Leitsatz (amtlich)

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob nach Berliner Grunderwerbsteuerrecht auch bei Personengesellschaften "die Vereinigung von fünfundneunzig vom Hundert aller Anteile" der Besteuerung aus § 1 Abs. 3 Berl. GrEStG 1969 unterliegt, und bejahendenfalls, ob die Steuer auch aus der Beteiligungsquote erhoben werden kann, zu der der Gesellschafter bereits beim Erwerb des Grundstücks an der Gesellschaft beteiligt war.

 

Normenkette

Berl. GrEStG 1969 § 1 Abs. 3, § 16; GrEStG 1940 § 1 Abs. 3, § 6

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und ihr Ehemann waren als Kommanditisten zu je 49,2 v. H. an der XY GmbH & Co. Kommanditgesellschaft beteiligt. Deren persönlich haftender Gesellschafterin - der Gesellschaft mit beschränkter Haftung - stand eine Beteiligung von 1,6 v. H. zu. Deren Gesellschafter waren die Antragstellerin und ihr Ehemann zu gleichen Geschäftsanteilen.

Am 28. März 1970, dem Todestag des Ehemanns der Antragstellerin, gehörte ein in Berlin belegenes Grundstück mit einem zum 1. Januar 1968 auf 5 080 900 DM festgesetzten Einheitswert zu dem Vermögen der Gesellschaft. Die Antragstellerin erwarb als Alleinerbin den Anteil ihres Mannes an der Kommanditgesellschaft.

Das FA hielt die Vereinigung der Anteile (in Höhe von 98,4 v. H. der Vermögensbeteiligung) in der Hand der Antragstellerin für grunderwerbsteuerpflichtig gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 Berl. GrEStG 1969. Es setzte mit Bescheid vom 23. Mai 1972 die Grunderwerbsteuer auf 180 676,80 DM fest; dabei ließ es gemäß § 3 Nr. 2 Berl. GrEStG 1969 eine Quote von 49,2 v. H. für den durch Erbfall der Antragstellerin angefallenen Anteil unbesteuert.

Über den Einspruch der Antragstellerin ist noch nicht entschieden. Das FG hat ihren Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zurückgewiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids ist ernstlich zweifelhaft (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO). Seine Vollziehung war daher auszusetzen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO).

Der Besteuerung zugrunde gelegt ist § 1 Abs. 3 Nr. 2 Berl. GrEStG 1969. Nach dieser Vorschrift unterliegt, wenn ein (seinerseits der Grunderwerbsteuer unterliegendes) schuldrechtliches Geschäft nicht vorangegangen ist, der Grunderwerbsteuer die Vereinigung von mindestens fünfundneunzig vom Hundert aller Anteile einer Gesellschaft, wenn zu deren Vermögen ein im Land Berlin belegenes Grundstück gehört; als Beispiele solcher Gesellschaften sind neben Kapitalgesellschaften und der bergrechtlichen Gewerkschaft angeführt die offene Handelsgesellschaft und die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die - vom FG geteilte - Ansicht des FA zutrifft, daß bei einem entsprechenden Anwachsen der Vermögensbeteiligung an Personengesellschaften ("Vereinigung" im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 2 Berl. GrEStG 1969) die Steuer auch zu der Quote anzusetzen ist, zu der der Steuerschuldner (§ 25 Abs. 1 Nr. 5 Berl. GrEStG 1969 = § 15 Nr. 5 GrEStG 1940) bereits beim Erwerb des Grundstücks durch die Gesellschaft an deren Vermögen beteiligt war.

Die Erwägungen des Urteils des BFH vom 25. Februar 1969 II 142/63 (BFHE 95, 292, BStBl II 1969, 400) hielt das FG nicht für einschlägig, weil "dieses Urteil keine Abweichungen von der bisherigen Rechtsprechung hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 6 GrEStG 1940 (entsprechend § 16 Berl. GrEStG 1969) auf Erwerbsvorgänge enthält, die unter § 1 Abs. 3 GrEStG 1940 ... fallen"; da "für Erwerbsvorgänge im Sinne des § 1 Abs. 3 GrEStG ... nur § 6 Abs. 2 GrEStG 1940 - und auch diese Vorschrift nur ausnahmsweise für den Alleinerwerb von Anteilen durch Konzernunternehmen - in Betracht" komme, und § 1 Abs. 3 GrEStG 1940 und § 1 Abs. 3 Berl. GrEStG 1969 sich entsprächen, habe "dieses Urteil für die hier zu entscheidende Frage keine Bedeutung". Den Unterschied, daß § 1 Abs. 3 GrEStG 1940 die "Vereinigung aller Anteile" verlangt (vgl. Urteil des BFH vom 16. März 1966 II 26/63, BFHE 85, 117, BStBl III 1966, 254), § 1 Abs. 3 Berl. GrEStG 1969 dagegen sich mit der Vereinigung von "fünfundneunzig vom Hundert aller Anteile" begnügt, hält das FG für unerheblich.

