Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerbesteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Begriff "mehrgemeindliche Betriebstätte" in § 30 GewStG.

Im Zerlegungsmaßstab bei mehrgemeindlichen Betriebstätten ist auch angemessen die Belastung zu berücksichtigen, die den beteiligten Gemeinden durch die im Gemeindegebiet wohnhaften Arbeitnehmer entsteht.

 

Normenkette

GewStG § 30

 

Tatbestand

Die Sch.-Werke AG in R. (abgekürzt: AG) hat Betriebstätten in mehreren Gemeinden. In R. unmittelbar an der Stadtgrenze von M., unterhält sie Werksanlagen. Die Betriebsanlagen liegen im Stadtgebiet von R. Damit räumlich zusammenhängend, aber durch eine durchbrochene Umfassungsmauer vom Gelände des Betriebs abgegrenzt, besitzt die AG im Stadtgebiet von M. mehrere Grundstücke von insgesamt 270,96 a.

In der Zerlegungssache der AG für 1947 hat der Senat durch den Beschluß I B 34/50 U vom 18. April 1951 (Slg. Bd. 55 S. 322, Bundessteuerblatt - BStBl - 1951 III S. 124) die Werksanlagen in R. und die Grundstücke in M. als einheitliche mehrgemeindliche Betriebstätte angesehen und hat beiden Stadtgemeinden gemäß § 30 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) einen Anteil an dem einheitlichen Gewerbesteuer-Meßbetrag der AG zugesprochen, den die Oberfinanzdirektion nach billigem Ermessen bestimmen sollte. Die Oberfinanzdirektion hat daraufhin die Zerlegung für 1947 wie folgt vorgenommen: 50 v. H. des einheitlichen Meßbetrags nach dem Bilanzwert der in den beiden Gemeinden vorhandenen Betriebsanlagen und 50 v. H. nach der Zahl der in den beiden Stadtgemeinden wohnhaften Arbeitnehmer.

Das Finanzamt zerlegte die einheitlichen Gewerbesteuer-Meßbeträge für die Streitjahre I/1948 bis 1951 nach dem gleichen Maßstab. Die Stadt R. bestreitet, daß eine mehrgemeindliche Betriebstätte im Sinne des § 30 GewStG vorliege. Sie wendet sich ferner gegen den Zerlegungsmaßstab.

Die Oberfinanzdirektion wies die Beschwerde der Stadt R. als unbegründet zurück. Sie führte aus: Eine Ortsbesichtigung habe im wesentlichen den Sachverhalt bestätigt, der dem Beschluß des Bundesfinanzhofs I B 34/50 U zugrunde gelegen habe. Neu sei, daß in den Streitjahren die Grundstücke auf dem Stadtgebiet von M. auch zur Schlackenablagerung aus dem angrenzenden Kesselhaus benutzt worden seien. Entsprechend dem Beschluß des Bundesfinanzhofs I B 34/50 U sei für die Streitjahre eine mehrgemeindliche Betriebstätte anzunehmen. Die Grundstücke im Stadtgebiet von M. dienten dem gewerblichen Betrieb der AG, weil sie auch als Lagerplatz für den Bauschutt und die glühende Kesselasche benutzt würden. Der vom Finanzamt angewandte Zerlegungsmaßstab entspreche den Verhältnissen. Nach Ansicht der Stadt R. hätte geprüft werden müssen, ob und inwieweit durch die Grundstücke der Stadt M. zusätzliche Lasten entstünden, die eine änderung des allgemeinen Lastenausgleichs gemäß § 12 des Einführungsgesetzes zu den Realsteuergesetzen (nämlich 50 DM je Kopf der in R. beschäftigten, aber in M. wohnhaften Arbeitnehmer der AG) rechtfertigten. Dieser Auffassung der Stadt R. folge die Oberfinanzdirektion nicht. Ein beachtlicher Teil der Arbeiter der AG wohne in M., so daß es berechtigt sei, den Meßbetrag zu 50 v. H. nach der Zahl der in beiden Gemeinden wohnhaften Arbeitnehmer zu zerlegen. Die Lasten einer Gemeinde entstünden regelmäßig zum Großteil durch die Arbeiter und Angestellten, die in der Gemeinde wohnten, wie in dem Beschluß des Bundesfinanzhofs I B 34/50 U ausgesprochen worden sei.

