Leitsatz (amtlich)

Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß Selbstverbrauch auch die Zuführung von Wirtschaftsgütern sein kann, die von Nichtunternehmern erworben worden sind.

 

Normenkette

UStG 1967 § 30

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige (Antragsteller, Beschwerdeführer) erwarb im Juni 1968 von seinem Schwiegervater, einem Nichtunternehmer, einen gebrauchten PKW für 2 700 DM. Er nutzte das Fahrzeug fortan betrieblich. Das FA (Antragsgegner, Beschwerdegegner) setzte in einem Vorauszahlungsbescheid eine Selbstverbrauchsteuer von 8 v. H. auf 2 700 DM = 216 DM fest.

Das FG hat den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Vorauszahlungsbescheids abgewiesen. Es hat in seinem Beschluß, der in den EFG 1970 S. 259 veröffentlicht ist, die Auffassung vertreten, § 30 UStG 1967 mache die Besteuerung des Selbstverbrauchs nicht von einem vorhergehenden Vorsteuerabzug abhängig und wahre damit die Wettbewerbsneutralität. Würde keine Selbstverbrauchsteuer erhoben, wäre der einen Gebrauchtwagen anbietende Unternehmer benachteiligt; der Kaufinteressent würde, um die Selbstverbrauchsteuer zu vermeiden, das Angebot eines Nichtunternehmers annehmen.

Der Steuerpflichtige macht mit der Beschwerde geltend: § 30 UStG 1967 sei nur anwendbar, wenn zuvor eine Vorsteuer abgezogen worden sei. Das komme in der Überschrift der Bestimmung zum Ausdruck und entspreche Sinn und Zweck der Vorschrift, die im wirtschaftlichen Ergebnis für eine Übergangszeit den Vorsteuerabzug auf Investitionen teilweise ausschließen wolle.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde ist unbegründet.

Gemäß § 69 Abs. 3 FGO kann die Vollziehung eines Verwaltungsakts ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen. Solche Zweifel liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage bewirken (Beschluß des BFH III B 9/66 vom 10. Februar 1967, BFH 87, 447, BStBl III 1967, 182). Im vorliegenden Fall sind keine gewichtigen Gründe erkennbar, die gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Vorauszahlungsbescheids sprechen.

Selbstverbrauch liegt nach § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 vor, wenn ein Unternehmer ein körperliches Wirtschaftsgut, das der Abnutzung unterliegt und dessen Anschaffungs- oder Herstellungskosten nach einkommensteuerlichen Vorschriften im Jahr der Anschaffung oder Herstellung nicht in voller Höhe als Betriebsausgaben abgesetzt werden können, im Inland der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zuführt. Diese Voraussetzungen treffen sämtlich auf Erwerb und die betriebliche Ingebrauchnahme des PKW im April 1968 zu, wie auch der Steuerpflichtige nicht in Abrede stellt. Die Selbstverbrauchsteuer kann nicht von dem weiteren ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal abhängig gemacht werden, sie entstehe nur dann und insoweit, als sie einen Vorsteuerabzug rückgängig mache. Gegen eine solche Auslegung sprechen Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 des § 30 UStG 1967, die ausdrücklich regeln, in welchen Fällen bei fehlendem Vorsteuerabzug keine Selbstverbrauchsteuerpflicht eintritt. Für eine Einschränkung der Steuerpflicht könnte allenfalls die Überschrift des § 30 UStG 1967 sprechen, die die Bestimmungen über die Selbstverbrauchsteuer als "Übergangsvorschriften zur stufenweisen Einführung des sofortigen Vorsteuerabzugs bei Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens" bezeichnet. Hieraus ergibt sich zweifellos ein Bedeutungszusammenhang zwischen der Selbstverbrauchsteuer und dem nach § 15 UStG 1967 zulässigen sofortigen vollen Abzug der Vorsteuer auf Erwerbe und Einfuhren von Anlagegütern. Die Überschrift eines Paragraphen kann jedoch, zumal wenn dieser wie hier sehr umfangreich ist, nur den gesetzgeberischen Grundgedanken wiedergeben. Im Regelfall soll danach der Vorsteuerabzug auf Investitionen zum Teil rückgängig gemacht werden. Es bleibt aber Raum für Abweichungen nach beiden Seiten. So läßt § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 in Verbindung mit § 6 Abs. 2 EStG den sofortigen Vorsteuerabzug bei geringwertigen Wirtschaftsgütern unangetastet. Andererseits konnte ohne Widerspruch zur Überschrift in bestimmten Fällen die Erhebung von Selbstverbrauchsteuer ohne vorangegangenen Vorsteuerabzug angeordnet werden. Darunter fällt außer dem hier vorliegenden Fall des Erwerbs von einem Nichtunternehmer der Fall der Selbstherstellung eines Anlageguts, soweit es hinsichtlich der Wertschöpfung keinem Vorsteuerabzug unterlegen hat.

Die wortgetreue Auslegung führt zu wirtschaftlich sinnvollen Ergebnissen. Wer von einem Nichtunternehmer erwirbt, kann zwar gemäß § 15 UStG 1967 keine Vorsteuer abziehen, steht jedoch im Ergebnis einem Abzugsberechtigten gleich, weil er den Kaufpreis ohne Umsatzsteuer aufgewandt hat. Wenn er die Selbstverbrauchsteuer vermeiden könnte, würde er trotz wirtschaftlich gleicher Sachlage einen Vorteil erlangen. Hinsichtlich der Wertschöpfung eines selbsthergestellten Anlageguts hat schon der Finanzausschuß des Bundestags (BT) in seinem Schriftlichen Bericht vom 30. März 1967 ausgeführt, die gewählte Gesetzesfassung sei notwendig gewesen, um "eine steuerliche Gleichstellung zwischen angeschafften und selbsthergestellten Investitionen zu erreichen" (BT-Drucksache zu V/1581 im einzelnen zu § 30).

Der Hinweis auf die ursprünglich vorgeschlagene prorata-temporis-Regelung im Regierungsentwurf eines UStG vom 30. Oktober 1963 (BT-Drucksache IV/1590) geht fehl. Jene Regelung, die vorsah, den Vorsteuerabzug für das Anlagevermögen zeitanteilig entsprechend der Abnutzung vorzunehmen, ist im Gesetzgebungsverfahren grundlegend umgestaltet worden und bietet keinen Anhalt mehr für die Auslegung der Gesetzesfassung. Einerseits ist aus der auf Dauer angelegten Regelung des Regierungsentwurfs eine Übergangsregelung geworden, die am 31. Dezember 1972 ausläuft. Andererseits bewirkt § 30 UStG 1967 für die Übergangszeit eine zusätzliche Besteuerung, während der Regierungsentwurf lediglich den Vorsteuerabzug zeitlich strecken wollte (vgl. im einzelnen BT-Drucksache zu V/1581 unter Nr. 5 des allgemeinen Teils).

Meilicke hat verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Selbstverbrauchsteuer geltend gemacht, soweit sie ohne Vorsteuerabzug erhoben wird (BB 1968, 538). Er meint, sie hätte insoweit nur mit Zustimmung des Bundesrats als eine den Ländern zustehende Verkehrsteuer eingeführt werden können. Der Senat teilt diese Bedenken nicht. Der Bundesgesetzgeber hat bei Einführung des UStG 1967 von seiner ihm nach Art. 105 Abs. 2 Nr. 1 GG (in der bis zum 31. Dezember 1969 geltenden Fassung) zustehenden Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch gemacht. Da ihm seinerzeit das Aufkommen der Umsatzsteuer in voller Höhe zustand (Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 GG a. F.), bedurfte das Gesetz nicht der Zustimmung des Bundesrats (Art. 105 Abs. 3 GG a. F.). Teil der zulässigen Umsatzsteuerregelung ist § 30 UStG 1967, der weder als ganzes noch in Einzelheiten gesondert betrachtet werden kann. Diese Bestimmung ist eine Übergangsvorschrift. Die an sich wünschenswerte volle Entlastung der Altinvestitionen und der sofortige Vorsteuerabzug bei Neuinvestitionen waren mangels verfügbarer Finanzmasse nicht zu erreichen. Die Investitionsneigung vor Inkrafttreten des UStG 1967 durfte nicht gefährdet werden. Unter diesen Umständen wurde die Lösung gewählt, die Investitionen des Jahres 1968 mit einer zusätzlichen Selbstverbrauchsteuer etwa so zu belasten (8 v. H.), wie die Investitionen des Jahres 1967 mit kumulativer Allphasensteuer belastet waren, und diese zusätzliche Belastung nach und nach abzubauen (vgl. im einzelnen BT-Drucksache zu V/1581 Allgemeines 5). Die Selbstverbrauchsteuer soll sonach die Umsatzsteuerbelastung des alten Systems für einen Teilbereich und eine Übergangszeit - dies allerdings in fallenden Beträgen - fortführen. Ihr Zusammenhang mit dem Vorsteuerabzug des neuen Rechts ist demnach lose und, wo er fehlt, durch die Besonderheiten des Systemwechsels gerechtfertigt.

 

Fundstellen

BStBl II 1970, 644

BFHE 1970, 322

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