Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Haftung des Arbeitgebers bei ,,schwarzen Lohnzahlungen"

 

Leitsatz (NV)

1. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob der Arbeitgeber bei der Nachmeldung von Lohnsteuerbeträgen für Lohnzahlungen, die nicht der Lohnversteuerung unterworfen und über die keinerlei Aufzeichnungen geführt worden sind (,,schwarze Löhne"), seinen Arbeitnehmern den in der Übernahme der Lohnsteuer liegenden geldwerten Vorteil erst im Zeitpunkt und Jahr der Nachmeldung (oder bereits im Zeitpunkt und Jahr der Auszahlung der Löhne) zuwendet.

2. Zum Erlaß eines neuen Lohnsteuerhaftungsbescheids nach Aufhebung des Erstbescheids in einem Einspruchsverfahren.

3. Zur Anwendung von durchschnittlichen Steuersätzen in Lohnsteuerhaftungsbescheiden.

 

Normenkette

EStG § 19 Abs. 1, § 38 Abs. 4, § 42d

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) betreibt ein Bauunternehmen. Im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung wurde festgestellt, daß in den Jahren 1976 bis 1982 sog. ,,schwarze Lohnzahlungen" an angemeldete als auch an nichtangemeldete Arbeitskräfte vorgenommen worden waren; von diesen Lohnzahlungen sind weder Lohnsteuer noch Sozialabgaben einbehalten worden. Die auf die Prüfung ergangenen Haftungsbescheide des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -) vom . . . März 1984 mit einer Lohnsteuerhaftungssumme in Höhe von . . . bzw. . . . DM sind bestandskräftig geworden.

Wohl veranlaßt durch die Steuerfahndungsprüfung meldete die Antragstellerin mit Lohnsteueranmeldung vom Juli . . . 1984 für das Jahr 1983 eine Lohnsumme von . . . DM und darauf entfallende Lohn- und Kirchenlohnsteuer in Höhe von . . . DM nach. Bei der Berechnung der Steuern unterwarf die Antragstellerin 60 v.H. der Lohnsumme (betr. die angemeldeten Arbeitnehmer) einem Durchschnittssteuersatz von 29,8 v.H. und 40 v.H. (betr. die nichtangemeldeten Arbeitnehmer) einem Steuersatz von 14,12 v.H. Diese Steuern behielt die Antragstellerin nicht von den Löhnen der betreffenden Arbeitnehmer ein. Das FA ging im streitbefangenen Haftungsbescheid vom 18. September 1986 davon aus, daß den Arbeitnehmern im Zeitpunkt der Lohnsteueranmeldung - also im Jahre 1984 - ein geldwerter Vorteil in Höhe der nachgemeldeten Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer zugeflossen sei und erhob auf die nachgemeldeten Steuerbeträge wiederum Lohnsteuer in Höhe von . . . DM. Dabei lehnte es sich an die Aufteilung und die Durchschnittsberechnung der Antragstellerin in der Lohnsteueranmeldung an.

Diesen Betrag hatte das FA bereits im Haftungsbescheid vom . . . Dezember 1985 als Lohnsteuer des Jahres 1985 geltend gemacht. Nachdem das Finanzgericht (FG) in einem diesen Haftungsbescheid betreffenden Aussetzungsverfahren die Auffassung vertreten hatte (XII 3/86 AusL), daß es sich insoweit nicht um eine Lohnsteuer des Jahres 1985 handele, hob das FA den Haftungsbescheid vom . . . Dezember 1985 durch Einspruchsentscheidung vom 9. September 1986 insoweit wieder auf. Hierzu führte es u.a. aus: ,,Es wird nicht mehr die Auffassung vertreten, daß es sich dabei um eine Haftungsschuld 1985 handelt. Es handelt sich vielmehr um eine Haftungsschuld 1984. Es ergeht daher ein neuer Bescheid."

Dieser neue Bescheid ist der vorliegend zu beurteilende Haftungsbescheid vom 18. September 1986, gegen den die Antragstellerin Einspruch eingelegt hat, über den noch nicht entschieden worden ist. Einen entsprechenden Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides lehnte das FA ab. Ebenso blieb ein an das FG gerichteter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides erfolglos. Das FG hatte keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids.

