Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses

 

Leitsatz (NV)

Verweist ein Finanzgericht einen Rechtsstreit an ein anderes Finanzgericht, so ist dieses nur dann nicht an den Verweisungsbeschluß gebunden, wenn dieser willkürlich gefaßt ist oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Beteiligten beruht.

 

Normenkette

FGO §§ 39, 70 S. 2; GVG § 17a Abs. 2 S. 3

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Die Kläger haben im Jahre 1991 beim Finanzgericht (FG) A wegen Einkommensteuer 1987 Klage gegen das Finanzamt (FA) B erhoben.

Am 22. März 1994 erließ das zwischenzeitlich zuständig gewordene FA C einen Änderungsbescheid, der auf Antrag der Kläger zum Gegenstand des Verfahrens wurde.

Da sich die Klage nunmehr gegen einen vom FA C erlassenen Verwaltungsakt richtete, hielt sich das FG A für örtlich unzuständig. Nach Anhörung der Beteiligten verwies es die Sache mit Beschluß vom 2. August 1994 an das FG D, das sich seinerseits ebenfalls für örtlich unzuständig hält. Es ist der Auffassung, das FG A sei zuständig. Im Zeitpunkt der Klageerhebung sei das FG A örtlich zuständig gewesen; diese einmal begründete Zuständigkeit bleibe weiterhin bestehen. Durch Beschluß vom 19. September 1994 hat sich das FG D deshalb für örtlich unzuständig erklärt und den Bundesfinanzhof (BFH) zur Bestimmung des zuständigen FG angerufen.

 

Entscheidungsgründe

Die Anrufung des BFH gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist zulässig. Sie führt zur Bestimmung des FG D als dem in der Sache zuständigen FG.

1. Nach § 39 Abs. 2 FGO kann jedes mit dem Rechtsstreit befaßte FG den BFH zur Bestimmung des zuständigen Gerichts anrufen. Das FG A hatte den Rechtsstreit mit Beschluß vom 2. August 1994 an das FG D verwiesen. Damit war dieses mit der Sache befaßt und zur Anrufung berechtigt.

2. Eine Bestimmung des zuständigen FG durch den BFH gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 4 FGO ist nur dann zulässig, wenn verschiedene FG, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Es liegen entsprechende Beschlüsse des FG A vom 2. August 1994 und des FG D vom 19. September 1994 vor. Diese Beschlüsse sind unanfechtbar (§ 70 Satz 2 FGO i. V. m. § 17 a Abs. 2 Satz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes -- GVG --. Für die Zulässigkeit der Anrufung des BFH ist es unerheblich, ob beide Beschlüsse oder auch nur einer von ihnen Rechtens sind. Die Vorschrift dient der Wahrung eines lükenlosen Rechtsschutzes. Ein lückenhafter Rechtsschutz droht aber auch dann, wenn sich ein FG zu Unrecht für unzuständig erklärt und ein anderes die Übernahme der Sache verweigert (vgl. Beschluß des BFH vom 25. März 1993 I S 4/93, BFH/NV 1993, 676).

3. Für die Entscheidung über die Klage ist das FG D örtlich zuständig. Es ist deshalb als das zuständige FG zu bestimmen.

Die örtliche Zuständigkeit des FG D ergibt sich aus § 70 Satz 2 FGO i. V. m. § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach ist das Gericht, an das die Sache verwiesen wird, hinsichtlich seiner Zuständigkeit an den Verweisungsbeschluß gebunden. Es soll dadurch eine unnötige Prozeßverzögerung vermieden werden (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 70 FGO Tz. 2).

Der Grundsatz der Unanfechtbarkeit des Verweisungsbeschlusses und dessen Bindungswirkung gilt zwar nicht uneingeschränkt. Entbehrt der Beschluß jeglicher Rechtsgrundlage, ist er also willkürlich gefaßt oder beruht er auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten, so kommt ihm keine Bedeutung zu (vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juni 1970 2 BvR 48/70, BVerfGE 29, 45; vom 7. Juli 1982 1 BvR 787/81, BVerfGE 61, 37; Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 10. Dezember 1987 I AZR 809/87, BGHZ 102, 338; vom 16. Dezember 1987 IV b AZR 46/87, NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 1988, 521; vom 22. September 1988 I AZR 555/88, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1989, 461; vom 17. Mai 1989 I AZR 254/89, NJW 1990, 53). Anhaltspunkte für derartige Mängel sind im Streitfall aber nicht gegeben. Insbesondere ist der Verweisungsbeschluß des FG A vom 2. August 1994 nicht offensichtlich rechtsfehlerhaft.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420646

BFH/NV 1995, 907

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