Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Antrags auf Richterablehnung

 

Leitsatz (NV)

Ein Antrag, mit dem sämtliche Richter eines Senats bei einem FG als befangen abgelehnt werden, ist grundsätzlich rechtsmißbräuchlich. In einem solchen Fall können auch die abgelehnten Richter bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch mitwirken.

Die ehrenamtlichen Richter wirken an einem Beschluß über die Ablehnung von Richtern wegen Befangenheit mit, wenn der Beschluß aufgrund mündlicher Verhandlung ergeht.

 

Normenkette

FGO § 51

 

Tatbestand

Im Klageverfahren forderte der Berichterstatter des Finanzgerichts (FG) den Prozeßbevollmächtigten des Klägers, Antragstellers, Beschwerdeführers und Revisionsklägers (Kläger) mit einer am 22.Mai 1991 abgesandten Verfügung auf, bis zum 20. Juni 1991 die Klage zu begründen und die Prozeßvollmacht vorzulegen. Mit Schriftsatz vom 18. Juni 1991 erbat der Prozeßbevollmächtigte Fristverlängerung um einen Monat. Der Berichterstatter setzte daraufhin dem Prozeßbevollmächtigten gemäß Art.3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) eine Frist mit ausschließender Wirkung zur Vorlage einer schriftlichen Vollmacht i.S. des § 62 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zum 10. August 1991. Diese Fristsetzung ist dem Prozeßbevollmächtigten lt. Empfangsbekenntnis am 12. Juli 1991 zugegangen. Am 9. August 1991 ging beim FG ein Telefax von einer Fotokopie der Prozeßvollmacht ein. Am 12. August 1991 folgte auf dem Briefweg die Fotokopie der Vollmacht.

Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung, die dem Prozeßbevollmächtigten lt. Empfangsbekenntnis am 11.September 1991 zuging, teilte die Vorsitzende dem Prozeßbevollmächtigten mit, daß die Klage wegen verspäteten Vorlegens der Prozeßvollmacht unzulässig sei. Darauf beantragte der Prozeßbevollmächtigte mit am 24. September 1991 beim FG eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legte die Prozeßvollmacht im Original vor. Den Wiedereinsetzungsantrag begründete er damit, daß ihm nicht bekannt gewesen sei, daß als schriftliche Vollmacht nur die Originalprozeßvollmacht anzusehen sei.

In der mündlichen Verhandlung am 22.Oktober 1991 lehnte die Unterprozeßbevollmächtigte des Klägers, Frau L, den gesamten . . . Senat einschließlich der ehrenamtlichen Richter des FG wegen Befangenheit ab.

In dem Protokoll, zu dem Rügen nicht erhoben wurden, heißt es dazu: ,,Frau L lehnt das ganze Gericht ab. Zur Begründung trägt sie vor: Ich bin der Überzeugung, daß sich der Berichterstatter bisher überhaupt noch nicht mit dem Steuerbescheid befaßt hat. Das gilt natürlich für alle anderen Richter auch."

Das FG hat durch Beschluß in der mündlichen Verhandlung in der ordentlichen Besetzung den Antrag auf Ablehnung des gesamten Senats als rechtsmißbräuchlich abgelehnt. Ablehnungsanträge, führte das FG aus, die ohne hinreichende Begründung und offensichtlich in der Absicht, den Prozeß zu verschleppen, gestellt werden, seien mißbräuchlich. Das gelte insbesondere, wenn eine Partei - wie im Streitfall - mit einheitlicher Begründung sämtliche Richter eines Spruchkörpers ablehne. Die Verzögerungsabsicht ergebe sich zusätzlich daraus, daß die Prozeßbevollmächtigten des Klägers zuvor bereits zwei unbegründete Anträge gegen einzelne Richter wegen Besorgnis der Befangenheit gestellt und während des Ablehnungsverfahrens zwei weitere Richter abgelehnt haben.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Beschluß vom 22.Oktober 1991 aufzuheben und dem Ablehnungsgesuch stattzugeben. Zur Begründung trägt er vor, der Spruchkörper habe sich nur mit der Schriftlichkeit der Vollmacht befaßt und ,,niemals auch nur einen Gedanken an den Steuerbescheid aufgewendet, um den es im vorliegenden Rechtsstreit an sich geht". Die Richter des Senats seien daher alle befangen.

Der Beklagte, Antragsgegner, Beschwerdegegner und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hat keine Stellungnahme abgegeben.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet. Der angefochtene Beschluß enthält keine Verstöße gegen Verfahrensgrundsätze und ist auch sonst frei von Rechtsfehlern.

Eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 51 FGO i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).

Gründe für ein derartiges Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde (Senatsbeschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555 m.w.N.).

a) Über das Ablehnungsgesuch konnte nach § 51 Abs. 2 FGO i.V.m. § 45 ZPO der . . .Senat des FG in der Stammbesetzung selbst entscheiden.

Zwar hat der Kläger sämtliche Richter des FG wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, jedoch ist sein Antrag insoweit rechtsmißbräuchlich. In einem solchen Fall können auch die abgelehnten Richter bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch mitwirken (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 22.Februar 1960 2 BvR 36/60, BVerfGE 11, 1; Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Juli 1974 VIII B 29/74, BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638). Da der Beschluß aufgrund mündlicher Verhandlung erging, mußten daran auch die ehrenamtlichen Richter mitwirken.

Rechtsmißbräuchlich ist ein Befangenheitsantrag, wenn sämtliche Richter eines Gerichts mit allgemeiner Begründung, die sich nicht auf besondere Sachverhaltsumstände in der Person des einzelnen Richters bezieht, abgelehnt werden (vgl. Beschluß in BVerfGE 11, 1; Beschluß in BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638). Möglich ist nur eine Individualablehnung von Richtern. Ein Sachverhaltsumstand kann dann kein Grund für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit sein, wenn er individuell nicht begrenzt, sondern so allgemeiner Natur ist, daß er seine Besonderheit und Eigenart für den Einzelnen verloren hat.

b) Der Kläger sieht einen Ablehnungsgrund für alle Richter des Senats darin, daß sie sich nur mit dem Mangel der Vollmacht und nicht mit dem angefochtenen Steuerbescheid beschäftigt hätten. Damit leitet er sein Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit nicht aus einem besonderen Verhalten des jeweils abgelehnten Richters, sondern aus dem Gesamtverhalten des erkennenden Senats des FG ab. Da die verfahrensrechtliche Behandlung des Falles jedoch gesetzmäßig ist, kann darin auch kein Ablehnungsgrund gegeben sein. Das FG darf sich nicht mit der Sachentscheidung befassen, wenn die Klage - wie im Streitfall - unzulässig ist. Dies mußte dem durch einen Rechtsanwalt vertretenen Kläger auch verständlich sein.

Die Vorlage einer ordnungsgemäßen Prozeßvollmacht i.S. des § 62 Abs. 3 FGO ist - anders als im Zivilprozeß - eine von Amts wegen zu prüfende Sachurteilsvoraussetzung (BFH-Urteil vom 17. Juli 1984 VIII R 20/82, BFHE 141, 463, BStBl II 1984, 802, 803). Stellt sich heraus, daß keine schriftliche Vollmacht (§ 62 Abs. 3 FGO) nach Fristsetzung gemäß Art.3 § 1 VGFGEntlG fristgemäß dem Gericht vorliegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren ist, muß die Klage als unzulässig verworfen werden, ohne daß es zu einer materiell-rechtlichen Prüfung kommen kann. Das FG ist daher rechtsfehlerfrei unter Anwendung der Verfahrensgrundsätze vorgegangen.

c) Ist die Ablehnung mißbräuchlich, so entfällt auch das Erfordernis der Abgabe einer dienstlichen Äußerung der abgelehnten Richter nach § 51 FGO i.V.m. § 44 Abs. 3 ZPO (BFH-Beschluß in BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638).

 

Fundstellen

BFH/NV 1993, 661

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