Entscheidungsstichwort (Thema)

Darlegungsbedarf für NZB, wenn Rechtsprechung zum Problemkreis vorhanden

 

Leitsatz (NV)

1. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage wird nicht dargelegt i. S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO, wenn der Beschwerdeführer ausführt, daß die Ermittlungen über eine Datenbank ergeben hätten, daß wohl mehrere Urteile zu dem Problemkreis ergangen seien, daß seines Wissens aber kein veröffentlichtes Urteil des BFH zu dem konkreten Sachverhalt vorliege.

2. Eine Rechtsfrage ist nicht deshalb klärungsbedürftig, weil sie noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung war, denn die Beantwortung der Rechtsfrage könnte sich unter Anwendung allgemein anerkannter Grundsätze der Rechtsanwendung auf die gesetzliche Regelung ggfs. in Verbindung mit dazu ergangener Rechtsprechung ergeben. Liegt bereits Rechtsprechung zu dem Problemkreis vor (hier: Fristversäumung durch einen Prozeßbevollmächtigten), so sind in der Beschwerde insbesondere die Besonderheiten des Streitfalls gegenüber den von der Rechtsprechung bisher entschiedenen Fällen herauszuarbeiten; sodann ist darzulegen, daß wegen dieser Besonderheiten eine weitere Klärung erforderlich erscheint.

3. Die Rüge des Übergehens eines Beweisantritts muß angeben, welches bestimmte Beweisangebot durch das FG entscheidungserheblich übergangen worden sein soll.

4. Für die Rüge eines Verfahrensfehlers (hier: mangelnde Sachaufklärung infolge Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes) ist von der sachlich-rechtlichen Auffassung des FG auszugehen.

 

Normenkette

FGO §§ 76, 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, Abs. 3 S. 3

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Durch Urteil vom 29. Mai 1990 hat das Finanzgericht (FG) die Klage wegen Versäumung der Klagefrist unter Zurückweisung des Antrages der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig abgewiesen. Nach Auffassung des Gerichts beruht die Fristversäumung auf einem unentschuldbaren Organisationsmangel in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, der zu einer vorzeitigen Löschung der im Fristenkontrollbuch eingetragenen Klagefrist und zur Versäumung der Frist geführt habe.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin grundsätzliche Bedeutung geltend und rügt Verfahrensmängel. Die Grundlage hierfür sieht sie in ihrem - vom FG in den Tatbestand des Urteils aufgenommenen in den Entscheidungsgründen aber nicht gewürdigten - Vortrag, daß die Bearbeitung der steuerlichen Angelegenheiten der Klägerin, insbesondere die Bearbeitung von Einsprüchen, Beschwerden und Klageverfahren von dem freiberuflichen Mitarbeiter ihrer Prozeßbevollmächtigten, dem Steuerberater A, erledigt worden seien. Dieser habe persönlich einen Terminkalender geführt, in welchem er alle Termine der Klägerin erfaßt gehabt habe. In der maßgebenden Zeit sei Herr A an Grippe erkrankt und habe sich deshalb um die Fristenkontrolle nicht persönlich kümmern können.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Soweit die Beschwerde auf grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) gestützt ist, entspricht ihre Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen; die Klägerin hat die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt i. S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO. Hierzu wären substantiierte und konkrete Angaben darüber erforderlich gewesen, aus welchen Gründen die erstrebte Revisionsentscheidung der Rechtsklarheit, der Rechtseinheitlichkeit und / oder der Rechtsentwicklung dienen kann. Das bedeutet, daß in der Beschwerde konkret darauf einzugehen ist, inwieweit die Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig ist und ggf. in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten ist (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. August 1986 II B 53/86, BFHE 147, 219, BStBl II 1986, 858, und vom 21. August 1986 V B 46/86, BFH/NV 1987, 171, m. w. N.).

Die Klägerin hat zwar eine Rechtsfrage herausgestellt, nämlich, ,,ob ein freiberuflicher Steuerberater, der im Namen und Auftrag einer Sozietät für Mandanten beratend tätig wird, durch Führung eines eigenen Fristenkontrollbuchs einen möglichen Organisationsmangel der Wirtschaftsprüfungs- / Steuerberatungssozietät ausgleichen kann"; die Klägerin hat die grundsätzliche Bedeutung dieser Rechtsfrage jedoch nur behauptet. Es fehlt jede substantiierte Ausführung darüber, daß und aus welchen Gründen diese Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig sei. Insbesondere genügt es nicht, wenn die Klägerin ausführt, daß ihre Ermittlungen über Datev Lexinform ergeben habe, ,,daß wohl mehrere Urteile zur Fristversäumnis von Berufsträgern innerhalb ihrer Praxen höchstrichterlich entschieden worden sind, ihres Wissens aber kein veröffentlichtes Urteil des BFH zum oben geschilderten Sachverhalt vorliegt". Auch wenn die von der Klägerin herausgestellte Rechtsfrage anhand des konkreten Sachverhalts noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung gewesen ist, worüber der Senat keine Ermittlungen anzustellen hat, ergäbe sich allein hieraus nicht, daß der Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zukommt; nicht jede Rechtsfrage, die noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung war, ist deshalb klärungsbedürftig, denn die Beantwortung der Rechtsfrage könnte sich unter Anwendung allgemein anerkannter Grundsätze der Rechtsanwendung auf die gesetzliche Regelung ggf. in Verbindung mit dazu ergangener Rechtsprechung ergeben. Aus der Sicht des Streitfalls wäre daher erforderlich gewesen, anhand der umfangreichen Rechtsprechung und Literatur zur Fristversäumung durch Prozeßbevollmächtigte bzw. durch von diesen beauftragte Mitarbeiter (vgl. z. B. Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl.,§ 56 Rz. 6 bis 8, 30 ff.) Überlegungen dazu anzustellen und sie dann ggf. zur Grundlage einer Beschwerdebegründung zu machen, worin die Besonderheiten des Streitfalles gegenüber den von der Rechtsprechung bisher entschiedenen Fällen liegen und ob wegen dieser Besonderheiten eine weitere Klärung erforderlich erscheint. In diesem Zusammenhang hätte z. B. berücksichtigt werden können, welche Anforderungen die höchstrichterliche Rechtsprechung insbesondere auch des Bundesgerichtshofs (BGH) an die Vorsorge eines Rechtsanwalts für den Fall einer unvorhergesehenen Hinderung an der Wahrnehmung seiner Aufgaben stellt (vgl. z. B. Beschluß des BGH vom 24. Oktober 1985 VII ZB 16/85, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1987, 316). Entsprechendes gilt für die von der Klägerin aufgeworfene weitere Rechtsfrage, inwieweit ein freiberuflicher Berufsträger ohne eigene Angestellte sich des Bürobetriebs der Sozietät im Fall unvorhersehbarer Ereignisse bedienen muß, wenn eine unverschuldete Verhinderung durch Erkrankung eintritt.

2. Ohne Erfolg ist auch die Rüge von Verfahrensfehlern (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

a) Die Rüge, das FG habe einen Beweisantrag der Klägerin übergangen, ist schon deshalb nicht ordnungsgemäß erhoben, weil die Klägerin den übergangenen Beweisantrag nicht bezeichnet hat. Nicht ausreichend ist der Hinweis der Klägerin in der Beschwerdeschrift, daß ihr Beweisantrag in der ,,Antragsschrift vom 5. 4. 1990 enthalten" sei, und zwar auch dann nicht, wenn man davon absieht, daß es grundsätzlich erforderlich ist anzugeben, an welcher Stelle eines bestimmten Schriftsatzes Beweisangebote zu welchen Beweisthemen zu finden sind. Der Senat vermag der Beschwerdeschrift auch in Verbindung mit der Antragsschrift nicht zu entnehmen, welches bestimmte Beweisangebot das FG entscheidungserheblich übergangen haben sollte. Ob die Klägerin darüber hinaus weitere Voraussetzungen einer formgerechten Verfahrensrüge (vgl. hierzu z. B. Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, S. 99 ff.) unbeachtet gelassen hat, braucht nicht mehr erörtert zu werden.

b) Unbegründet ist die Rüge mangelnder Sachaufklärung infolge Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 76 FGO).

Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn bei einem geltend gemachten Verfahrensfehler die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensfehler beruhen kann. Maßstab hierfür ist die sachlich-rechtliche Auffassung des FG. Danach kann die Klägerin mit der Rüge, das FG habe es unterlassen, dem Ausmaß der Verhinderung des Mitarbeiters der Prozeßbevollmächtigten, des Steuerberaters A, nachzugehen, keinen Erfolg haben, weil für das FG allein entscheidungserheblich der von ihm bejahte Organisationsmangel in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten war.

c) Unschlüssig und damit unzulässig ist die Rüge, das FG habe das Recht der Klägerin auf Gehör verletzt, denn aus dem eigenen Vortrag der Klägerin geht hervor, daß sie sich zu der von ihr als entscheidend angesehenen Frage, welche Bedeutung dem Verhalten des Mitarbeiters Steuerberater A zukomme, äußern konnte und daß sich das Gericht mit dieser Frage befaßt hat. Die Klägerin führt nämlich aus, daß das FG die Erkrankung des Steuerberaters A im Tatbestand des Urteils zutreffend dargestellt und daß der Vorsitzende im Termin zur mündlichen Verhandlung es als rechtlich unerheblich bezeichnet habe, daß der Steuerberater A einen eigenen Terminkalender geführt habe. Einer ausdrücklichen rechtlichen Würdigung in den Entscheidungsgründen bedurfte es nicht.

 

Fundstellen

BFH/NV 1992, 602

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