Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Erbrecht Schenkung Erbschaft/Schenkung und Steuern

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob das Finanzamt wegen aus dem Nachlaß zu entrichtender Steuern das Guthaben aus einer Autoinsassen-Unfallversicherung auf den Todesfall des Erblassers pfänden kann, wenn die Erben nur beschränkt haften.

 

Normenkette

ErbStG 2009 § 13a Abs. 4; BGB § 1990

 

Tatbestand

Streitig ist die Berechtigung einer Pfändungsverfügung des Finanzamts. Nach der Darstellung des Finanzamts schuldete der Erblasser, der Vater der Bgin., aus dem Nachlaß zu entrichtende Steuern in Höhe von 6.028,57 DM. Außerdem hatte die Bgin. angeblich sonstige Steuern im Betrage von 4.232,92 DM zu zahlen, für die sie als Gesellschafterin aus § 113 AO in Anspruch genommen wurde. Wegen dieser Forderungen hatte das Finanzamt das Sparkassenguthaben der Bgin. bei einer in der früheren britischen Zone befindlichen Sparkasse mit einem Betrage von 5.039,77 DM gepfändet. Im einzelnen ist folgender Sachverhalt gegeben:

Die Bgin. ist - zusammen mit ihrer Mutter - Erbin ihres Vaters, der als Gesellschafter an einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts beteiligt gewesen war. Diese Gesellschaft hat im Jahre 1947 mit der X-Versicherungsgesellschaft eine Autohaftpflichtversicherung, verbunden mit einer Autoinsassen-Unfallversicherung, abgeschlossen. Ein Bezugsberechtigter für die Autoinsassenversicherung war dabei nicht ausdrücklich benannt. Im Jahre 1948 verunglückte der Erblasser durch Autounfall tödlich. Er hinterließ die erwähnten Steuerschulden im Betrage von 6.028,57 DM, insbesondere Einkommensteuerschulden für das zweite Halbjahr 1948. Für sie wurde die Bgin. durch Haftungsbescheid vom 13. Oktober 1954 mit Zahlungsaufforderung nach § 8 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) in Anspruch genommen. Durch den gleichen Haftungsbescheid wurde sie wegen Umsatz- und Gewerbesteuerschulden der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, an der ihr Vater beteiligt gewesen war, im Betrage von 4.232,92 DM als angebliche Gesellschafterin gemäß § 113 AO haftbar gemacht. Der Einspruch blieb erfolglos. Auf die Berufung hat das Finanzgericht durch rechtskräftig gewordene Entscheidung den Einspruchs- und den Haftungsbescheid dahin abgeändert, daß die Inanspruchnahme der Bgin. wegen der Umsatz- und Gewerbesteuerrückstände der Gesellschaft im Betrage von 4.232,92 DM entfiel.

Mit Verfügung vom 22. Oktober 1954, zugestellt am 23. Oktober 1954, hatte das Finanzamt das eingangs bezeichnete Sparkassenguthaben der Bgin. gepfändet. Dieses Guthaben stammte aus der Versicherungssumme, die auf Grund der Autoinsassen-Unfallversicherung infolge des tödlichen Autounfalls des Vaters der Bgin. gezahlt worden ist. Die Bgin. machte in der Beschwerde gegen die Pfändungsverfügung geltend, die Versicherungssumme falle nicht in den Nachlaß; ferner stützte sie sich auf die beschränkte Erbenhaftung. Die Eröffnung des Konkursverfahrens über den Nachlaß des Erblassers war vom Konkursgericht mangels ausreichender Masse abgelehnt worden.

Das Finanzgericht hat in dem angefochtenen Beschluß die Pfändungsverfügung des Finanzamts vom 22. Oktober 1954 ersatzlos aufgehoben. Es führte unter anderem aus: Nach § 1967 BGB hafte der Erbe für die Nachlaßverbindlichkeiten; zu ihnen zählten auch die vom Erblasser herrührenden Steuerschulden. Die Erben hafteten unbeschränkt, jedoch beschränkbar. Im Streitfall sei der Nachlaßkonkurs mangels Masse nicht eröffnet worden. Die Erbin (Bgin.) könne also gemäß § 1990 BGB die Dürftigkeit des Nachlasses geltend machen. Ihr Eigenvermögen könne wegen Steuerschulden des Erblassers nicht in Anspruch genommen werden. Die Versicherungssumme gehöre nicht zum Nachlaß des Erblassers. Die von der Gesellschaft abgeschlossene Unfallversicherung der Autoinsassen gelte nach § 179 Abs. 2 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (VVG) vom 30. Mai 1908, RGBl S. 263, mit änderungen, als für Rechnung der Autoinsassen genommen. Auf sie als Kapitalversicherung fänden nach § 180 VVG die §§ 166 bis 168 VVG Anwendung. Auch wenn die Erben des Versicherten nicht ausdrücklich als Begünstigte der Insassen-Unfallversicherung auf den Todesfall genannt seien, könnten nur sie die Bezugsberechtigten sein. Wenn nämlich nach § 179 Abs. 2 VVG die Versicherung als für Rechnung des Erblassers genommen anzusehen ist, so sei die Frage zu klären, an wen beim Eintritt des Versicherungsfalles die Auszahlung beabsichtigt sei. In Betracht könnten - mangels ausdrücklicher entgegenstehender Erklärungen - nur die Erben des Versicherten kommen; denn sie sollten für den Todesfall des Erblassers gesichert werden. Das Recht auf die Leistung des Versicherers entstehe nach § 166 Abs. 2 VVG erst mit dem Eintritt des Versicherungsfalles. Das Finanzgericht ist der Meinung, daß im Hinblick auf diese Vorschrift der Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme niemals in der Person des Versicherungsnehmers entstehen könne. Das aus der Versicherungssumme stammende Geld könne zur Haftung wegen persönlicher Steuern des Erblassers nicht in Anspruch genommen werden, da die Haftung der Bgin. auf den Nachlaß beschränkt sei.

Mit der Rb. macht der Vorsteher des Finanzamts (Bf.) unter anderem geltend: Die Bgin. könne sich nicht gemäß § 1990 BGB auf die Dürftigkeit des Nachlasses berufen, weil die Versicherungssumme zum Nachlaß ihres Vaters gehöre. Die gegenteilige Entscheidung des Finanzgerichts beruhe auf einer unrichtigen Anwendung des bestehenden Rechts und auf einem Verstoß wider den klaren Inhalt der Akten. Die Bgin. sei im Versicherungsvertrag nicht als Bezugsberechtigte benannt. Eine Versicherungssumme gehöre nur dann nicht zum Nachlaß, wenn ein echter Vertrag zugunsten eines bestimmten Dritten, nämlich des zu bezeichnenden Bezugsberechtigten, vorliege.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt nicht zum Erfolg.

Soweit die (rechtskräftige) Entscheidung des Finanzgerichts in der Haftungssache der Bgin. die Haftung verneint und den Haftungs- und den Einspruchsbescheid abgeändert hat, also hinsichtlich der Umsatzsteuer und der Gewerbesteuer der Gesellschaft, erweist sich die Pfändungsverfügung des Finanzamts vom 22. Oktober 1954 als nicht gerechtfertigt. Aber auch im übrigen ist der Vorentscheidung im Ergebnis beizutreten.

Im Streitfall handelt es sich, wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, um die Pfändung eines Guthabens, das aus der Auszahlung einer Autoinsassen-Kapitalversicherung auf den Todesfall des Erblassers herrührt. Die Pfändung solcher Forderungen (ß 361 AO) ist an sich zulässig. Auf die genannte Versicherungsart finden die Vorschriften der §§ 179 Abs. 2, 180 in Verbindung mit §§ 166, 167 Abs. 2 VVG Anwendung.

