Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiederaufnahmeverfahren nach FGO/ZPO

 

Leitsatz (NV)

1. Der Erstrichter ist von der Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren nach der FGO (ZPO) nicht kraft Gesetzes ausgeschlossen.

2. Zur Zuständigkeit im Wiederaufnahmeverfahren (1.).

3. In den Fällen der Restitutionsklage wegen einer Straftat reicht deren bloße Behauptung zur Wiederaufnahme eines rechtskräftig erledigten Verfahrens nicht aus. Eine Aussetzung des Wiederaufnahmeverfahrens (bis zu einem rechtskräftigen Strafurteil) kommt allenfalls in Ausnahmefällen in Betracht.

 

Normenkette

FGO § 134; ZPO § 580 Nr. 4, § 581 Abs. 1, § 584 Abs. 1; StPO § 23 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) hatte beim Finanzgericht (FG) beantragt, die vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) betriebene Vollstreckung wegen Kraftfahrzeugsteuer gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO), § 775 Nr. 5 der Zivilprozeßordnung (ZPO) einzustellen oder zu beschränken, da die Steuer bereits bezahlt gewesen sei. Das FG lehnte den Antrag als unstatthaft ab. Es führte u.a. aus, drohende Vollstreckungsmaßnahmen könne das Gericht nur unter den Voraussetzungen von § 114 FGO vorläufig verhindern; der Antragsteller habe indessen nicht vorgetragen, daß das FA weitere Vollstreckungsmaßnahmen ergreifen werde (Beschluß vom ... 1990 ... = Erstverfahren). Die Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde zurückgewiesen (Senat, Beschluß vom 19. Februar 1991 VII B 188/90, BFH/NV 1991, 759).

Der Antragsteller will das Erstverfahren wiederaufnehmen. Er trug hierzu vor, in den Akten des FA befinde sich, wie erst nachträglich festgestellt, die Durchschrift eines Vollstreckungsauftrags vom ... 1991 betreffend Kraftfahrzeugsteuer. Das FA betreibe, entgegen seinen Beteuerungen im Erstverfahren, weiterhin die Vollstreckung. Es habe die gerichtlichen Entscheidungen im Erstverfahren durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt. Im Hinblick hierauf sei Strafanzeige wegen Prozeßbetrugs erstattet worden. Bis zur Beendigung des Strafverfahrens sei das Wiederaufnahmeverfahren anzuhalten.

Das FG lehnte den auch gegen die Beschwerdeentscheidung im Erstverfahren gerichteten, als Restitutionsantrag (§ 134 FGO, § 580 Nr. 4 ZPO) gewerteten Wiederaufnahmeantrag ab. Dieser Antrag, über den es gemäß § 584 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu befinden habe, sei unzulässig. Das ergebe sich jedenfalls daraus, daß ein die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Erstverfahrens rechtfertigender Grund nicht schlüssig geltend gemacht worden sei. Die Ausführungen zu § 114 FGO im Beschluß vom ... 1990 enthielten lediglich einen Hinweis, trügen aber die Entscheidung nicht. Über einen Antrag nach § 114 FGO sei nicht entschieden worden. Durch die behauptete Straftat könne somit die Entscheidung nicht erwirkt worden sein.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Er macht im wesentlichen geltend, das FA habe im Erstverfahren - auch in der Beschwerdeinstanz - die Gerichte durch den Vortrag getäuscht, es würden keine weiteren Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen. Da das FA entgegen den gegebenen Zusicherungen vollstrecke, sei die Wiederaufnahme des früheren Vollstrekkungsschutzantrags geboten, dessen Berechtigung und Notwendigkeit sich nunmehr zeige. Die angefochtene Entscheidung sei übereilt ergangen und lasse vermuten, daß sachfremde Einflüsse stattgefunden hätten. Überdies hätte die Vorinstanz nicht in der tatsächlichen Besetzung, mit den Richtern Z und N, die auch an dem Beschluß vom ... 1990 mitgewirkt hätten, entscheiden dürfen, da diese Richter im Erstverfahren, wenn auch erfolgslos, wegen Befangenheit abgelehnt worden und sie bei der Strafanzeige wegen Rechtsbeugung nicht ausgenommen seien. Schließlich hätte die Entscheidung über die Wiederaufnahme bis zu einem rechtskräftigen Strafurteil ausgesetzt werden müssen. Allerdings könnte sich durch eine vom FA angekündigte Beschränkung der Zwangsvollstreckung die Hauptsache erledigt haben.

 

Entscheidungsgründe

1. Der Senat hat über die Beschwerde zu entscheiden.

Eine Erledigung in der Hauptsache ist weder erklärt noch tatsächlich eingetreten. Der von der Beschwerde vorgetragene Umstand - Hinweis auf eine Beschränkung der Zwangsvollstreckung durch das FA - bleibt auf das Wiederaufnahmeverfahren, in dem hier, auf den entsprechend gestellten Antrag, durch Beschluß zu entscheiden war (z.B. Bundesfinanzhof, Beschluß vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, 571, BStBl II 1992, 252), ohne Einfluß.

2. Die Beschwerde ist nicht begründet. Der beim FG gestellte Restitutionsantrag, über den die Vorinstanz in ihrer tatsächlichen Besetzung zu befinden hatte, ohne daß auf den Abschluß des Strafverfahrens zu warten gewesen wäre, war, wenn nicht schon wegen mangelnder Zuständigkeit des FG, so aus anderen Gründen abzulehnen.

a) Auf einen Besetzungsmangel der Vorinstanz kann sich die Beschwerde nicht stützen. Eine dem § 23 Abs. 2 der Strafprozeßordnung - gesetzlicher Ausschluß des Erstrichters vom strafrechtlichen Wiederaufnahmeverfahren - entsprechende Vorschrift ist in der ZPO nicht enthalten. Soweit vertreten wird, ein Richter des Erstverfahrens könne im Wiederaufnahmeverfahren mit Erfolg wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden (z.B. Zöller/Schneider, Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., § 580 Rdnr. 6), liegt auch dem die Auffassung zugrunde, daß jedenfalls ein gesetzlicher Ausschlußgrund nicht gegeben ist (Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil vom 5. Dezember 1980 V ZR 16/80, Neue Juristische Wochenschrift 1981, 1273 m.N.). Anträge auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit sind im Wiederaufnahmeverfahren nicht gestellt, erst recht nicht stattgebend beschieden worden. Auf die im Erstverfahren - erfolgslos - beantragte Ablehnung kommt es in diesem Verfahren nicht an.

b) Ob das FG für die Entscheidung zuständig war, ist zweifelhaft, kann aber letztlich offenbleiben.

Die Zuständigkeit im Wiederaufnahmeverfahren bestimmt sich nach § 134 FGO, § 584 Abs. 1 ZPO. Zuständig ist danach grundsätzlich das erstinstanzliche Gericht, das Berufungsgericht u.a. dann, wenn es die angefochtene Entscheidung oder auch nur eine der angefochtenen Entscheidungen erlassen hatte (§ 584 Abs. 1 Satz 2 ZPO), das Revisionsgericht u.a., wenn eine Entscheidung der Revisionsinstanz nach § 580 Nr. 4 ZPO angefochten wird (§ 584 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Die Zuständigkeit nach § 584 Abs. 1 Satz 3 ZPO greift hier jedenfalls deshalb nicht ein, weil auch und in erster Linie die Entscheidung der Vorinstanz im Erstverfahren angegriffen ist (vgl. hierzu BGH, Beschluß vom 8. Juni 1973 I ZR 25/72, BGHZ 61, 95, 98). Sinngemäß heranzuziehen ist vielmehr, wie das FG richtig gesehen hat, § 584 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Da aber das FG im Erstverfahren als erstinstanzliches Gericht entschieden hat, läßt sich seine Zuständigkeit im Wiederaufnahmeverfahren nicht auf diese Vorschrift stützen. § 584 Abs. 1 Satz 2 ZPO dürfte vielmehr die Zuständigkeit des Beschwerdegerichts - mithin die des Senats - begründen, denn dieses Gericht ist, wie auch das Berufungsgericht im Zivilprozeß, auch Tatsacheninstanz. Die Frage bedarf indessen keiner abschließenden Entscheidung. Denn hier kommt es auf die Zuständigkeit nicht an. War nämlich die Zuständigkeit des FG nicht gegeben, so war der bei ihm gestellte Antrag schon aus diesem Grunde abzulehnen. War aber das FG zuständig, so hat es richtig, wie geschehen, entschieden.

c) Ohne Erfolg beanstandet der Antragsteller, daß das FG übereilt entschieden und das Verfahren nicht bis zum rechtskräftigen Abschluß des Strafverfahrens ausgesetzt habe. Aus § 581 ZPO ergibt sich, daß die bloße Behauptung einer strafbaren Handlung zur Wiederaufnahme eines rechtskräftig erledigten Verfahrens nicht ausreicht, daß vielmehr - grundsätzlich - die Strafverfolungsbehörde darüber befinden soll, ob ein Strafverfahren durchzuführen ist (Senat, Beschluß vom 21. Mai 1987 VII B 79/86, BFH/NV 1988, 186). Sind die Voraussetzungen von § 581 Abs. 1 ZPO nicht gegeben, so ist das Restitutionsbegehren unzulässig (BGH, Urteil vom 27. März 1968 VIII ZR 141/65, BGHZ 50, 115, 122 m.N.). Ob Ausnahmen denkbar sind, bei denen eine Aussetzung in Betracht kommen könnte (vgl. etwa Zöller/Schneider, a.a.O., § 581 Rdnr. 5), ist nicht zu entscheiden. Ein Ausnahmefall - wie das unmittelbare Bevorstehen des rechtskräftigen Abschlusses des Strafverfahrens - liegt jedenfalls nicht vor. Das gilt insbesondere im Hinblick darauf, daß der Antragsteller einen Restitutionsgrund nach § 580 Nr. 4 ZPO nicht schlüssig geltend gemacht hat.

d) Unschlüssig ist das Antragsbegehren, weil sich aus ihm nicht ergibt, daß für die Entscheidungen im Erstverfahren eine Straftat ursächlich gewesen sei (zu diesem Erfordernis Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 134 FGO Tz. 5). Insoweit bezieht sich der Senat unter Verzicht auf eine weitere Begründung auf die Gründe der Vorentscheidung (§ 113 Abs. 2 Satz 3 FGO). Die Beschwerde hat hiergegen nichts Neues vorgebracht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419761

BFH/NV 1994, 875

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