Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde bei doppelter Begründung

 

Leitsatz (NV)

Ist ein FG-Urteil auf zwei selbständig tragende Begründungen gestützt, so reicht für den Erfolg einer NZB die bezüglich der einen Begründung dargelegte Divergenz nicht aus. Vielmehr muß auch hinsichtlich der anderen Begründung ein Grund für die Zulassung der Revision aufgezeigt werden, denn anderenfalls fehlt es an der Darlegung, weshalb das finanzgerichtliche Urteil auf einer Abweichung von einer Entscheidung des BFH beruhen könnte.

 

Normenkette

AO 1977 § 172 Abs. 1 Nr. 1, § 227; FGO § 96 Abs. 1 S. 1, §§ 110, 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, Abs. 3 S. 3

 

Tatbestand

Mit Steuerbescheid ... hatte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt - HZA -) Mineralölsteuer in Höhe von ... DM gegen die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) festgesetzt. Einspruch und Klage hiergegen blieben erfolglos. Noch während der Anhängigkeit des von ihr betriebenen Revisionsverfahrens beim Bundesfinanzhof (BFH) beantragte die Klägerin beim HZA, den Steuerbescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung nach § 172 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) aufzuheben. Hierbei bezog sie sich auf einen Erlaß des Bundesministers der Finanzen (BMF) in einem anderen Fall an die Oberfinanzdirektion (OFD) X aus dem Jahre 1986, den sie auch in das anhängige Revisionsverfahren einbrachte.

Das HZA hielt im Revisionsverfahren diesen Erlaß, bei dem es sich um einen Billigkeitserweis in einem Einzelfall gehandelt habe, für nicht einschlägig. Außerdem teilte es der Klägerin auf deren Aufhebungsantrag mit, es habe bereits in der angefochtenen Einspruchsentscheidung die Aufhebung des Steuerbescheids abgelehnt. Diese Ablehnung werde wiederholt, und der wiederholende Bescheid sei nicht anfechtbar. Den hiergegen eingelegten Einspruch verwarf das HZA als unzulässig.

Mit ihrer ... eingelegten Klage brachte die Klägerin, ohne zunächst einen förmlichen Klageantrag zu stellen, vor, das HZA sei verpflichtet gewesen, eine Ermessensentscheidung über ihren Berichtigungsantrag zu treffen und den angefochtenen Steuerbescheid aufzuheben. Nachdem der BFH mit Urteil vom 14. März 1989 VII R 147/83 (BFHE 156, 302) die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen hatte, ohne über den von der Klägerin wiederholt gestellten Antrag auf Aussetzung des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens über den Berichtigungsantrag ausdrücklich zu befinden, brachte die Klägerin im Klageverfahren vor, sie wolle im Wege einer isolierten Anfechtung der Einspruchsentscheidung lediglich eine bisher verweigerte Sachentscheidung erreichen. Es gehe ihr ausschließlich um die Frage der Zulässigkeit des Einspruchs, also um die Verpflichtung des HZA, eine Ermessensentscheidung zu treffen, nicht aber um die Begründetheit, so daß die Rechtskraftbindung nach § 110 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht entgegenstehe. Mit ihrem nun formulierten Klageantrag beantragte sie, die Einspruchsentscheidung aufzuheben, hilfsweise das HZA zu verpflichten, unter Aufhebung seiner entgegenstehenden Bescheide über ihren Berichtigungsantrag der Sache nach zu entscheiden.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unzulässig ab. Es hielt den Hauptantrag, die isolierte Anfechtungsklage, schon deshalb für unzulässig, weil die Klägerin für ihr Begehren auf Erlaß eines Änderungsbescheids (Aufhebung des mit dem Einspruch angefochtenen Ablehnungsbescheids) eine Verpflichtungsklage hätte erheben müssen. Gegenüber dem Hilfsantrag bestünden insoweit aber keine Bedenken. Für beide Klageanträge fehle jedoch - nach Ergehen der Revisionsentscheidung - das Rechtsschutzinteresse, da über das Begehren der Klägerin durch das genannte BFH-Urteil rechtskräftig abschließend und negativ befunden worden sei. Somit komme es nicht darauf an, ob die Klage vor Erlaß des Revisionsurteils zulässig gewesen und ob das HZA während des laufenden Anfechtungsverfahrens gegen den Mineralölsteuerbescheid verpflichtet gewesen sei, auf den Antrag nach § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 eine Ermessensentscheidung zu treffen. Nach dem gesamten Vorbringen der Klägerin in der Revisionsinstanz (Verfahren VII R 147/83) und ihrem der vorliegenden Klage vorausgegangenen vorprozessualen Verhalten habe das HZA auch keine Veranlassung gehabt, eine Erlaßmöglichkeit nach § 227 AO 1977 zu prüfen. Das Verpflichtungsbegehren sei daher auch insoweit unzulässig, als es auf das Ergehen einer Ermessensentscheidung betreffend einen Erlaß der Steuerschuld aus Billigkeitsgründen gerichtet sei.

Mit ihrer auf alle drei Gründe des § 115 Abs. 2 FGO gestützten Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision. Dabei wendet sie sich im wesentlichen gegen die Auffassung des FG zur Zulässigkeit einer isolierten Anfechtungsklage, die im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des BFH stünde.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.

