgten Hinweisen und Anordnungen hat sich das Gericht dahingehend geäußert, daß die betriebliche Veranlassung der strittigen Zinszahlungen fraglich sein könnte. Auch dem Sachvortrag des Berichterstatters (§92 Abs. 2 FGO) in der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 1994, gegen dessen Richtigkeit und Vollständigkeit --lt. Sitzungsprotokoll -- von den Verfahrens beteiligten keine Einwendungen erhoben wurden, konnte und mußte nach dem vorausgegangenen Schriftverkehr, wobei vor allem auch das Schreiben des Gerichts vom 8. März 1995 zu nennen ist, entnommen werden, daß das FG die Frage nach der betrieblichen Veranlassung der Zinsen für entscheidungserheblich hielt.

d) Sollten die Kläger in der langen Verfahrensdauer einen Verfahrensfehler sehen, so ist dieser ebenfalls nicht ordnungsgemäß bezeichnet. Eine überlange Verfahrensdauer im Finanzstreitverfahren stellt für sich keinen Verfahrensmangel dar, vor allem nicht einen solchen, auf dem die Entscheidung beruhen kann (vgl. BFH-Beschluß vom 13. September 1991 IV B 105/90, BFHE 165, 469, BStBl II 1992, 148; Gräber/Ruban, a. a. O., §115 Anm. 30).

3. Soweit die Kläger die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) begehren, genügt die Beschwerde ebenfalls nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die Kläger haben nicht substantiiert dargelegt, aus welchen Gründen eine Klärung der aufgeworfenen Fragen in dem angestrebten Revisionsverfahren aus Gründen der Rechtsklarheit, der Rechtsentwicklung und der Rechtseinheitlichkeit im allgemeinen Interesse liegt (vgl. dazu z. B. BFH-Beschlüsse vom 27. Juni 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625, und vom 23. Januar 1995 X B 155/94, BFH/NV 1995, 708).

Für eine ausreichende Darlegung der Rechtsfragen genügt der Hinweis auf einen Aufsatz mit Verfasser und Fundstelle nicht, der sich mit dem aufgezeigten Rechtsfragenkomplex befaßt. Es fehlt vor allem an einer Auseinandersetzung mit der umfangreichen Rechtsprechung des BFH zu dem von den Klägern angesprochenen Problemkreis, ob eine auf verschärfende Rechtsprechung zurückzuführende Aufgabe einer langjährigen steuerrechtlichen Übung auf in der Vergangenheit liegende Sachverhalte zurückwirken darf. Es gibt -- so der BFH -- keinen Grundsatz, der es gebietet, eine von der bisherigen Rechtsprechung der Steuergerichte abweichende Rechtsprechung nur auf künftige Fälle, nicht aber auf zeitlich zurückliegende Sachverhalte anzuwenden (vgl. z. B. BFH-Entscheidungen vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751; vom 19. November 1985 VIII R 4/83, BFHE 145, 375, BStBl II 1986, 289; vom 11. Dezember 1991 II R 49/89, BFHE 165, 492, BStBl II 1992, 260). Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich mit dem Vertrauensschutz bei einer Änderung der Rechtsprechung befaßt und ein Festhalten an einer früheren Auffassung nicht für angezeigt gehalten, wenn sich diese angesichts des Wandels der sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Verhältnisse als nicht mehr haltbar erweist (vgl. Beschluß des BVerfG vom 11. November 1964 1 BvR 488/62 u. a., BVerfGE 18, 224, 240).

Im übrigen ergeht die Entscheidung gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 26. November 1996 (BGBl I 1996, 1810) ohne Angabe weiterer Gründe.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66698

BFH/NV 1998, 61

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