Entscheidungsstichwort (Thema)

Eidesstattliche Versicherung; sofortiger Vollzug

 

Leitsatz (NV)

1. Es bestehen ernstliche Zweifel daran, ob ein Vollstreckungsschuldner mit seinen Einwendungen gegen die Anordnung der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung im konkreten Vollstreckungsverfahren deshalb ausgeschlossen ist, weil er inhaltsgleiche Einwendungen in einem bereits abgeschlossenen Vollstreckungsverfahren erhoben hatte und diese Einwendungen rechtskräftig verworfen wurden.

2. Zu den Anforderungen an die Anordnung des sofortigen Vollzugs der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 5 Satz 4 AO 1977.

 

Normenkette

AO 1977 § 69 Abs. 3, § 284 Abs. 5 S. 4

 

Tatbestand

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Zentralfinanzamt - ZFA -) hatte den Antragsteller und Beschwerdegegner (Beschwerdegegner) am 19. August 1985 zur Abgabe eines Vermögensverzeichnisses mit eidesstattlicher Versicherung aufgefordert. Dieses Verfahren hatte sich nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde (VII B 168/87) und Verwerfung der Revision (VII R 101/87, BFH/NV 1988, 580) erledigt, weil die der Aufforderung zugrunde liegenden Steuerrückstände durch Teilzahlungen und Sollminderungen weggefallen waren.

Mit Verwaltungsakt vom 1. September 1988 forderte das ZFA den Beschwerdegegner erneut zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung auf, da zwischenzeitlich weitere Abgabenrückstände in Höhe von . . . DM entstanden und Vollstreckungsmaßnahmen in sein bewegliches Vermögen erfolglos verlaufen waren. Das gegen diese Anordnung gerichtete Rechtsbehelfsverfahren blieb ohne Erfolg. Über die Klage ist noch nicht entschieden.

Während einer persönlichen Vorsprache des Beschwerdegegners beim ZFA am 28. Februar 1989 ordnete der zuständige Sachgebietsleiter mündlich die sofortige Vollziehung der Aufforderung ,,(Ladung") zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vom 1. September 1988 an. Die dagegen eingelegte Beschwerde war ebenfalls erfolglos (während des gerichtlichen Beschwerdeverfahrens ergangene Beschwerdeentscheidung vom 10. Juli 1989). Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Anordnung vom 28. Februar 1989 lehnte das ZFA ab.

Am 2. März 1989 stellte der Beschwerdegegner beim Finanzgericht (FG) den Antrag, die Vollziehung der Anordnung auszusetzen. Am 3. März 1989 bestätigte das ZFA die mündlich erlassene Anordnung der sofortigen Vollziehung und begründete diese Maßnahme damit, daß bereits frühere Einwendungen des Beschwerdegegners gegen die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung unanfechtbar verworfen worden seien und die Vollziehung keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte darstelle. Der Beschwerdegegner habe weder freiwillige noch nennenswerte erzwungene Zahlungen seit Einleitung des Vollstreckungsverfahrens geleistet, vielmehr seien die Steuerrückstände durch neu hinzugekommene Beträge angewachsen. Es könne davon ausgegangen werden, daß nur Zwangsmaßnahmen zur Milderung der Steuerrückstände führten. Dieser Eindruck entstehe um so mehr, wenn die Vorgänge herangezogen würden, die zur Tilgung der Steuerforderungen in dem früheren Verfahren geführt hätten. Minderungen der Rückstände hätten sich überwiegend aus den erst im gerichtlichen Verfahren abgegebenen Steuererklärungen ergeben. Zahlungen habe der Beschwerdegegner erst nach Abschluß der gerichtlichen Verfahren im Rahmen einer Vereinbarung geleistet, die in bezug auf die Abgabe von Steuererklärungen und Bezahlung von künftig fällig werdenden Beträgen wiederum nicht eingehalten worden sei.

Die vom Beschwerdegegner eingelegten Rechtsmittel hätten nur den Zweck, die Beitreibung bzw. die Bezahlung der Steuerrückstände zu verzögern, da seit Einleitung des Verfahrens keine freiwilligen Zahlungen geleistet worden und trotz mehrfacher Aufforderung die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht einmal ansatzweise dargelegt worden seien. Deshalb sei dem Interesse des Staates, die sofortige Bezahlung der Steuerrückstände zu erreichen, der Vorrang einzuräumen, zumal nach dem bisherigen Stand nicht ersichtlich sei, wie die Steuerrückstände beglichen werden sollten.