Mit der weiteren Beschwerde beantragt die Stadt R. festzustellen, daß keine Zerlegung nach § 30 GewStG vorzunehmen sei. Sie hat ein Gutachten von Boyens vorgelegt. Der Beschluß I B 34/50 U sei im Schrifttum eingehend besprochen worden, so von Hoffmann (Finanz-Rundschau 1951 S. 269), Boyens (Finanz-Rundschau 1951 S. 283), Zitzlaff (Steuer und Wirtschaft - StuW - 1951 Sp. 847), Boyens (StuW 1952 Sp. 206), Hartmann-Kirmse (Blatteikommentar der Steuerpraxis, Gewerbesteuerrecht XI Nachtrag 1 zu B III) und Münster (Deutsche Gemeindesteuer-Zeitung 1952 S. 132). Im Anschluß an Boyens vertritt sie die Auffassung, daß eine mehrgemeindliche Betriebstätte gemäß § 16 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) in Verbindung mit §§ 28 ff. GewStG nur gegeben sei, wenn der Betriebsteil in jeder der mehreren Gemeinden für sich allein betrachtet begrifflich eine Betriebstätte im Sinne des § 16 StAnpG sei. Das Gelände auf dem Gebiet der Stadt M. sei aber nur Vorratsgelände und keine selbständige Betriebstätte im Sinne des § 16 StAnpG. Als Lagerplatz für Schlacke und Schutt habe es nur geringe Bedeutung. Die Beurteilung im Beschluß des Bundesfinanzhofs I B 34/50 U widerspreche der Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI B 11/41 vom 8. Oktober 1941 (Reichssteuerblatt - RStBl - 1941 S. 814). Nach dieser Entscheidung sei ein Holzlagerplatz nur unter besonderen Umständen als Betriebstätte anzusehen. Keinesfalls könne aber der bisherige Zerlegungsmaßstab aufrechterhalten werden. Die Belegschaft von rund 3.000 Menschen werde ausschließlich in dem Betrieb auf dem Gebiet der Stadt R. beschäftigt. Daß ein Hilfsarbeiter alle paar Tage einige Schubkarren voll Asche auf die im Gebiet von M. belegenen Grundstücke kippe, rechtfertige die bisherige Zerlegung nicht. Der gewährte Zerlegungsmaßstab widerspreche auch den Grundsätzen des Beschlusses I B 31/50 vom 2. Februar 1951, der in der Kommunalen Steuerzeitschrift 1955 S. 265 vom Pattscheck zustimmend besprochen worden sei.

 

Entscheidungsgründe

Die weitere Beschwerde ist nicht begründet.

Der Senat verbleibt bei der im Beschluß I B 34/50 U näher begründeten Auffassung, daß eine mehrgemeindliche Betriebstätte vorliegt. Teile eines gewerblichen Betriebsvermögens, insbesondere auch Teile des Vermögens einer Kapitalgesellschaft, die räumlich miteinander verbunden sind, bilden im allgemeinen auch eine einheitliche Betriebstätte. Erstreckt sich eine solche Betriebstätte über mehrere Gemeinden, so ist nicht, wie die beschwerdeführende Stadt R. im Anschluß an das Gutachten von Boyens annimmt, erforderlich, daß der in jeder Gemeinde belegene Teil der einheitlichen Betriebstätte für sich allein die Voraussetzungen einer Betriebstätte im Sinne des § 16 StAnpG erfüllt. Diese Auffassung findet im Wortlaut und Sinn des § 16 StAnpG keine Stütze. Sie kann schon deshalb nicht zutreffen, weil dann unter Umständen Teile des Betriebsvermögens eines Unternehmens - im Streitfall die im Gebiet der Stadt M. belegenen Grundstücke - weder eine eigene Betriebstätte wären noch auch zu einer Betriebstätte gehörten. Ein solches Ergebnis kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen.

Der Hinweis der Stadt R. auf den Beschluß des Reichsfinanzhofs VI B 11/41 geht fehl. Damals handelte es sich um Holzlagerplätze, die dem Unternehmen nicht gehörten und die vor allem nicht mit der Hauptbetriebstätte in räumlichen Zusammenhang standen, also nicht organische Bestandteile der Hauptbetriebstätte waren.

Aneinander grenzende Grundstücke, die im Eigentum desselben Unternehmens stehen, gehören gewöhnlich auch zu derselben Betriebstätte. Die AG hat das Gelände als Vorratsgelände für ihren Betrieb erworben und inzwischen in den Jahren 1955/56 tatsächlich bei Erweiterung der Fabrikanlagen auch bebaut. Das Gelände war in den Streitjahren zwar durch eine Mauer abgetrennt, die aber an mehreren Stellen durchbrochen war. Man konnte also die Grundstücke vom Fabrikgelände aus ohne weiteres erreichen. Im übrigen stand die Mauer nur, weil die Firma es so wollte; sie konnte die Mauer jederzeit beseitigen und damit den Fabrikhof erweitern. Tatsächlich ist auch das Gelände von der Firma für betriebliche Nebenzwecke genutzt worden.