Die Steuerschulden des Erblassers sind gemäß § 8 Abs. 1 StAnpG unter anderem auf die Bgin. als Rechtsnachfolgerin übergegangen. Nach § 8 Abs. 2 StAnpG haftet die Bgin. "für die aus dem Nachlaß" ihres Vaters "zu entrichtenden Steuern" wie für Nachlaßverbindlichkeiten nach bürgerlichem Recht. Da im Streitfall die Voraussetzungen des § 1990 BGB (Dürftigkeit des Nachlasses) vorliegen, haftet die Bgin. mit ihrem nicht zum Nachlaß gehörenden Vermögen (Eigenvermögen) für die aus dem Nachlaß zu entrichtenden Steuern ihres Vaters nicht.

Die Vorinstanz hat mit Recht das gepfändete Sparkassenguthaben als Eigenvermögen der Bgin. angesehen. Ein Verstoß des Finanzgerichts wider den klaren Inhalt der Akten ist nicht ersichtlich. Das Recht der Bgin. auf die Auszahlung ihres Anteils aus der Autoinsassen-Versicherung ihres Vaters auf den Todesfall war keine Nachlaßforderung.

Im Lebensversicherungsrecht gehört nach verbreiteter Meinung - vgl. unter anderem das Urteil des Landgerichts Berlin 255 S. 2817/38 vom 24. November 1938, Juristische Wochenschrift 1939 S. 165 Nr. 23; Prölss, Versicherungsvertragsgesetz, 11. Aufl. 1958, Bem. 1 a. E. zu § 166 - die Versicherungssumme zum Nachlaß, wenn der Versicherungsnehmer keinen Bezugsberechtigten benannt hat. Stiefel-Wussow, Kraftfahrversicherung, 4. Aufl. 1959, führen auch für § 16 der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrversicherung (AKB), Bem. 15 zu § 16 (unter Bezugnahme auf älteres Schrifttum) aus: "Soweit eine Bezugsberechtigung bei der Unfallversicherung nicht vorliegt, fällt der Anspruch grundsätzlich in den Nachlaß." Dieser Rechtsauslegung folgt der erkennende Senat für die im Streitfall in Betracht kommende Insassen-Unfallversicherung aus folgenden Gründen nicht: Soll bei einer Kapitalversicherung der Versicherer nach dem Tode des Versicherungsnehmers leisten und ist die Zahlung an die Erben ohne nähere Bestimmung bedungen, so sind nach § 167 Abs. 2 VVG im Zweifel diejenigen, die zur Zeit des Todes als Erben berufen sind, nach dem Verhältnis ihrer Erbteile bezugsberechtigt. Das gilt nach § 180 VVG in Verbindung mit § 167 Abs. 2 a. a. O. auch für die Todes-Unfall-Kapitalversicherung von Autoinsassen. Gleiches muß gelten, wenn die Kapitalleistung des Versicherers nach dem Tode eines von dem Versicherungsnehmer verschiedenen Versicherten erfolgen soll und die Zahlung an die Erben ohne nähere Bestimmung ausbedungen ist (vgl. das Urteil des Kammergerichts 23 U. 3529/39 vom 30. November 1939, Juristische Rundschau für die Privatversicherung 1940 S. 93). § 167 Abs. 2 in Verbindung mit § 180 VVG muß nach Ansicht des erkennenden Senats sinngemäß aber auch dann Anwendung finden, wenn bei der Insassen-Unfallversicherung auf den Todesfall die Erben nicht ausdrücklich als Bezugsberechtigte benannt sind. Der Wille des Versicherungsnehmers geht auch für solche Versicherungsfälle im Zweifel dahin, die berechtigten Erben durch einen eigenen, von der Erbenhaftung befreiten Anspruch gegen den Versicherer sicherzustellen. Dabei kann es - entgegen der Meinung des Bf. - nichts ausmachen, ob der Versicherungsnehmer ein Betrieb oder eine Einzelperson ist.

Im Streitfall bedarf es nicht der Entscheidung darüber, ob die Meinung der Vorinstanz zutrifft, daß der Anspruch auf die Auszahlung der Todes-Unfall-Versicherungssumme niemals in der Person des Versicherungsnehmers oder des Versicherten entstehen könne. Es braucht auch nicht erörtert zu werden, ob die Ausführungen des - vor Verkündung des VVG ergangenen - Urteils des Reichsgerichts VII 412/06 vom 24. Mai 1907, Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 66 S. 158 ff., auf das sich das Finanzamt zur Widerlegung der Ansicht des Finanzgerichts berufen hat, durch die Schaffung des VVG überholt sind. Denn es kommt, um es zu wiederholen, nur darauf an, ob der Vertragswille bei der Insassen-Unfallversicherung auf den Todesfall im Zweifel dahin geht, den berechtigten Erben einen eigenen Anspruch gegen den Versicherer zu geben. Diese Frage hat das Finanzgericht für den Streitfall mit Recht bejaht. Es hat dabei auch seine Ermittlungspflicht nicht verletzt. Für die Auslegung des Vertrages sind nicht allein der Wortlaut, sondern auch Sinn und Zweck, so wie sie sich aus dem Vertrage ergeben, entscheidend. Die Umstände, daß der Versicherungsanspruch im Streitfall zunächst von der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts geltend gemacht worden war und die Versicherungssumme von dem verständlicherweise vorsichtigen Versicherer erst auf Grund einer Vereinbarung zwischen der Gesellschaft (Versicherungsnehmerin) und den Erben des Versicherten ausgezahlt wurde, führen zu keiner anderen Beurteilung der Rechtslage. Zwischen der Gesellschaft und der Bgin. bestanden nach dem Erbfall rechtliche Meinungsverschiedenheiten. Rückschlüsse auf die Zeit des Abschlusses des Versicherungsvertrages, dessen Antrag noch der Vater der Bgin. unterschrieben hatte, können daraus nicht gezogen werden. Zur selbständigen Geltendmachung des Versicherungsanspruchs war die Bgin. nach § 3 Abs. 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 16 Abs. 5 AKB (vgl. Prölss a. a. O. S. 510 ff., 522, 546, Zusatz zu §§ 149 bis 1958 h) allerdings nicht berechtigt. Das ändert aber nichts daran, daß auch in solchen Fällen, in denen die Insassen-Unfallversicherung nicht auf den Namen des später verunglückten Insassen genommen worden ist, doch dem Autoinsassen, im Falle seines Unfalltodes seinen Rechtsnachfolgern, in aller Regel das Recht aus der Unfallversicherung zusteht; im Zweifel ist anzunehmen, daß der Versicherungsnehmer den Anspruch auf die Versicherungssumme dem Versicherten und für den Fall seines Unfalltodes dessen Rechtsnachfolgern hat erwerben wollen (vgl. ebenso das Urteil des Bundesgerichtshofs VI ZR 214/54 vom 19. November 1955, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 19 S. 94 ff., 100).

Dem Finanzamt kann auch nicht in der Meinung gefolgt werden, daß eine Versicherungssumme nur dann nicht zum Nachlaß gehöre, wenn ein echter Vertrag zugunsten eines bestimmten Dritten vorliegt. Durch § 166 VVG, der nach § 180 VVG auch für die Insassen-Unfall-Kapitalversicherung gilt, sind, wie auch im Schrifttum anerkannt ist, die Vorschriften der §§ 328 ff. BGB abgeändert worden. Die Ansicht des Finanzamts steht mit § 166 Abs. 2 VVG nicht im Einklang.

Nach alledem war die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409506

BStBl III 1960, 54

BFHE 1960, 145

BFHE 70, 145

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge