Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Verletzung rechtlichen Gehörs bei Verwertung einer in den FA-Akten befindlichen Kontrollmitteilung

 

Leitsatz (NV)

1. Befindet sich eine vom FG der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte Kontrollmitteilung des FA in den vom FA vorgelegten, die Klägerin betreffenden Akten, so muß das FA damit rechnen, daß das FG sie vewerten werde. Dadurch, daß das FG das FA nicht auf die Verwertung hingewiesen hat, hat es dessen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt. Es wäre Sache des FA gewesen, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, um seine Einwendungen gegen die Verwertung vorzutragen.

2. Das FG ist zu Hinweisen auf seine rechtlichen Überlegungen nur dann verpflichtet, wenn es seine Entscheidung maßgeblich auf rechtliche Gesichtspunkte stützt, die zu erwägen im Verlauf des bisherigen Verfahrens keinerlei Anlaß bestand (Anschluß an Senatsurteil vom 28. Februar 1996 XI R 74/94, BFH/NV 1996, 573).

3. Hat das FG seine Entscheidung auf mehrere Gründe gestützt, von denen jeder für sich die Klagestattgabe trägt, muß hinsichtlich jeder Begründung ein Zulassungsgrund geltend gemacht werden (Anschluß an BFH-Beschluß vom 9. Februar 1994 V B 198/93, BFH/NV 1995, 602).

 

Normenkette

FGO § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 3 S. 3

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hat die Umsatzsteuerbescheide 1980 bis 1982 vom 12. März 1990 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung des Beklagten und Beschwerdeführers (Finanzamt -- FA --) aufgehoben. Diese Bescheide änderten die für vorläufig nach §165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) erklärte Mitteilung für 1980 über Umsatzsteuer vom 29. Juni 1982 sowie die Umsatzsteuerbescheide 1981 und 1982 vom 7. Juli 1983 und 17. November 1983. Nach Auffassung des FG ist wegen Nichtigkeit der Vorläufigkeitsvermerke der Ablauf der Festsetzungsfrist nicht nach §171 Abs. 8 AO 1977 hinausgeschoben gewesen; selbst bei einer Verlängerung der Frist nach §171 Abs. 8 AO 1977 sei die Festsetzungsfrist bereits vor dem 12. März 1990 abgelaufen gewesen, weil das FA durch das Schreiben des FA vom 11./13. März 1987 Kenntnis von der fehlenden Bonität der Zwischenmieterin Y-GmbH und von der unzureichenden von ihr erzielbaren Rohgewinnmarge erlangt habe, die Frist des §171 Abs. 8 AO 1977 mithin in 1988 abgelaufen gewesen sei.

Mit der Beschwerde begehrt das FA Zulassung der Revision wegen Divergenz und Verfahrensmangels. Es trägt im wesentlichen vor, das FG leite die Nichtigkeit des Vorläufigkeitsvermerks daraus her, daß "es überhaupt an jeder Bezeichnung der als ungewiß erachteten Tatsachen fehlt". Es müsse "eine Angabe der als ungewiß erachteten Tatsachen feststellbar sein". Mit dieser Auffassung weiche das FG von der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ab, wonach es ausreiche, "wenn durch den Vorbehaltsvermerk jedenfalls mittelbar der Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Steuerfestsetzung abänderbar sein soll" (BFH-Urteile vom 7. Februar 1995 IX R 68/92, BFH/NV 1995, 939; vom 6. März 1992 III R 47/91, BStBl II 1992, 588; vom 12. März 1991 XI R 282/87, BFH/NV 1991, 506). Die Auffassung des FG, "eine Zustimmung zu einer selbstberechneten Steuer oder Erstattungsleistung kann nicht für vorläufig nach §165 Abs. 1 AO 1977 erklärt werden", verstoße gegen die Rechtsprechung des BFH, wonach in der nachträglichen Ergänzung eines Steuerbescheids um einen Vorläufigkeitsvermerk ein Steuerbescheid zu sehen sei (BFH-Urteile vom 14. Juni 1991 III R 86/89, BFH/NV 1992, 153; vom 9. August 1991 III R 41/88, BStBl II 1992, 219). Die Entscheidung des FG beruhe auf diesen Abweichungen. Darüber hinaus habe das FG seinen (des FA) Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs verletzt. Sowohl die Annahme, daß für die Frage der Anerkennung des Zwischenmietverhältnisses ausschließlich die Bonität des Zwischenmieters rechtsrelevant sei, wie die Auffassung, die Finanzbehörde habe von dieser allein maßgeblichen Tatsache im März 1987 Kenntnis erlangt, seien im Laufe des Verfahrens in keiner Weise als allein entscheidungserheblich erörtert worden. Es habe nicht damit zu rechnen brauchen, daß das FG eine solche Rechtsansicht vertreten werde. Ihm sei die Möglichkeit genommen gewesen, sich zu dieser Rechtsauffassung zu äußern. Es hätte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen können, daß die mangelnde Bonität des Zwischenmieters nicht die allein entscheidungserhebliche Tatsache i. S. des §171 Abs. 8 AO 1977 sei, und insbesondere, daß es keineswegs feststehe, zu welchem Zeitpunkt die mit der Festsetzung der Umsatzsteuer befaßten Personen von der Bonität Kenntnis erlangt hätten. Das FG habe übersehen, daß das Schreiben des FA nicht an die für die Festsetzung der Umsatzsteuer zuständige Stelle des beklagten FA, also den Veranlagungsbezirk für die Gemeinschaften, sondern an den Einzelsteuerbezirk der Eheleute A gerichtet gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Der Senat läßt offen, ob das FG von den genannten Entscheidungen des BFH abgewichen ist und sein Urteil auf dieser Abweichung beruht (§115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Da es seine Entscheidung auf mehrere Gründe gestützt hat, von denen jeder für sich die Klagestattgabe trägt, muß hinsichtlich jeder Begründung ein Zulassungsgrund geltend gemacht werden (BFH-Beschluß vom 9. Februar 1994 V B 198/93, BFH/NV 1995, 602). Das FA hat zwar in bezug auf den vom FG angenommenen Ablauf der einjährigen Frist des §171 Abs. 8 Satz 1 AO 1977 gerügt, daß das FG insoweit seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt habe. Diese Rüge ist aber unbegründet.

Die Einhaltung der einjährigen Frist des §171 Abs. 8 Satz 1 AO 1977 war ausweislich des Vortrags des FA im Klageverfahren streitig. Da sich die vom FG der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte Kontrollmitteilung des FA vom 11. März 1987 in den vom FA vorgelegten, die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) betreffenden Akten befand, mußte das FA damit rechnen, daß das FG sie verwerten würde. Dadurch, daß das FG das FA nicht auf die Verwertung hingewiesen hat, hat es dessen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt. Es wäre Sache des FA gewesen, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, um seine Einwendungen gegen die Verwertung vorzutragen. Die vom FA vorgetragenen Tatsachen lassen auch keine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§76 FGO) durch das FG erkennen.

Auch hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung der Voraussetzungen für die Anerkennung eines Zwischenmietverhältnisses hat die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs keinen Erfolg. Das FG ist zu Hinweisen auf seine rechtlichen Überlegungen nur dann verpflichtet, wenn es seine Entscheidung maßgeblich auf rechtliche Gesichtspunkte stützt, die zu erwägen im Verlauf des bisherigen Verfahrens keinerlei Anlaß bestand (vgl. Senatsurteil vom 28. Februar 1996 XI R 74/94, BFH/NV 1996, 573). In der Kontrollmitteilung vom 11. März 1987 wird darauf hingewiesen, daß die Y-GmbH mangels Bonität kein tauglicher Zwischenmieter sei und deshalb die Zwischenvermietung und die Option der Anleger gemäß §9 des Umsatzsteuergesetzes umsatzsteuerrechtlich nicht anzuerkennen seien. Daß das FG aufgrund dieses Hinweises die Ungewißheit in bezug auf die Anerkennung des Zwischenmietverhältnisses als beseitigt beurteilen könnte, mußte dem FA bewußt sein. Bedenken dagegen hätte es von sich aus äußern müssen.

Der Senat entscheidet im übrigen gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne Begründung.

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 468

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