Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensverstöße; Verwertungsverbot im Besteuerungsverfahren; Erheblichkeitsschwelle für Auskunftsersuchen; Sachaufklärung; Grundsatz “in dubio pro reo” im Besteuerungsverfahren; Verletzung des rechtlichen Gehörs; Pflicht zu einem Vorabentscheidungsersuchen

 

Leitsatz (NV)

1. Hat das FG im Rahmen der Prüfung eines Verwertungsverbotes eine Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen an der Gewährleistung einer gesetz- und gleichmäßigen Besteuerung einerseits und den berührten Individualinteressen andererseits, insbesondere an der Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, vorgenommen, so scheidet jedenfalls ein ausnahmsweise zur Zulassung einer Revision führender sog. qualifizierter Rechtsanwendungsfehler aus.

2. Als Instanzgericht ist ein FG auch dann nicht nach Art. 234 Abs. 2 EGV verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, wenn es die Revision nicht zulässt.

3. Allein mit der Behauptung eines Bezugs der Rechtssache zum Gemeinschaftsrecht wird auch noch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hinreichend dargetan.

4. Eine Zulassung der Revision durch den BFH ist auch nicht allein deswegen geboten, um eine Vorlage an den EuGH durch den BFH nach Art. 234 Abs. 3 EGV zu ermöglichen.

5. Ein Verfahrensverstoß der Finanzverwaltung vermag nicht zur Zulassung einer Revision wegen eines Verfahrensmangels führen. Erforderlich ist insoweit ein Verfahrensverstoß des FG.

6. Der strafverfahrensrechtliche Grundsatz “in dubio pro reo” ist im finanzgerichtlichen Verfahren in der Weise zu beachten, dass die Finanzbehörde die objektive Beweislast für die steuerbegründenden Tatsachen trägt.

 

Normenkette

AO §§ 93, 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; EGVtr Art. 56, 234 Abs. 2-3; FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 79 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 116 Abs. 3 S. 3; GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 295

 

Verfahrensgang

Hessisches FG (Urteil vom 13.06.2005; Aktenzeichen 11 K 3858/01)

 

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat innerhalb der Beschwerdefrist die geltend gemachten Zulassungsgründe einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie Verfahrensverstöße (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 FGO) nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargetan (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

1. Soweit der Kläger Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils geltend macht, wird damit kein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO dargetan. Von vornherein unbeachtlich sind Einwände gegen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils, die nur im Rahmen einer Revisionsbegründung erheblich sein können; denn das prozessuale Rechtsinstitut der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Januar 2006 VIII B 172/05, BFH/NV 2006, 799, m.w.N.).

Einen sog. qualifizierten Rechtsanwendungsfehler, der ausnahmsweise die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative FGO erfordert, hat der Kläger weder schlüssig dargetan, noch sind angesichts der Würdigung des Sachverhalts durch das Finanzgericht (FG) hierfür Anhaltspunkte ersichtlich.

Für einen derartigen Mangel eines angefochtenen Urteils kommen nur offensichtliche materielle oder formelle Fehler des FG im Sinne einer willkürlichen Entscheidung in Betracht. Dazu reicht indes nicht eine bloß fehlerhafte Umsetzung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalles aus (BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 799, m.w.N.).

Insbesondere könnte eine Fehlerhaftigkeit der vom FG im Rahmen der Prüfung eines möglichen Verwertungsverbotes vorgenommenen Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen an einer Gewährleistung einer gesetz- und gleichmäßigen Besteuerung einerseits und den berührten Individualinteressen des Klägers, insbesondere an der Wahrung seines Rechts auf sog. informationelle Selbstbestimmung (vgl. dazu ausführlich BFH-Urteil vom 4. Oktober 2006 VIII R 53/04, BFH/NV 2007, 119, m.w.N.) keinesfalls als völlig sachfremd und willkürlich gewertet werden.

2. a) Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache verlangt substantiierte Ausführungen insbesondere zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärbar ist und deren Beurteilung von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängig ist. Hierzu muss sich die Beschwerde insbesondere mit der Rechtsprechung des BFH, den Äußerungen im Schrifttum sowie mit den ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinandersetzen.

Ist über die Rechtsfrage bereits entschieden worden, so ist zusätzlich darzulegen, weshalb eine erneute Entscheidung des BFH für erforderlich gehalten wird. Eine weitere bzw. erneute Klärung der Rechtsfrage kann z.B. geboten sein, wenn gegen die bisherige Rechtsprechung gewichtige Einwendungen erhoben worden sind, mit denen sich der BFH bislang noch nicht auseinandergesetzt hat. Darüber hinaus ist auf die Bedeutung der Klärung der konkreten Rechtsfrage für die Allgemeinheit einzugehen. Allein das Fehlen einer Entscheidung des BFH zu der konkreten Fallgestaltung begründet weder einen Klärungsbedarf noch erst recht das erforderliche Allgemeininteresse (BFH-Beschluss vom 19. Januar 2006 VIII B 114/05, BFH/NV 2006, 709, m.w.N.).

Ebenso fehlt es an einer grundsätzlichen Bedeutung bei einer lediglich einzelfallbezogenen Beurteilung eines Streitfalles (BFH-Beschluss vom 15. Februar 2006 I B 168/05, BFH/NV 2006, 1121).

b) Soweit der Durchsetzungsbeschluss des Amtsgerichts X in Bezug auf den Kläger unter dem Gesichtspunkt der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit nach Art. 56 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) gemeinschaftsrechtlichen Bedenken begegnet, hat das FG ihn als rechtswidrig und deshalb als nicht ausreichende Rechtsgrundlage für die Erhebung und Verwertung der im Zuge der Bankdurchsuchung aufgefundenen Daten beurteilt. Er ist somit nicht Grundlage der angefochtenen Entscheidung.

Mit der Rüge, das FG habe aufgrund von hypothetischen Überlegungen, dass nämlich die einschlägigen Daten auch aufgrund eines gesonderten Auskunftsersuchens gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 93 der Abgabenordnung (AO) an die Bank in rechtmäßiger Weise hätten gewonnen werden können und infolgedessen auf der Grundlage der bereits eingangs erwähnten Interessenabwägung im Streitfall im Rahmen der vom FG eigens aufgestellten Erheblichkeitsschwelle hätten verwertet werden dürfen, wendet sich der Kläger erkennbar gegen die Richtigkeit dieser rechtlichen Würdigung. Damit trägt er indes den in ständiger Rechtsprechung des BFH entwickelten Darlegungsanforderungen an den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache nicht hinreichend Rechnung.

Weder bezeichnet er eine bestimmte abstrakte Rechtsfrage, noch zeigt er deren (weiteren) Klärungsbedarf anhand der Darstellung eines Meinungsstreites unter eingehender inhaltlicher Auseinandersetzung mit Rechtsprechung, Schrifttum und möglicher verlautbarter Verwaltungsauffassung auf.

Der Kläger hat im Kern eine Revisionsbegründung gegeben, indem er die inhaltliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils beanstandet. Damit wird indes kein Zulassungsgrund dargetan, mit dessen Vorliegen überhaupt erst die Zulassung einer Revision erstritten werden soll.

3. a) Das FG ist als Instanzgericht auch dann nicht nach Art. 234 Abs. 2 EGV verpflichtet, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) einzuholen, wenn es die Revision nicht zulässt (BFH-Beschluss vom 9. Januar 1996 VII B 169/95, BFH/NV 1996, 652; ebenfalls Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 3. Oktober 1989  2 BvR 440/87, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1990, 446). Allein der behauptete europarechtliche Bezug einer Sache begründet auch noch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (BFH-Beschlüsse vom 29. Mai 2002 VII B 288/01, juris; vom 7. Dezember 2000 VII B 207/00, juris).