Die Antragstellerin begehrt mit der vom FG zugelassenen Beschwerde, die Vollziehung des Lohnsteuerhaftungsbescheids vom 18. September 1986 auszusetzen. Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor: Sie habe ihren Arbeitnehmern keinen zusätzlichen Vorteil durch die Zahlung der Lohnsteuerbeträge zuwenden können. Die von ihr gezahlten Lohnsteuerbeträge könnten sich deshalb nicht zugunsten der Arbeitnehmer auswirken, da sie als geleistete Lohnabzugsbeträge bei der Besteuerung der Arbeitnehmer durch das FA nicht erschienen. Selbst wenn man aber davon ausgehe, daß ein Regreßverzicht gegeben sei und dieser zu einem geldwerten Vorteil für die Arbeitnehmer geführt habe, so handele es sich um einen Vorteil, der bereits im Jahre 1983 zugeflossen sei. Die nachgemeldeten Lohnsteuerbeträge hätten Lohnzahlungen des Jahres 1983 betroffen, die nicht der Lohnversteuerung unterworfen und über die auch keinerlei Aufzeichnungen geführt worden seien. In einem derartigen Fall werde bereits im Zeitpunkt der Zahlung der ,,schwarzen Löhne" ohne entsprechende Aufzeichnungen ein Regreßverzicht ausgesprochen. Ein Arbeitgeber könne den Arbeitnehmer nämlich nur dann zivilrechtlich im Regreßwege in Anspruch nehmen, wenn er die genaue Höhe der diesbezüglichen Lohnsteuer kenne. Unterlasse er es, bei der ,,schwarzen Lohnzahlung" diesbezügliche Aufzeichnungen zu führen, so mache er es für die Zukunft unmöglich, einen etwaigen Regreßanspruch gegenüber dem Arbeitnehmer durchzusetzen, da die genaue Bezifferung des Anspruchs nicht möglich sei. Daher könne ein Verzicht auf Regreß - wenn überhaupt - nur im Zeitpunkt der Lohnzahlung und der gleichzeitigen Unterlassung von diesbezüglichen Aufzeichnungen gesehen werden. Denn durch diese Unterlassung bringe der Arbeitgeber konkludent zum Ausdruck, daß er einen späteren Regreßanspruch tatsächlich nicht mehr realisieren könne. - Auch verfahrensrechtlich sei der Erlaß des Haftungsbescheides vom 18. September 1986 unrechtmäßig. Durch die Einspruchsentscheidung vom 9. September 1986 habe das FA den Haftungsbescheid vom . . . Dezember 1985 zurückgenommen. Diese Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes stelle sich gleichzeitig als begünstigender Verwaltungsakt i.S. des § 130 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) dar. Ein solcher begünstigender Verwaltungsakt könne wiederum nur unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO 1977 zurückgenommen werden. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet, da an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheides vom 18. September 1986 ernstliche Zweifel i.S. des § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bestehen.

Ernstlich zweifelhaft ist zwar nicht, daß den Arbeitnehmern der Antragstellerin durch deren Übernahme der Lohnsteuer ein geldwerter, wiederum der Lohnsteuer unterliegender Vorteil zugeflossen ist. Der Senat verweist insoweit auf seine Urteile vom 7. Dezember 1984 VI R 164/79 (BFHE 142, 483, BStBl II 1985, 164, unter 5 der Entscheidungsgründe) und VI R 72/82 (BFHE 142, 494, BStBl II 1985, 170, unter 2b, bb der Entscheidungsgründe).

Im Hinblick auf die Ausführungen im Urteil in BFHE 142, 483, BStBl II 1985, 164 (vorletzter Absatz der Entscheidungsgründe) erscheint es aber zweifelhaft, ob den Arbeitnehmern der Antragstellerin der geldwerte Vorteil aus der Übernahme der Lohnsteuer bereits im Jahre 1983 bei der Auszahlung der ,,schwarzen Löhne" oder erst im Jahre 1984 im Zeitpunkt der Abgabe der Lohnsteueranmeldung zugeflossen ist. Im vorbezeichneten Urteilsfall hatte die Arbeitgeberin infolge fehlender Aufzeichnungen die Ermittlung der Empfänger und des Umfangs der jeweiligen Lohnvorteile unmöglich gemacht. Dadurch war es ihr unmöglich, die Lohnsteuer auf die betreffenden Arbeitnehmer abzuwälzen. Der Senat ging davon aus, daß die Arbeitgeberin dadurch von vornherein auf die Möglichkeit verzichtet hatte, die vom FA von ihr nachgeforderte Lohnsteuer im Regreßwege von den Arbeitnehmern zurückzuholen. Damit hat der Senat, ohne dies ausdrücklich hervorzuheben und ohne die Problematik weiter zu vertiefen, entschieden, daß es sich im damaligen Urteilsfall um eine Zuwendung des Jahres der Lohnzahlung handelte.

