Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassungsfreie Verfahrensrevision

 

Leitsatz (NV)

1. Eine zulassungsfreie Verfahrensrevision nach § 116 Abs. 1 FGO ist nur statthaft, wenn innerhalb der Revisionsbegründungsfrist der geltend gemachte Mangel schlüssig gerügt wird. Dies setzt voraus, daß die zur Begründung des Mangels vorgetragenen Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, einen Mangel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO ergeben.

2. Es fehlt an Entscheidungsgründen i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, wenn sich das Finanzgericht mit einer von einem Beteiligten aufgeworfenen, eingehend dargelegten und für die Entscheidung erheblichen Rechtsfrage nicht auseinandergesetzt hat.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Streitig ist, ob ein dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) gehörendes bebautes Grundstück als Einfamilienhaus, als Zweifamilienhaus oder als gemischt genutztes Grundstück zu bewerten ist. Das Grundstück war auf den 1. Januar 1982 als Zweifamilienhaus bewertet worden; es wurde zum 1. Januar 1983 dem Kläger zugerechnet. Seit dem Bezug des Hauses durch den Kläger betreibt dieser im Erdgeschoß eine Zahnarztpraxis und hat für die Praxis auch im Keller gelegene Räume in Anspruch genommen. Das Obergeschoß und das Dachgeschoß nutzt er im wesentlichen für eigene Wohnzwecke; lediglich ein Raum des Obergeschosses dient ihm als Arbeitszimmer. Durch Bescheid vom 21. Februar 1991 bewertete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) das Grundstück auf den 1. Januar 1985 als Einfamilienhaus. Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen erhobene Klage als unbegründet zurück; mit ihr hatte der Kläger begehrt, den Einheitswertbescheid vom 21. Februar 1991 aufzuheben, hilfsweise, das FA zu verpflichten, die Grundstücksart gemischt genutztes Grundstück festzustellen. Die Revision hat das FG nicht zugelassen.

Gegen das Urteil hat der Kläger Revision eingelegt, die er auf § 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stützt. Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verpflichte die Gerichte, die Ausführungen der Prozeßbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht brauche zwar nicht jedes Vorbringen ausdrücklich zu bescheiden, jedoch müßten in den Gründen die wesentlichen der Rechtsverteidigung dienenden Tatsachen und Rechtsausführungen verarbeitet werden. Geschehe dies nicht, sei das Urteil i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nicht mit Gründen versehen.

Im Streitfall sei ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG durch das FG gegeben, weil dieses erhebliche Rechtsausführungen, die wiederholt im finanzgerichtlichen Verfahren schriftlich und in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden seien, in den Entscheidungsgründen nicht verarbeitet habe. Wörtlich heißt es dann im Revisionsschriftsatz:

Das FG führt u. a. aus:

"Hinsichtlich dieser Gesetzesauslegung bestand zwischen dem II. und III. Senat des BFH keine Meinungsverschiedenheit ... Beide Senate haben übereinstimmend § 75 BewG dahingehend ausgelegt, daß sich die Unterscheidung zwischen einem 1-Familienhaus und einem 2-Familienhaus ausschließlich daran orientiert, wieviele zu Wohnzwecken genutzte Wohnungen ein Haus enthält. Dieser Auslegung schließt sich der erkennende Senat an."

Damit hat das FG folgendes Vorgetragene nicht verarbeitet:

"Der entscheidende Streitpunkt, der gegenüber dem FG vorgetragen wurde, ist nicht die vom FG in seinem Zitat angesprochene Frage, nämlich festzustellen, wieviele zu Wohnzwecken genutzte Wohnungen ein Haus enthält, sondern wie im einzelnen ermittelt wird, wann bewertungsrechtlich von einer zu Wohnzwecken genutzten Wohnung die Rede ist. In dieser Ermittlungsweise gehen II. und III. Senat unterschiedliche Wege, was zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann und hier auch führt." Dies legt der Kläger in den folgenden Passagen seines Schriftsatzes dar.

Er beantragt, unter Abänderung des Urteils des FG den Einheitswertbescheid i. d. F. der Einspruchsentscheidung aufzuheben, hilfsweise, den Einheitswertbescheid auf den 1. Januar 1985 i. d. F. der Einspruchsentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, eine Art- und Wertfortschreibung auf denselben Stichtag vorzunehmen mit der Maßgabe, daß die Grundstücksart "gemischt genutztes Grundstück" mit dem entsprechenden Einheitswert festgestellt wird.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Die vom Kläger neben der Revision eingelegte Beschwerde gegen deren Nichtzulassung ist vom Senat mit Beschluß vom heutigen Tage als unzulässig verworfen worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unzulässig.

Ein Urteil ist i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nicht mit Gründen versehen, wenn aus ihm nicht erkennbar ist, welche tatsächlichen Feststellungen und welche rechtlichen Erwägungen für die getroffene Entscheidung maßgebend waren. Dabei muß nicht auf jedes unbedeutende Vorbringen eingegangen werden. Werden aber von dem Beteiligten rechtliche Fragen aufgeworfen, von deren Beurteilung die Entscheidung abhängt, so muß das Gericht darlegen, daß und aus welchen Gründen es auf die Entscheidung über die aufgeworfene Rechtsfrage nicht ankommt und warum diese Frage so oder so zu beurteilen ist (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 7. Dezember 1965 10 RV 405/65, Monatsschrift für Deutsches Recht 1966, 365). Zutreffend führt der Kläger daher aus, daß es an Entscheidungsgründen i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO fehlt, wenn sich das Gericht mit einer von einem Beteiligten aufgeworfenen, eingehend dargelegten und für die Entscheidung erheblichen Rechtsfrage nicht auseinandersetzt.

Eine zulassungsfreie Verfahrensrevision nach § 116 Abs. 1 FGO ist allerdings nur statthaft, wenn innerhalb der Revisionsbegründungsfrist der geltend gemachte Mangel schlüssig gerügt wird. Dies setzt voraus, daß die zur Begründung des Mangels vorgetragenen Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, einen Mangel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO ergeben. Hieran fehlt es im Streitfall.

Zwar handelt es sich bei der vom Kläger vorgetragenen Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen bewertungsrechtlich eine zu Wohnzwecken genutzte Wohnung vorliegt, um eine für die Entscheidung des Rechtsstreits erhebliche Frage. Die Behauptung des Klägers, das FG habe sich hiermit nicht auseinandergesetzt, wird jedoch durch den vom Kläger hierfür zitierten Abschnitt des FG-Urteils nicht belegt, in dem ausgeführt wird, das FG schließe sich der insoweit übereinstimmenden Rechtsprechung des II. und des III. Senats des BFH an, daß sich die Unterscheidung zwischen einem Einfamilienhaus und einem Zweifamilienhaus i. S. des § 75 des Bewertungsgesetzes (BewG) ausschließlich daran orientiere, wie viele zu Wohnzwecken genutzte Wohnungen ein Haus enthält. Richtig ist an diesem Vorbringen des Klägers nur, daß sich das FG an der zitierten Stelle nicht mit der vom Kläger aufgeworfenen, sondern mit einer anderen Rechtsfrage befaßt hat. Hieraus geht aber nicht hervor, daß sich das FG mit der vom Kläger genannten Frage überhaupt nicht auseinandergesetzt habe. Auch ergibt sich aus dem vom Kläger zitierten Ausschnitt aus den Urteilsgründen nicht, daß sich das FG statt mit den Voraussetzungen des Wohnungsbegriffs in seiner Entscheidung nur mit der Bedeutung der Anzahl von Wohnungen für die Einordnung eines Wohngrundstücks auseinandergesetzt hat. Es handelt sich bei den genannten Rechtsfragen um zwei unterschiedliche Tatbestandselemente des § 75 BewG, die gleichermaßen entscheidungserheblich sind, so daß sich aus der Erörterung der einen Frage in den Urteilsgründen für sich nicht ergibt, daß das FG die andere Frage übergangen habe.

 

Fundstellen

BFH/NV 1997, 421

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