1. Soweit sich die Klägerin auf eine Divergenz des FG-Urteils zur ständigen Rechtsprechung des BFH zur Zulässigkeit einer isolierten Anfechtungsklage stützt (I. der Gründe des FG-Urteils), kann dahinstehen, ob es nicht schon an der ordnungsgemäßen Bezeichnung der Divergenz i.S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO fehlt. Die Klägerin hat jedenfalls nicht dargelegt, daß das FG-Urteil auf dieser angeblichen Abweichung beruht (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).

Das FG hat seine Entscheidung bezüglich des Hauptantrages der Klägerin ersichtlich auf eine doppelte Begründung gestützt, indem es unter II. seines Urteils die Klage (sowohl hinsichtlich des Haupt- als auch des Hilfsantrages) wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses als unzulässig angesehen hat, und zwar unabhägnig von der Frage der Zulässigkeit ihres Hauptantrages. Diesen hat das FG bereits unter I. des Urteils als seiner Ansicht nach fälschlich erhobene isolierte Anfechtungsklage als unzulässig zurückgewiesen. Unter diesen Umständen hätte die Klägerin zur Begründung der Kausalität der von ihr behaupteten Divergenz für die Entscheidung des FG mindestens in der Form des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO darlegen müssen, daß auch hinsichtlich der zweiten, rechtlich selbständigen Erwägung, auf die das FG seine Entscheidung gestützt hat (II. des Urteils), ein Grund für die Zulassung der Revision eingreift (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BFH-Beschluß vom 5. Oktober 1992 V B 88/92, BFH/NV 1993, 426). Die entsprechenden Ausführungen der Klägerin genügen indessen diesen Anforderungen nicht.

Soweit die Klägerin einwendet, das FG habe im Streitfall zu Unrecht eine Rechtskraftbindung i.S. des § 110 FGO angenommen, weil es sich bei der Entscheidung in einem Revisionsverfahren über einen angefochtenen Mineralölsteuerbescheid einerseits und einem Berichtigungsverfahren hinsichtlich der Änderung dieses Steuerbescheids nach § 172 AO 1977 andererseits nicht um denselben Streitgegenstand handele, und hieraus eine grundsätzliche Bedeutung dieser Rechtsfrage ableitet (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), fehlt es an der Darlegung gerade dieser grundsätzlichen Bedeutung. Dies erfordert substantiierte und konkrete Angaben darüber, aus welchem Grund die aufgeworfene entscheidungserhebliche, klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage über den Einzelfall hinaus von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen (wirtschaftlichen) Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit berührt und noch nicht abschließend geklärt ist (vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 29. Oktober 1992 I B 81/92, BFH/NV 1993, 315; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 115 Anm. 7 und 8 m.w.N.). Dem wird die unter Hinweis auf die mangelnde rechtliche Überzeugungskraft der finanzgerichtlichen Entscheidung vorgetragene bloße Behauptung der Klägerin, die Bedeutung der Rechtsfrage gehe ersichtlich weit über den Streitfall hinaus und erscheine allgemein klärungsbedürftig, nicht gerecht.

Auch der von der Klägerin insoweit (zu II. des FG-Urteils) behauptete Verfahrensmangel, das FG habe bei seiner Entscheidung gegen den Inhalt der Akten verstoßen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), weil es die von ihr - der Klägerin - begehrte Erstattung aus Billigkeitsgründen nicht berücksichtigt habe, ist nicht schlüssig gerügt. Die Klägerin hat zwar den nach ihrer Ansicht entscheidungserheblichen BMF-Erlaß aus dem Jahre 1986 in das Verfahren eingebracht, behauptet aber nicht einmal, daß sie selbst in diesem Zusammenhang Antrag und Argumentation auf Billigkeitsgründe gestützt habe. Nicht hilfreich ist, daß andere, nämlich HZA und FG, diesen Erlaß ausdrücklich als eine verwaltungsseitige Billigkeitsregelung bezeichnet hätten. Im übrigen hat das FG ausführlich dargelegt, weshalb es zu der Auffassung gekommen ist, daß die sachkundig vertretene Klägerin trotz Vorlage des erwähnten Erlasses ihr Begehren nicht unter Billigkeitsgesichtspunkten habe gewertet wissen wollen.

Indem die Klägerin mithin hinsichtlich der zweiten tragenden Entscheidungserwägung des FG einen Zulassungsgrund für die begehrte Revision nicht ausreichend dargelegt hat, ist sie gleichzeitig hinsichtlich der ersten selbständigen Entscheidungserwägung eine Darlegung dafür schuldig geblieben, weshalb das finanzgerichtliche Urteil auf einer Abweichung von einer Entscheidung des BFH beruhen könnte.

2. Soweit die Klägerin die erste Entscheidungserwägung des FG auch unter den Gesichtspunkten der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und eines Verfahrensfehlers angreift, scheitert ihr Begehren, unbeschadet der Frage, ob im Streitfall insoweit überhaupt die förmlichen Anforderungen an die Zulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO) erfüllt sind, schon an der mangelnden Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage (vgl.BFH-Beschluß vom 2. Mai 1974 IV B 3/74, BFHE 112, 337, BStBl II 1974, 524) bzw. am Fehlen der Kausalität des vermeintlichen Verfahrensmangels für die Entscheidung des FG. Denn lägen diese beiden Zulassungsgründe vor, so bliebe doch das finanzgerichtliche Urteil wegen seiner zweiten selbständigen und damit allein tragenden Begründungserwägung unangreifbar bestehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419346

BFH/NV 1994, 559

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