Eine Zulassung der Revision ist auch nicht allein deswegen geboten, um eine Vorlage an den EuGH durch den BFH nach Art. 234 Abs. 3 EGV zu ermöglichen. Voraussetzung für eine Zulassung wäre auch hier zunächst, dass der Kläger darlegt, dass sich in einem künftigen Revisionsverfahren voraussichtlich die Notwendigkeit ergäbe, die Rechtsfrage dem EuGH vorzulegen, und sodann die vom Rechtsmittelgericht zu treffende Entscheidung, dass die Vorlage einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage unter Berücksichtigung der ergangenen Rechtsprechung des EuGH geboten sei (BFH-Beschluss vom 3. April 2001 V B 34/00, BFH/NV 2001, 1306). Nur letztinstanzliche Gerichte, wie der BFH, sind überhaupt zur Vorlage an den EuGH verpflichtet (BFH-Beschluss vom 28. August 2003 VII B 259/02, BFH/NV 2004, 68).

b) Soweit der Kläger eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geltend macht, weil ihn die Steuerfahndung nicht zuvor um Vorlage der entsprechenden Daten aufgefordert habe, wird damit allenfalls ein Verfahrensverstoß der Finanzverwaltung behauptet. Der Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO erfasst indes nur Verfahrensverstöße durch das FG (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Juli 2004 XI B 78/03, juris).

c) Der strafverfahrensrechtliche Grundsatz "in dubio pro reo" ist auch im finanzgerichtlichen Verfahren in der Weise zu beachten, dass die Finanzbehörde die objektive Beweislast für die steuerbegründenden Tatsachen trägt (vgl. BFH-Urteil vom 7. November 2006 VIII R 81/04, BFH/NV 2007, 534; Beschluss des Großen Senats des BFH vom 5. März 1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, 146, BStBl II 1979, 570, 573).

Die vermeintliche Nichtbeachtung der Feststellungslast oder eine fehlerhafte Sachverhalts- oder Beweiswürdigung ist indes revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung des BFH im Rahmen einer Verfahrensrüge entzogen (BFH-Beschlüsse vom 20. April 2006 VIII B 33/05, BFH/NV 2006, 1338; vom 21. Februar 2005 VIII B 209/03, BFH/NV 2005, 1123, und vom 18. Mai 2005 VIII B 11/04, BFH/NV 2005, 1810).

d) Soweit der Kläger geltend macht, das FG hätte den Sachverhalt nicht hinreichend erforscht und damit seine Pflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO, den Sachverhalt vom Amts wegen zu ermitteln, verletzt, fehlt es gleichfalls an einer hinreichenden Bezeichnung eines Verfahrensmangels.

Die schlüssige Rüge, das FG habe den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen näher aufklären müssen, setzt u.a. den substantiierten Vortrag darüber voraus, aus welchen --genau bezeichneten-- Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung (Beweiserhebung) auch ohne entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen, welche (entscheidungserheblichen) Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten, inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des --ggf. auch unrichtigen-- materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätten führen können und warum der fachkundig vertretene Kläger nicht von sich aus entsprechende Anträge gestellt hat (vgl. § 295 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO; BFH-Beschluss vom 19. Januar 2006 VIII B 84/05, BFH/NV 2006, 803).

Der Prozessvertreter hatte sich zunächst in der mündlichen Verhandlung vom 22. November 2004 ausweislich der Sitzungsniederschrift zur Herkunft der angelegten Gelder nicht konkret geäußert. Das FG hatte sodann am 17. Dezember 2004 einen Auflagenbeschluss gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FGO erlassen und die Frist zu dessen Erfüllung antragsgemäß nochmals verlängert.

Der fachkundig vertretene Kläger legt indes weder dar, warum er nicht von sich aus entsprechende Unterlagen eingereicht bzw. entsprechende Beweisanträge gestellt hat noch, welche Aufklärungsmaßnahmen sich dem FG vor diesem Hintergrund überhaupt noch hätten aufdrängen müssen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1741469

BFH/NV 2007, 1335

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