Entscheidungsstichwort (Thema)

Besteuerung des Veräußerungsgewinns wegen Wegfall des negativen Kapitalkontos nicht sachlich unbillig; Berücksichtigung künftiger Einkünfte bei der Entscheidung über Erlaßantrag

 

Leitsatz (NV)

Die Besteuerung des beim Wegfall eines negativen Kapitalkontos entstehenden Veräußerungsgewinns ist nicht sachlich unbillig. Persönliche Billigkeitsgründe für einen Erlaß sind nicht gegeben, wenn eine konkrete Aussicht auf die künftige Erzielung von Einkünften oder die Erlangung von Vermögenswerten besteht.

 

Normenkette

AO 1977 § 227; FGO § 142

 

Tatbestand

Der Kläger hat seinen im Jahre ... verstorbenen Vater zu einem Achtel beerbt. Dieser war persönlich haftender Gesellschafter der Firma X u. Co.

Mit Auseinandersetzungsvertrag vom ... übernahm der Mitgesellschafter mit Wirkung vom 31. Dezember 1983 das - zu diesem Zeitpunkt negative - Kapitalkonto des Klägers in Höhe von 35000 DM. Er verpflichtete sich außerdem, dem Kläger eine Abfindung im Betrag von 30000 DM zu zahlen. Der Betrag war in 20 Halbjahresraten zu entrichten.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 26. August 1985 wurde für den Kläger ein Veräußerungsgewinn von 65000 DM sowie ein laufender Verlust von ... DM festgestellt. Mit dem ebenfalls bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid 1983 setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) eine Einkommensteuer im Betrag von ... DM fest.

In verschiedenen Schreiben vom Mai 1986 beantragte der Kläger, die festgesetzte Einkommensteuer aus persönlichen Gründen zu erlassen. Er wies darauf hin, die Abfindungszahlung diene seiner Versorgung. Durch die Einziehung der Steuer werde sein notwendiger Lebensunterhalt und seine wirtschaftliche Existenz in unzumutbarer Weise beeinträchtigt. Er habe eine zweijährige Lehre als ...mechaniker begonnen; seine monatliche Ausbildungsvergütung betrage 500 DM. Daneben beziehe er eine Waisenrente von monatlich 200 DM.

Das FA lehnte den Erlaßantrag ab und gewährte eine zinslose Stundung des Rückstandes.

Die Oberfinanzdirektion (OFD) wies die Beschwerde im wesentlichen mit der Begründung zurück, der Kläger sei zwar derzeit nicht in der Lage, die Steuerschuld zu begleichen. Aufgrund seiner Ausbildung als ...mechaniker könne indes davon ausgegangen werden, daß er nach Abschluß seines Ausbildungsverhältnisses Einkünfte erziele, die ihm eine zumindest ratenweise Rückführung der Steuer ermöglichten. Den vorübergehenden Zahlungsschwierigkeiten könne durch Stundungen ausreichend Rechnung getragen werden.

Für seine hiergegen erhobene Klage, die beim Finanzgericht (FG) anhängig ist, begehrte der Kläger die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH).

Das FG lehnte den Antrag auf Bewilligung von PKH ab.

Mit der Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, trägt der Kläger insbesondere vor, das FG habe im Rahmen der Prüfung der persönlichen Billigkeitsgründe das Verhältnis von Stundung und Erlaß nicht zutreffend beurteilt. Die Rechtsauffassung, ein Erlaß komme nur dann in Betracht, wenn eine Stundung nicht ausreichend sei, führe im Ergebnis dazu, daß vor allem junge in Ausbildung befindliche Steuerpflichtige, die voraussichtlich später ein höheres Einkommen erzielten, regelmäßig nicht in den Genuß eines Steuererlasses kommen könnten. Dies stellte eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dar.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH erhalten, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Unter den gleichen Voraussetzungen kann ein Rechtsanwalt beigeordnet werden (§ 121 ZPO).

Es kann dahinstehen, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Kläger die Aufbringung der im finanzgerichtlichen Klageverfahren entstehenden Prozeßkosten erlauben. Denn es fehlt - wie das FG zu Recht entschieden hat - an einer hinreichenden Erfolgsaussicht der erhobenen Klage.

Nach § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung im Einzelfall - aus sachlichen oder persönlichen Gründen - unbillig wäre. Als Ermessensentscheidung kann im finanzgerichtlichen Verfahren die Ablehnung eines Erlaßantrags freilich gemäß § 102 FGO nur daraufhin überprüft werden, ob die Finanzbehörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen auf Ermessensfehler können dementsprechend nur die tatsächlichen Verhältnisse sein, die der Finanzbehörde im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung - hier der Beschwerdeentscheidung der OFD - bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. März 1990 VII S 3/90, BFH/NV 1991, 171, m.w.N.).

Die von der OFD bestätigte Entscheidung des FA, der Rückstand des Klägers sei weder aus sachlichen noch aus persönlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, läßt bei der im PKH-Verfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung (s. hierzu z.B. Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 142 Anm. 7) keine Ermessensfehler erkennen.

Sachliche Billigkeitsgründe, auf die sich der Kläger in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht mehr beruft, liegen nicht vor. Scheidet ein unbeschränkt haftender Gesellschafter, dessen Kapitalkonto durch Entnahmen oder Verlustzurechnung negativ geworden ist, wie hier der Kläger, aus der Gesellschaft aus, ohne einen Ausgleich leisten zu müssen, weil sein Anteil an den stillen Reserven offenbar höher ist als der Betrag des negativen Kapitalkontos, so entsteht ein Veräußerungsgewinn in Höhe des Minusbetrags des Kapitalkontos zuzüglich des erzielten Barpreises (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 1991 VIII R 214/85, BFHE 164, 70, BStBl II 1991, 633; s. auch Schmidt, Einkommensteuergesetz, 13. Aufl., § 16 Anm. 85a). Der Wegfall des negativen Kapitalkontos ist Teil des Veräußerungspreises und damit einkommensteuerpflichtig. In dieser steuerlichen Behandlung kann keine sachliche Unbilligkeit - im Sinne eines Widerspruchs zu den Wertungen des Gesetzgebers (vgl. hierzu z.B. das BFH-Urteil vom 21. Oktober 1987 X R 29/81, BFH/NV 1988, 546) - gesehen werden. Der steuerpflichtige Gewinn ist die rechtlich notwendige Folge aus der früheren Verlustzurechnung (BFH-Beschluß vom 10. November 1980 GrS l/79, BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164). Eine Ausnahme, die z.B. dann angenommen wird, wenn der ausgeschiedene Gesellschafter ggf. künftig für Schulden der Gesellschaft in Anspruch genommen wird (BFH-Urteil vom 12. Juli 1990 V R 37/89, BFHE 162, 30, BStBl II 1991, 64), liegt hier nicht vor.

Auch eine Unbilligkeit aus persönlichen Gründen ist nicht gegeben. Solche Billigkeitsgründe sind anzunehmen, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde. Voraussetzung dafür ist, daß sich die Billigkeitsmaßnahme konkret auf die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen auswirken kann (BFH-Beschluß vom 24. Oktober 1988 X B 54/88, BFH/NV 1989, 285). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Nach den Ausführungen der OFD in der Beschwerdeentscheidung war der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens der Beschwerdeentscheidung im September 1987, als er neben den Abfindungsraten lediglich eine Ausbildungsvergütung und eine Waisenrente bezog, nicht in der Lage, die rückständige Steuer zu entrichten. Das FA konnte daher - unabhängig von einer Billigkeitsmaßnahme - seine Steueransprüche damals ohnehin nicht durchsetzen. Ein Erlaß wäre somit nicht mit einem wirtschaftlichen Vorteil für den Kläger verbunden gewesen.

Ferner hat die Vorentscheidung, ebenso wie die OFD, zutreffend berücksichtigt, daß der Kläger - aus der Sicht zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (im September 1987) - nach dem Abschluß seiner Ausbildung im Jahre 1988 voraussichtlich Einkünfte aus seinem erlernten Beruf beziehen würde, die es ihm zusammen mit den Abfindungsraten erlauben würden, die Steuerschuld zumindest ratenweise zu tilgen. Das FA und die OFD haben bei dieser Beurteilung die eingeräumten Grenzen des Ermessens nicht überschritten. Nur vorübergehende Zahlungsschwierigkeiten gefährden regelmäßig die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen nicht. In solchen Fällen können Maßnahmen wie eine (zinslose) Stundung der Steuerforderung, Gewährung von Ratenzahlungen oder die einstweilige Einstellung der Vollstreckung geboten sein. Die Aussicht auf die künftige Erzielung von Einkünften ist ebenso wie die Möglichkeit der Erlangung von Vermögenswerten, die den Steuerpflichtigen möglicherweise in die Lage versetzen, die Rückstände zu tilgen, bei der Entscheidung über den Erlaß zu berücksichtigen (BFH-Beschluß vom 12. Juli 1989 X B 11/88, BFH/NV 1990, 213).

Der Senat ist - mit dem Kläger - freilich der Auffassung, daß eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Steuerschuldners, um einen Erlaß auszuschließen, im Zeiptunkt der Erlaßentscheidung hinreichend konkret absehbar sein muß. Nur ganz vage Aussichten auf künftige Zuflüsse scheiden daher aus. Im Streitfall hat die OFD jedoch zutreffend darauf abgestellt, daß der Kläger nach dem Abschluß seiner Berufsausbildung im September 1988, somit bereits etwa in einem Jahr nach dem Ergehen der Beschwerdeentscheidung, voraussichtlich Einnahmen aus dem erlernten Beruf erzielen würde. Hinzu kommen vor allem die Kaufpreisraten aus der Veräußerung des Geschäftsanteils. Entgegen der Meinung des Klägers ist diese Erwägung sachgerecht. Denn es entspricht der Regel, daß Auszubildende nach dem Abschluß ihrer Ausbildung einen entsprechenden Beruf ergreifen. Anhaltspunkte dafür, daß dies im Falle des Klägers damals nicht zutraf, sind nicht ersichtlich. Deshalb ist eine vom Kläger geltend gemachte Ungleichbehandlung nicht gegeben. Die von ihm vorgelegte gutachterliche Äußerung berücksichtigt lediglich die mangelnde Leistungsfähigkeit des Klägers im Zeitpunkt der Stellung des Erlaßantrags. Das FA und die OFD haben demgegenüber zu Recht auch die voraussichtliche künftige wirtschaftliche Situation des Klägers in Betracht gezogen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 439

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