Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestandsanmeldung und Außenprüfung im Mineralölsteuerrecht

 

Leitsatz (NV)

1. Auch wenn eine Außenprüfung zu keiner Änderung des Ergebnisses der aufgrund einer betrieblichen Bestandsaufnahme abgegebenen Bestandsanmeldung geführt hat, bestehen keine ernstlichen Zweifel, daß der wegen einer Fehlmenge erforderliche Steuerbescheid ,,auf Grund der Außenprüfung" i.S. des § 171 Abs. 4 Satz 1 AO zu erlassen ist (Anschluß an BFH-Urteil vom 26.September 1989 VII R 57/86, BFHE 158, 190).

2. Eine gesetzlich vorgeschriebene Bestandsanmeldung im Mineralölsteuerrecht ist keine Anzeige im Sinne der in § 171 Abs. 9 AO genannten Vorschriften.

 

Normenkette

AO § 90 Abs. 1, §§ 153, 161, 169 Abs. 2 S. 2, § 170 Abs. 1, § 171 Abs. 4 S. 1, Abs. 9, § 202 Abs. 1 S. 3, §§ 371, 378 Abs. 3; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1; MinöStDV § 21 Abs. 7, § 23 Abs. 3 Nr. 2; VGFGEntlG Art.3 § 7 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Antragstellerin, der ein Heizölverteilerverkehr bewilligt ist, wurde von dem Antragsgegner (Hauptzollamt - HZA -) auf Zahlung von Mineralölsteuer wegen einer festgestellten Fehlmenge an steuerbegünstigtem Heizöl nach § 23 Abs. 3 Nr.2 der Verordnung zur Durchführung des Mineralölsteuergesetzes (MinöStDV) in der für 1987 geltenden Fassung i.V.m. § 161 der Abgabenordnung (AO 1977) in Anspruch genommen.

Eine betriebliche Bestandsaufnahme der Antragstellerin hatte ergeben, daß der von ihr festgestellte Ist-Bestand an Heizöl unter dem von ihr buchmäßig ermittelten Soll-Bestand lag. Da diese Fehlmenge mit 1,32% (bezogen auf den Anfangsbestand zuzüglich des Zugangs seit der letzten Bestandsaufnahme) erheblich größer als die in der Vergangenheit festgestellten und anerkannten betrieblich bedingten Abweichungen von höchstens 0,22% war, ordnete das HZA eine Außenprüfung an, die sich auf den Prüfungszeitraum vom . . . bis zum Tag der Bestandsaufnahme nach Prüfungsbeginn erstrecken sollte. Die Außenprüfung wurde zunächst mit einer amtlichen Bestandsaufnahme begonnen. Die Prüfung führte für 19.. erneut zu einer erheblichen Fehlmenge von 0,92%; für 19.. bestätigten die Prüfer das Ergebnis der Bestandsanmeldung. Anhaltspunkte für derartig hohe Abweichungen zwischen Soll- und Istbeständen fanden die Prüfer nicht.

Einspruch und Klage der Antragstellerin gegen den Steuerbescheid blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus, das HZA habe wegen der Fehlmenge für 19.., nach Abzug der betrieblich bedingten Fehlmenge von 0,22%, zu Recht Mineralölsteuer gegen die Antragstellerin festgesetzt. Die nach § 161 AO 1977 mit dem Tag der Bestandsaufnahme am . . . unbedingt gewordene Schuld sei auch nicht verjährt, denn die Festsetzungsverjährung sei gemäß § 171 Abs. 4 AO 1977 durch den Beginn der Außenprüfung am . . . im Ablauf gehemmt gewesen. Der Steuerbescheid beruhe auch materiell auf dem Ergebnis dieser Außenprüfung, obschon diese für 19.. nicht zu neuen Prüfungsfeststellungen geführt, sondern nur das Ergebnis der betrieblichen Bestandsaufnahme bestätigt habe. § 171 Abs. 9 AO 1977 sei nicht anwendbar, da die von der Antragstellerin für 19.. abgegebene Steueranmeldung mangels Berichtigung einer vorausgegangenen Steuererklärung keine Anzeige gemäß § 153 Abs. 1 AO 1977 darstelle. Das FG hat die Revision mit der Begründung zugelassen, die Frage der Verjährung (§ 171 Abs. 4 AO 1977) habe grundsätzliche Bedeutung.

Mit der Revision macht die Antragstellerin geltend: Da die Außenprüfung zu keiner Korrektur der Bestandsanmeldung geführt habe, sei der Steuerbescheid nicht aufgrund der Außenprüfung erlassen worden, so daß § 171 Abs. 4 AO 1977 für diesen Fall nicht anwendbar sei. Einschlägige Verjährungsvorschrift sei vielmehr § 171 Abs. 9 AO 1977; die Bestandsanmeldung erfülle den Tatbestand einer Anzeige i.S. des § 153 Abs. 1 Nr.1 und Abs. 2 AO 1977. Hiernach sei die Steuerforderung verjährt.

Im vorliegenden Verfahren beantragt die Antragstellerin, die Vollziehung des Steuerbescheids auszusetzen.