Bei dieser Betrachtung hat das FG übersehen, daß für das Grunderwerbsteuergesetz 1940 seit Inkrafttreten des Grundgesetzes (vgl. Beschluß des BVerfG vom 10. Juni 1963 - 1 BvR 345/61 -, BVerfGE 16, 203) bei Personengesellschaften eine "Vereinigung aller Anteile" nur noch in dem Spezialfall in Betracht kommt, daß sich die Anteile "in der Hand von Unternehmen im Sinne des § 2 Abs. 2 UStG (herrschende und abhängige Unternehmen)" befinden. Denn nach Wegfall der Vereinigung "in der Hand des Erwerbers und seines Ehegatten oder seiner Kinder" bleibt kein anderer Fall mehr übrig, in dem eine Personengesellschaft durch eine sogenannte "Vereinigung aller Anteile" nicht erlöschen würde; die vermeintliche Vereinigung aller Anteile in einer Hand führt deshalb bei Personengesellschaften nicht zum Ersatztatbestand des § 1 Abs. 3 GrEStG 1940 (zu dessen Funktion vgl. Urteile des BFH vom 16. März 1966 II 70/63, BFHE 86, 158 [160], BStBl III 1966, 378, und vom 22. Juni 1966 II 165/62, BFHE 86, 520 [521], BStBl III 1966, 554), sondern zu einem der Tatbestände des § 1 Abs. 1 GrEStG 1940 (Urteil des BFH vom 25. Februar 1969 II 142/63, BFHE 95, 292 [294 ff.], BStBl II 1969, 400; vgl. für die Vereinigung der Erbteile Urteil des BFH vom 10. Juni 1964 II 30/61 U, BFHE 80, 33 [36], BStBl III 1964, 486) oder allenfalls zum Ergänzungstatbestand des § 1 Abs. 2 GrEStG 1940. Diese Folgerungen greifen aber nicht mehr ein, wenn das Gesetz - wie § 1 Abs. 3 Berl. GrEStG 1969 - zur Begründung der Steuerpflicht nicht die Vereinigung "aller" Anteile (bzw. das entsprechende Verpflichtungsgeschäft) verlangt, sondern schon eine Beteiligung zu 95 v. H. ausreichen läßt. Denn ein solches Übergewicht läßt, sofern nur noch mindestens ein weiterer Gesellschafter vorhanden ist, den Bestand der Personengesellschaft unberührt.

In einem derartigen Fall spricht vieles für die Ansicht der Antragstellerin, daß bei der Besteuerung dieser Art von "Vereinigung" der Rechtsgedanke des § 16 Abs. 2 Berl. GrEStG 1969 (vgl. § 6 Abs. 2 GrEStG 1940) eingreift, zumal auch das FG dessen Anwendung bei einer Vereinigung in der Hand von Konzernunternehmen zulassen wollte. Das gilt um so mehr, als nicht ohne weiteres einleuchtet, daß die Antragstellerin bei einer Grunderwerbsteuer zwar hinsichtlich dessen, was sie von Todes wegen von ihrem Ehemann erworben hat, gemäß § 3 Nr. 2 Berl. GrEStG 1969 befreit sein soll, aber gerade das zu versteuern hätte, was sie unverändert behalten hat.

Dem zuletzt erwähnten Zweifel steht nicht zwingend entgegen, daß bei der Besteuerung der Vereinigung von Anteilen an Kapitalgesellschaften § 6 GrEStG 1940 (§ 16 Berl. GrEStG 1969) mit der oben erwähnten Maßgabe (Konzerngesellschaften) nicht anzuwenden ist (vgl. Urteil des BFH vom 22. Juni 1966 II 165/62, BFHE 86, 520 [523 f.], BStBl III 1966, 554). Denn das ist nur die konsequente Folge dessen, daß die Kapitalgesellschaft (als juristische Person) und ihre Gesellschafter verschiedene Rechtspersonen sind - die Kapitalgesellschaft nicht etwa nur Rechtsträger der Rechte ihrer Gesellschafter ist, vielmehr diese nicht an deren Vermögen, sondern nur an der Kapitalgesellschaft selbst beteiligt sind -, und demzufolge auch die Grundstücksübertragung von der Kapitalgesellschaft auf ihren Alleingesellschafter unbeschadet des § 1 Abs. 5 Satz 3 GrEStG voll der Besteuerung unterliegt. Eine gleiche Behandlung der Personengesellschaften würde dagegen zu dem kaum verständlichen Ergebnis führen, daß eine "Vereinigung", die zum Erlöschen der Gesellschaft führt, gemäß § 1 Abs. 1, § 16 Abs. 2 Berl. GrEStG 1969 begünstigt und bei Eingreifen weiterer Begünstigungen (hier des § 3 Nr. 2 Berl. GrEStG 1969) sogar steuerfrei wäre (wobei für die Grundsatzfrage unerheblich ist, ob § 16 Abs. 4 Berl. GrEStG 1969 einen solchen Fall trifft oder nicht), während eine Vereinigung zu mehr als 95, aber weniger als Hundert vom Hundert der Beteiligung die Steuer zumindest hinsichtlich des Anteils auslösen müßte, den der Erwerber schon zuvor besessen hatte.