Unter diesen Umständen tritt der Senat der Auffassung der Oberfinanzdirektion darin bei, daß auch in den Streitjahren 1948 bis 1951 eine mehrgemeindliche Betriebstätte im Sinne des § 30 GewStG vorlag.

Nach welchem Maßstab im einzelnen bei einer mehrgemeindlichen Betriebstätte ein einheitlicher Gewerbesteuer-Meßbetrag zerlegt werden soll, ist in § 30 GewStG nicht bestimmt. Das Gesetz sieht vor, daß die Zerlegung nach Lage der örtlichen Verhältnisse unter Berücksichtigung der durch das Vorhandensein der Betriebstätte erwachsenden Gemeindelasten vorzunehmen ist. Damit ist dem Ermessen der Finanzbehörden ein weiter Spielraum eingeräumt. In der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs, auf die der Senat im Beschluß I B 34/50 U hingewiesen hat, sind gewisse Anhaltspunkte für die Ausübung des Ermessens gegeben. Bei der Zerlegung von Meßbeträgen handelt es sich um mehr oder minder grobe Schätzungen. Auch die gesetzlichen Zerlegungsmaßstäbe des § 29 GewStG können nur zu Annäherungswerten führen. Das Gesetz nimmt das bewußt in Kauf; denn nach § 33 GewStG soll nur bei einem "offenbar" unbilligen Ergebnis, also doch wohl nur in Ausnahmefällen, ein anderer Zerlegungsmaßstab angewendet werden.

Das Finanzamt hat in den Streitjahren den gleichen Zerlegungsmaßstab wie für 1947 angewendet und die Oberfinanzdirektion hat dieses Verfahren gebilligt. Die Stadt R. meint, die Vorbehörden hätten bei der Zerlegung nicht berücksichtigen dürfen, daß ein Teil der Belegschaft in M. wohne. Nach dem amtlich nicht veröffentlichten Beschluß des Senats I B 31/50 vom 2. Februar 1951 hätten sie vielmehr darauf abstellen müssen, wieviel Arbeiter in dem im Stadtgebiet von M. belegenen Teil der einheitlichen Betriebstätte beschäftigt gewesen seien. Dann sei aber auf die Stadt M. kein Anteil entfallen, weil auf dem unbebauten Gelände keine Arbeiter beschäftigt worden seien.

Die Bfin. kann sich für ihre Auffassung tatsächlich auf den Beschluß I B 31/50 stützen. Sie übersieht aber, daß der Senat an dieser Rechtsauffassung in der später ergangenen veröffentlichten Entscheidung I B 34/50 U nicht festgehalten hat. Denn er hat im letzten Absatz der Entscheidung I B 34/50 U ausdrücklich ausgesprochen, es sei bei der Zerlegung insbesondere auch zu berücksichtigen, daß der Stadt M. durch das Wohnen der Arbeiter und die Unterhaltung der Zufahrtstraßen Lasten entstünden. Wollte man im Streitfall nicht so vorgehen, so würde ein offenbar unbilliges Ergebnis im Sinne des § 33 Abs. 1 GewStG eintreten. Denn dann erhielte die Stadt M. so gut wie nichts. Der Wert der Grundstücke in M. (rund 70.000 DM) fällt gegenüber dem gesamten Betriebsvermögen der AG überhaupt nicht ins Gewicht. Der Zerlegungsanteil nach dem Wert der in beiden Gemeinden belegenen Betriebsanlagen fällt also fast voll auf die Stadt R. Wenn die Stadt M. einen angemessenen Zerlegungsanteil erhalten soll, so kann es nur auf der Grundlage der Berücksichtigung der in beiden Gemeinden wohnhaften Arbeitnehmer geschehen. Das ist auch billig. Denn daß der Stadt M. aus der mehrgemeindlichen Betriebstätte erhebliche Lasten erwachsen, kann nicht zweifelhaft sein.

Nach alledem hat der Senat keine Veranlassung, einen anderen Zerlegungsmaßstab als die Vorinstanzen anzuwenden.

 

Fundstellen

BStBl III 1958, 261

BFHE 1958, 679

BFHE 66, 679

StRK, GewStG:30 R 3

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