 

Entscheidungsgründe

Der an den Bundesfinanzhof (BFH) gerichtete Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheids ist zulässig. Der BFH ist als Gericht der Hauptsache gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Entscheidung berufen, da die Revision bei ihm anhängig ist. Die formellen Voraussetzungen für die Anrufung des Gerichts sind gegeben, denn das HZA hat einen bei ihm nach Zulassung der Revision durch das FG gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheids abgelehnt (Art.3 § 7 Abs. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit - VGFGEntlG -).Der Antrag ist unbegründet.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen dann, wenn gewichtige Umstände Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. BFH-Urteil vom 4. Mai 1977 I R 162-163/76, BFHE 123, 3, BStBl II 1977, 765). Ist der Verwaltungsakt - wie im Streitfall - Gegenstand eines bereits in der Revisionsinstanz anhängigen Hauptverfahrens, können ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit nur anerkannt werden, wenn unter Berücksichtigung der besonderen Voraussetzungen des Revisionsverfahrens und der beschränkten Prüfungsmöglichkeiten des Revisionsgerichts, insbesondere seiner grundsätzlichen Bindung an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (§ 118 Abs. 2 FGO), ernstlich mit der Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts gerechnet werden kann. Da es im Revisionsverfahren um Rechtsfragen geht, sind die Erfolgsaussichten auf der Grundlage dieser Fragen zu prüfen (vgl. Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 69 Anm.97).

Danach bestehen im Streitfall an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids keine ernstlichen Zweifel. Gegen die vom HZA und FG zugrunde gelegte Auffassung, die Festsetzungsfrist sei bei Erlaß des Mineralölsteuerbescheids infolge Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 4 AO 1977 noch nicht abgelaufen gewesen, bestehen keine rechtlichen Bedenken, die so gewichtig wären, daß sie Unentschiedenheit oder Unrichtigkeit in der Beurteilung dieser Fragen bewirken könnten.

2. Der Senat hat in seinem Urteil vom 26.September 1989 VII R 57/86, BFHE 158, 190, entschieden, daß eine Bestandsaufnahme i.S. des § 161 AO 1977 im Mineralölsteuerrecht stets nur die Feststellung des Ist-Bestandes, nicht aber auch die Ermittlung des Soll-Bestandes umfaßt, obschon sich eine Fehlmenge nur dadurch ermitteln läßt, daß der Ist-Bestand mit einem unter Berücksichtigung der Anschreibungen über die Zu- und Abgänge ermittelten Soll-Bestand - bezogen auf den Zeitpunkt der Feststellung des Ist-Bestandes - verglichen wird. Hieraus hat der Senat gefolgert, daß das für die Fehlmengenversteuerung zuständige HZA befugt ist, nach der Bestandsaufnahme alle zur Ermittlung der tatsächlichen Zu- und Abgänge erforderlichen Feststellungen, z.B. mittels Durchführung einer Betriebsprüfung, zu treffen und die Ergebnisse dieser Prüfung der Fehlmengenberechnung zugrunde zu legen, selbst wenn sich dabei ein zum Nachteil des Steuerpflichtigen gegenüber seiner Bestandsanmeldung berichtigter Soll-Bestand ergibt.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall führt unmittelbar zu einer Anwendung des § 171 Abs. 4 AO 1977. Die Festsetzungsfrist für die gemäß § 161 Satz 2 AO 1977 im Zeitpunkt der Bestandsaufnahme unbedingt gewordene Steuer begann mit Ablauf des gleichen Tages (§ 170 Abs. 1 AO 1977) und wäre unter normalen Umständen zum . . . abgelaufen (§ 169 Abs. 2 Nr.1 AO 1977). Da aber am . . . mit einer Außenprüfung begonnen wurde, die aufgrund der Prüfungsanordnung gerade die Mineralölsteuer hinsichtlich der Verteilung steuerbegünstigten Heizöls im fraglichen Zeitraum erfaßte, trat Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 ein.

Gewichtige Bedenken gegen eine Anwendung dieser Vorschrift auf den Streitfall bestehen nicht. Der Einwand der Antragstellerin, der Steuerbescheid sei kein auf Grund der Außenprüfung zu erlassender Steuerbescheid, was in § 171 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 aber gefordert werde, sondern er beruhe auf dem Ergebnis der betrieblichen Bestandsaufnahme, geht fehl. Wie sich aus dem angeführten Senatsurteil in BFHE 158, 190, ergibt, betrifft die Bestandsaufnahme lediglich die Feststellung des Ist-Bestandes. Wird der zur Fehlmengenversteuerung nach § 161 AO 1977 benötigte Soll-Bestand aufgrund einer Außenprüfung ermittelt, so bildet das Ergebnis dieser Außenprüfung die mengenmäßige Besteuerungsgrundlage für die Fehlmengenversteuerung. Das gilt nicht nur, wenn sich dabei ein gegenüber der Bestandsaufnahme berichtigter Soll-Bestand zum Nachteil des Steuerpflichtigen ergibt (so in BFHE 158, 190), sondern auch dann, wenn diese Berichtigung dem Steuerpflichtigen zum Vorteil gereicht oder wenn die Prüfung - wie im Streitfall - zu einer identischen Feststellung des Soll-Bestands, also zu einer Bestätigung des Ergebnisses der betrieblichen Bestandsaufnahme führt. In allen diesen Fällen wird der Steuerbescheid auf Grund der Außenprüfung erlassen. Der Senat teilt die Auffassung der Vorinstanz, daß der Steuerbescheid hier nicht nur formell, sondern auch materiell auf der Außenprüfung beruht.

Hiervon in dem Fall eine Ausnahme zu machen, daß die Außenprüfung zu keiner Änderung des Ergebnises der betrieblichen Bestandsaufnahme geführt hat, entspräche nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift, schon weil dies zu unterschiedlichen Verjährungsfristen bei rechtlich gleich liegenden Sachverhalten führen müßte. Im übrigen bestätigt die ausdrückliche Bezugnahme auf § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977, wonach eine schriftliche Mitteilung an den Steuerpflichtigen ausreicht, wenn die Außenprüfung zu keiner Änderung der Besteuerungsgrundlagen geführt hat, daß der Gesetzgeber durch § 171 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 auch dann mit dem Beginn einer Außenprüfung die Festsetzungsfrist in ihrem Ablauf gehemmt wissen will, wenn die dabei getroffenen Prüfungsfeststellungen die Besteuerungsgrundlagen nicht geändert haben.

3. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist Festsetzungsverjährung auch nicht nach § 171 Abs. 9 AO 1977 eingetreten. Der Senat braucht dabei nicht auf das Verhältnis der einzelnen Hemmungstatbestände des § 171 AO 1977 einzugehen (vgl. dazu Ruban in Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 171 AO 1977 Rz.9), denn die Voraussetzungen des § 171 Abs. 9 AO 1977 liegen offensichtlich nicht vor, so daß keine Konkurrenzlage besteht.

Gemäß § 171 Abs. 9 AO 1977 wirken Anzeigen nach den §§ 153, 371, 378 Abs. 3 AO 1977 ablaufhemmend. § 153 AO 1977 hat die Berichtigung von Steuererklärungen zum Gegenstand, während die §§ 371, 378 Abs. 3 AO 1977 Selbstanzeigen bei Steuerhinterziehung oder leichtfertiger Steuerverkürzung betreffen. Der Auffassung der Antragstellerin, mit der Bestandsanmeldung . . . habe sie die für den Bestandsanmeldezeitraum abgegebenen Mineralölsteueranmeldungen korrigiert (,,und zwar selbst dann, wenn mangels Anfall von unbedingter Mineralölsteuer bisher gar keine Steueranmeldungen abgegeben" worden seien, ,,weil dann praktisch eine ,,Steueranmeldung korrigiert" werde), diese stelle also eine Anzeige i.S. von § 153 Abs. 1 Nr.1 AO 1977 dar, kann nicht gefolgt werden.

Mit der Abgabe der Bestandsanmeldung ist die Antragstellerin einer in § 21 Abs. 7 MinöStDV i.d.F. der 15. Änderungsverordnung zur MinöStDV (BGBl I 1974, 3521) - in der jetzt geltenden Fassung: § 21 Abs. 6 MinöStDV - spezialgesetzlich geregelten und zur Erleichterung der Steueraufsicht auferlegten Verpflichtung nachgekommen. Schon dies schließt die Annahme einer Anzeige i.S. des § 153 AO 1977, die eher als Ergänzung der allgemeinen Erklärungs- und Wahrheitspflicht (§ 90 Abs. 1 AO 1977) gedacht ist, im übrigen aber weitgehend auf Freiwilligkeit und eigenem Antrieb des Betroffenen beruht, aus.

Weiter fehlt es aber auch an der Erkennbarkeit des Willens des Steuerpflichtigen, die Richtigstellung einer Steuererklärung vorzunehmen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß derjenige, der eine Bestandsanmeldung abgibt, für etwa darin aufgeführte Fehlmengen einstehen und der Behörde mitteilen will, sie möge doch einen Steuerbescheid wegen der Fehlmengen erlassen bzw. frühere Steuerbescheide korrigieren. Eine Bestätigung dafür ergibt sich auch daraus, daß die Antragstellerin stets ihre Verantwortlichkeit für die Fehlmengen bestritten und diese auf Temperaturschwankungen und Meßtoleranzen zwischen Lieferlager und ihren Lagertankwagen zurückgeführt hat, also auf Umstände, die die bedingte Steuerschuld nicht hätten unbedingt werden lassen.

Schließlich fehlte es auch an einem konkreten Bezug zwischen der Fehlmenge und den einzelnen Steuertatbeständen, der eine Zuordnung der Fehlmengen zu den jeweiligen Mineralölsteueranmeldungen ermöglicht und somit erkennbar werden ließe, welche Steuererklärung richtiggestellt werden sollte.

 

Fundstellen

BFH/NV 1993, 144

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