Dieses Bedenken führt zu der weitergehenden Frage, ob sich der Gesetzgeber des Berliner Grunderwerbsteuergesetzes vom 18. Juli 1969 (GVBl 1969, 1034) der vollen Konsequenzen wortlautgemäßer Deduktion bewußt war, in dem er es einerseits in den Eingangsworten des § 1 Abs. 3 bei den Beispielen der offenen Handelsgesellschaft und der Gesellschaft bürgerlichen Rechts beließ, die für das Grunderwerbsteuergesetz vom 29. März 1940 (BGBl I 1940, 585) zwischenzeitlich nahezu gegenstandslos geworden waren, andererseits aber in den Einzeltatbeständen der Nummern 1 bis 4 das Erfordernis aller Anteile durch das Erfordernis von 95 vom Hundert aller Anteile ersetzte. Es ist nicht ohne weiteres auszuschließen, daß der Berliner Gesetzgeber damals nur das Urteil des BFH vom 16. März 1966 II 26/63 (BFHE 85, 117, BStBl III 1966, 254) vor Augen hatte, wonach die Vereinigung nahezu aller Anteile der Vereinigung aller Anteile nicht gleichzustellen ist, und sich dem entgegen und mit dem Blick allein auf die Anteilsvereinigung bei Kapitalgesellschaften für die Unbeachtlichkeit von "Zwerganteilen" (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 2 des Saarländischen Grunderwerbsteuergesetzes, jetzt in der Fassung vom 3. März 1970 - Amtsblatt 1970, 158 -, und § 2 Abs. 3 Satz 2 des Rheinland-Pfälzischen Grunderwerbsteuergesetzes vom 1. Juni 1970 - GVBl 1970, 166) bis zu 5 v. H. der Kapitalanteile aussprechen wollte. Jedenfalls erlaubt der Wortlaut des § 1 Abs. 3 Berl. GrEStG 1969 keinen klaren Rückschluß darauf, welche Vorstellungen der Gesetzgeber über das Eingreifen oder Nichteingreifen des § 16 Abs. 2 Berl. GrEStG 1969 bei der sogenannten - ohnehin nur bildlich zu verstehenden - Anteilsvereinigung bei Personengesellschaften hatte. Auch bei rein objektiver Auslegung des § 1 Abs. 3 Berl. GrEStG 1969 steht jedenfalls das vom FG gefundene Ergebnis nicht außerhalb ernstlichen Zweifels.

Es ist nicht auszuschließen, daß eine tiefergehende Untersuchung zu dem Ergebnis führen könnte, daß der Berliner Gesetzgeber eine Ausweitung der Besteuerung sogenannter Anteilsvereinigung bei Personengesellschaften nicht gewollt hatte und eine solche - unabhängig von den Erwägungen des Urteils des BFH vom 25. Februar 1969 II 142/63 (BFHE 95, 292 [296 ff.], BStBl II 1969, 400) - auch dem objektiven Gesetzesinhalt nicht unterstellt werden darf, weil andernfalls möglicherweise im Verhältnis zu der Besteuerung der "Vereinigung" unter Erlöschen der Gesellschaft (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 in Verbindung mit § 16 Abs. 2 Berl. GrEStG 1969) sinnwidrige Ergebnisse nicht zu vermeiden wären.

Dies vorausgesetzt kann dahingestellt bleiben, welche Bedeutung dem Umstand zukommen könnte, daß nach dem Vortrag der Antragstellerin (Schriftsatz vom 26. Juli 1972) beim Erwerb des Grundstücks am 25. Juni 1964 sie und ihr Ehemann an der Gesellschaft zu je 45 v. H., die Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu 10 v. H. beteiligt waren (vgl. BFHE 95, 292 [299 ff.] und Urteil des BFH vom 24. Juni 1969 II 169/64, BFHE 96, 370), und ob die Steuer, falls § 1 Abs. 3 Berl. GrEStG 1969 eingriffe, nicht wenigstens aus einer Quote von 1,6 v. H. (Anteil der Gesellschaft mit beschränkter Haftung) zu erheben wäre. Die Begrenzung dieses Verfahrens auf die Prüfung ernstlicher Zweifel (§ 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO) läßt auch keine Untersuchung darüber zu, ob etwa das Ergebnis dadurch beeinflußt wird, daß der in der Kommanditgesellschaft verbliebene Mitgesellschafter eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist, deren alleinige Gesellschafterin die Antragstellerin mit dem Tode ihres Mannes geworden sein dürfte (§ 1922 Abs. 1 BGB); jedenfalls kennt das Grunderwerbsteuergesetz - unbeschadet eines etwa aus § 1 Abs. 3 abzuleitenden Rechtsgedankens - keine dem § 5 Abs. 2 Nr. 3 des Kapitalverkehrsteuergesetzes in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 23. Dezember 1971 (BGBl I 1971, 2134) entsprechende Vorschrift.

 

Fundstellen

BStBl II 1974, 41

BFHE 1974, 377

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge