Entscheidungsstichwort (Thema)

Schlüssigkeit der Rüge fehlender Entscheidungsgründe

 

Leitsatz (NV)

Der wesentliche Verfahrensmangel mangelnder Begründung einer Entscheidung ist dann nicht schlüssig gerügt, wenn es aus der rechtlichen Sicht des FG auf den in der Entscheidung offen gelassenen Gesetzestatbestand, auf den der angefochtene Verwaltungsakt gestützt war, nicht ankommt.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5; StBerG § 46 Abs. 2 Nrn. 4, 6

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzministerium) hat die Bestellung des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) als Steuerberater nach § 46 Abs. 2 Nr. 6 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) wegen Vermögensverfalls widerrufen. Auf die Klage gegen diesen Widerrufsbescheid ist in der Sitzung des Finanzgerichts (FG) ... die Verhandlung vertagt worden, um dem Finanzministerium Gelegenheit zu geben, weitere Ausführungen zur Interessengefährdung der Auftraggeber zu machen. Mit Erlaß ... hat das Finanzministerium die Bestellung des Klägers als Steuerberater nochmals widerrufen, diesmal wegen Fehlens der vorgeschriebenen Haftpflichtversicherung nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG. Der Kläger hat auch gegen diesen Bescheid Klage erhoben.

In der mündlichen Verhandlung ... hat das FG beide Klageverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Klage abgewiesen. Das FG führte aus, die Rechtsfolgen beider angefochtenen Verwaltungsakte (Widerruf der Bestellung) seien identisch. Der zweite Verwaltungsakt erschöpfe sich in der Ergänzung der Gründe für den Widerruf der Bestellung des Klägers als Steuerberater. Das Nachschieben solcher Gründe sei statthaft, da das Gericht ohnehin von Amts wegen sämtliche Gründe zu berücksichtigen habe, die den Widerruf rechtfertigten. Es könne dahinstehen, ob der Widerruf nach § 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG gerechtfertigt sei. Jedenfalls habe das Finanzministerium die Bestellung des Klägers zum Steuerberater zu Recht deshalb widerrufen, weil die vorgeschriebene Haftpflichtversicherung nicht unterhalten werde (§ 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG).

Mit der Revision rügt der Kläger einen wesentlichen Mangel des Verfahrens nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO); die Entscheidung des FG sei nicht mit Gründen versehen. Das Urteil enthalte keine rechtliche Begründung zur Frage des Vermögensverfalls nach § 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG, auf den der erste Widerrufsbescheid gestützt sei, sondern lasse diese dahingestellt. Die Verbindung der beiden Klageverfahren durch das FG sei weder wirksam erfolgt noch zulässig gewesen, da die Voraussetzungen des § 73 FGO nicht vorgelegen hätten. Das FG habe - wie sich aus dem Aktenzeichen, dem Tenor und den Entscheidungsgründen des Urteils ergebe - entgegen seinen Ausführungen über die Prozeßverbindung nur über eine Klage (gegen den ersten Verwaltungsakt) entscheiden wollen und tatsächlich entschieden. Die fehlende rechtliche Begründung zum Vermögensverfall (§ 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG) sei darauf zurückzuführen, daß das FG schon in der ersten mündlichen Verhandlung einen Verfahrensverstoß begangen habe, indem es den zuerst ergangenen angefochtenen Verwaltungsakt nicht aufgehoben, sondern die Verhandlung vertagt habe. Da der erste Widerrufsbescheid auch vom Finanzministerium nicht zurückgenommen worden sei, habe er (der Kläger) Anspruch auf eine gerichtliche Begründung zu dem von ihm bestrittenen Widerrufsgrund nach § 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Gemäß Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs findet abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat oder wenn ein Fall der zulassungsfreien Revision gemäß § 116 FGO gegeben ist. Das FG hat im Streitfall die Revision nicht zugelassen; die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wurde durch Beschluß des erkennenden Senats vom heutigen Tage als unbegründet zurückgewiesen. Gründe, die eine zulassungsfreie Revision nach § 116 FGO gerechtfertigt erscheinen lassen, liegen nicht vor.

Zwar hat der Kläger das Fehlen von Entscheidungsgründen und damit einen wesentlichen Verfahrensmangel nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO geltend gemacht. Verfahrensmängel i.S. des § 116 Abs. 1 FGO sind jedoch nur dann ordnungsgemäß gerügt, wenn die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, die Mängel ergeben, d.h., wenn sie schlüssig vorgetragen sind (vgl. BFH-Beschluß vom 17. September 1991 X R 19/91, BFH/NV 1992, 750, 751, m.w.N.). Daran fehlt es im Streitfall.

Die Verfahrensrüge des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO betrifft das Fehlen der rechtlichen Begründung des Urteils (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 119 Rdnr. 23). Die Wiedergabe der Entscheidungsgründe dient der Mitteilung der wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgebend waren. Ein Fehlen von Entscheidungsgründen liegt deshalb nur vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung zu überprüfen. Das ist nur dann der Fall, wenn das FG seine Entscheidung überhaupt nicht begründet oder einen eigenständigen Klagegrund oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat, mithin das Urteil bezüglich eines wesentlichen Streitpunktes nicht mit Gründen versehen war (vgl. BFH/NV 1992, 750, 751, m.w.N.).

Der Kläger rügt nicht das völlige Fehlen der Urteilsgründe, sondern nur die mangelnde Begründung zum Vorliegen des Widerrufstatbestands nach § 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG, auf den das Finanzministerium seinen ersten Bescheid gestützt hat. Wie er selbst vorträgt, ist das FG aber auch auf den Widerrufstatbestand des Vermögensverfalls eingegangen. Es hat es nur dahingestellt gelassen, ob der Widerruf nach § 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG gerechtfertigt sei, weil jedenfalls die Bestellung des Klägers als Steuerberater wegen Fehlens der vorgeschriebenen Haftpflichtversicherung (§ 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG) zu widerrufen war. Damit ist ein Fehlen von Entscheidungsgründen vom Kläger nicht schlüssig vorgetragen worden. Da das Vorliegen eines Verfahrensmangels aus der rechtlichen Sicht des FG zu beurteilen ist, folgt aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils, daß das FG - wie geschehen - die Frage des Widerrufs wegen Vermögensverfalls nach § 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG unentschieden lassen konnte, weil jedenfalls der Widerrufstatbestand des § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG (fehlende Haftpflichtversicherung) gegeben war. Das Urteil brauchte somit hinsichtlich des Streitpunktes Vermögensverfall nicht mit Gründen versehen zu werden, weil dieser für die Frage der Rechtmäßigkeit des Widerrufs nicht mehr entscheidungserheblich war.

Dem steht nicht entgegen, daß das Finanzministerium zwei Widerrufsbescheide erlassen hat, deren erster auf den Vermögensverfall als Widerrufsgrund gestützt war. Das FG, auf dessen Rechtsstandpunkt es für die Frage der Begründungsanforderungen ankommt, hat den späteren Bescheid, der auf das Fehlen der Haftpflichtversicherung (§ 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG) gestützt war, lediglich als Ergänzung (Nachschieben) der Widerrufsgründe angesehen und diese im Hinblick auf die identische Rechtsfolge beider Widerrufsbescheide für zulässig gehalten. Es kann dahinstehen, ob bei dieser Betrachtungsweise tatsächlich zwei Klagen des Klägers gegen zwei selbständige Verwaltungsakte vorlagen oder ob der zweite Bescheid lediglich als wiederholender Verwaltungsakt anzusehen war (vgl. hierzu Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 118 AO 1977 Tz. 11), ob es einer Verbindung der Verfahren nach § 73 Abs. 1 FGO bedurfte und ob (trotz Verbindung) - wie aus dem Tenor des Urteils hervorgeht - nur über eine Klage zu entscheiden war. Aus der Vorentscheidung geht jedenfalls hervor, daß das FG die einheitliche Verwaltungsentscheidung des Widerrufs der Bestellung des Klägers als Steuerberater nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG (fehlende Haftpflichtversicherung) als rechtmäßig ansah.

Soweit sich der Kläger gegen die vom FG vorgenommene Verbindung der Klageverfahren sowie gegen die Vertagung in der mündlichen Verhandlung wendet, rügt er keine Verfahrensfehler, die in § 116 Abs. 1 FGO aufgeführt sind. Eine zulassungsfreie Revision wegen wesentlicher Mängel des Verfahrens nach dieser Vorschrift kommt somit nicht in Betracht.

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 40

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