Es muß der Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten bleiben, ob bei Fallgestaltungen wie der vorliegenden grundsätzlich mit dem Lohnzufluß auch bereits der weitere Vorteil aus einem Verzicht auf Rückforderung einer später eventuell vom FA geltend gemachten Lohnsteuernachforderung zugewendet wird oder ob eine solche Zuwendung erst in dem Zeitpunkt erfolgt, in dem der Arbeitgeber seinen Verzicht auf Rückforderung der Lohnsteuer von den Arbeitnehmern gegenüber dem FA zum Ausdruck bringt. Dabei wird auch die Frage zu entscheiden sein, ob in den Fällen sog. ,,schwarzer Lohnzahlungen" nicht regelmäßig von einer Nettolohnvereinbarung auszugehen ist. Da sich diese Fragen im summarischen Verfahren nicht endgültig entscheiden lassen, ist davon auszugehen, daß insoweit an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides ernstliche Zweifel bestehen.

Die übrigen von der Antragstellerin gegen die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides vorgetragenen Einwände begründen hingegen keine ernstlichen Zweifel i.S. des § 69 FGO. So war das FA nicht etwa verfahrensrechtlich gehindert, den Haftungsbescheid vom . . . September 1986 zu erlassen, nachdem es zuvor im Rahmen der Einspruchsentscheidung vom 9. September 1986 den über den gleichen Sachkomplex ergangenen Haftungsbescheid vom . . . Dezember 1985 insoweit aufgehoben hatte. Es hat in der Einspruchsentscheidung unmißverständlich deutlich gemacht, daß es über den gleichen Sachkomplex einen neuen Haftungsbescheid erlassen würde, und sich damit an die in den Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. Juli 1986 VI R 105/83 (BFHE 147, 113, BStBl II 1986, 775) und vom 25. Juli 1986 VI R 216/83 (BFHE 147, 215, BStBl II 1986, 779) aufgestellten Grundsätze gehalten (vgl. auch Hein, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1987, 175). Die Antragstellerin kann sich daher nicht auf einen Vertrauenstatbestand berufen, der es dem FA verbieten könnte, den hier zu beurteilenden Haftungsbescheid zu erlassen.

Es ist folgerichtig und rechtlich nicht zu beanstanden, daß das FA im Haftungsbescheid Durchschnittssteuersätze angewendet hat. Das FA hat sich damit an die Berechnung gehalten, die die Antragstellerin selbst in ihrer Lohnsteueranmeldung zugrunde gelegt hatte. Eine andere Berechnung war infolge der fehlenden Aufzeichnungen auch nicht möglich. Auch insoweit verweist der Senat auf seine Urteile in BFHE 142, 483, BStBl II 1985, 164, und in BFHE 142, 494, BStBl II 1985, 170.

Unerheblich ist schließlich auch der Einwand der Antragstellerin, ein Vorteil der Arbeitnehmer scheide deshalb aus, weil diese die Lohnsteuer unter Umständen im Lohnsteuer-Jahresausgleich oder bei der Einkommensteuerveranlagung wiederum hätten erstattet bekommen können. Ob dies der Fall ist, ist ungewiß; dies entzieht sich auch der Kenntnis der Antragstellerin, da sie nach ihrem eigenen Vortrag nicht weiß, welchen ihrer Arbeitnehmer sie welche ,,schwarzen Löhne" gezahlt hat. In dieser Richtung weitere Aufklärungen vorzunehmen, war nicht Sache des FA (BFH-Urteil vom 12. Juni 1986 VI R 167/83, BFHE 146, 553, BStBl II 1986, 681).

 

Fundstellen

BFH/NV 1988, 156

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