Das FG gab dem bei ihm gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung statt. Es begründete die Zulässigkeit eines derartigen Antrags mit einer entsprechenden Anwendung des § 80 Abs. 5 i. V. m. Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und führte aus, nach dem Wortlaut des § 284 Abs. 5 Satz 4 der Abgabenordnung (AO 1977) sei nicht ausgeschlossen, daß unter den Begriff ,,frühere Einwendungen" nicht nur solche Einwendungen fielen, die in dem noch anhängigen Verfahren wegen der mit Verwaltungsakt vom 1. September 1988 angeordneten Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erhoben worden seien, sondern auch solche Einwendungen, die - wie das ZFA meine - in dem mit Anordnung vom 19. August 1985 eingeleiteten und bereits erledigten Verfahren unanfechtbar verworfen worden seien. Bei summarischer Prüfung beständen allerdings an der Rechtmäßigkeit einer erweiternden Auslegung dieser Vorschrift, wie sie das ZFA vorgenommen habe, ernstliche Zweifel. Eine derartige Auslegung des § 284 Abs. 5 Satz 4 AO 1977 hätte zur Folge, daß das ZFA einem Vollstreckungsschuldner, dessen Einwendungen gegen die Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung in einem früheren, erledigten Verfahren verworfen worden seien, in allen späteren Verfahren, also auf Dauer, die vom Gesetzgeber nach § 284 Abs. 5 Satz 3 AO 1977 grundsätzlich gewollte aufschiebende Wirkung der Einwendungen durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung nehmen könnte.

Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde vertritt das ZFA die Auffassung, nach dem Wortlaut des Gesetzes komme es nur darauf an, daß bereits frühere Einwendungen zurückgewiesen worden seien, und nicht darauf, daß die gleichen Steuerrückstände der Anordnung der eidesstattlichen Versicherung zugrundelägen. Der Zweck des § 284 Abs. 5 Satz 4 AO 1977 ziele darauf ab, der Verschleppungstaktik des Vollstreckungsschuldners entgegenzuwirken, der durch immer neue Einwendungen versuche, die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu verzögern. Effektiv und wirksam könne diese Vorschrift nur dann angewandt werden, wenn der Einwendungen erhebende Vollstreckungsschuldner die aufschiebende Wirkung seiner Einwendungen nicht mehrfach zugestanden erhalte und auf diese Art und Weise die Befriedigung des Gläubigers nach seinem Gutdünken zeitlich steuern könne.

Das ZFA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abzuweisen.

Der Beschwerdegegner hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Das FG hat die Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung im Ergebnis zu Recht angeordnet.

1. Der Antrag des Beschwerdegegners auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner gegen die neuerliche Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung eingelegten Beschwerde ist zulässig. Es kann allerdings dahingestellt bleiben, ob sich die Zulässigkeit dieses Antrags - wie vom FG angenommen - aus § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ergibt (vgl. dazu Senatsbeschluß vom 11. Dezember 1984 VII B 41/84, BFHE 142, 423, 427, BStBl II 1985, 197), da auf jeden Fall die Voraussetzungen des § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) für eine Aussetzung der Vollziehung gegeben sind. Die Anordnung der sofortigen Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 5 Satz 4 AO 1977 ist ein selbständiger, vollziehbarer Verwaltungsakt. Die dagegen nach § 349 Abs. 1 AO 1977 eingelegte Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung, weshalb vorläufiger Rechtsschutz nach den Vorschriften des § 361 Abs. 2 AO 1977 oder § 69 Abs. 3 FGO gegeben ist (Schwarz, Abgabenordnung, § 284 Rdnr. 23; Ziemer / Haarmann / Lohse /Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 4499/86 zu § 361 Abs. 4 Satz 2 AO 1977).

2. Nach § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht die Vollziehung eines Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Das FG hat die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung zutreffend bejaht.

a) Unabhängig von der Auslegungsfrage, die das FG zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Vollzugsanordnung veranlaßt hat, könnten sich Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts aus folgenden Überlegungen ergeben:

Die Regelung des § 284 Abs. 5 Satz 4 AO 1977 ist von ihrer Anlage her vergleichbar mit der Vorschrift des § 361 Abs. 4 Satz 2 AO 1977, wonach die Untersagung des Gewerbebetriebs oder der Berufsausübung durch die Finanzbehörde für sofort vollziehbar erklärt werden kann, und der Vorschrift des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO, die der allgemeinen Verwaltung ebenfalls die Möglichkeit gibt, die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs durch besonderen Verwaltungsakt zu beseitigen. Nach diesen beiden Vorschriften ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung insbesondere nur dann zulässig, wenn sie im öffentlichen Interesse ist, wobei das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug gerade des konkreten Verwaltungsakts bestehen muß (Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 9. Aufl., § 80 Rdnr. 28). Das öffentliche Interesse ist schriftlich zu begründen (§ 361 Abs. 4 Satz 2, letzter Halbsatz AO 1977, § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO), damit die Zulässigkeit der Anordnung gerichtlich nachprüfbar ist.

Mit Rücksicht auf den Ausnahmecharakter der Anordnung der sofortigen Vollziehung, wie er in allen drei Vorschriften zum Ausdruck kommt, könnte das öffentliche Interesse und seine schriftliche Begründung auch für die Anwendung des § 284 Abs. 5 Satz 4 AO 1977 bedeutsam sein, obwohl in dieser Vorschrift weder auf das öffentliche Interesse noch auf eine schriftliche Begründung ausdrücklich hingewiesen wird. Eine Anordnung der sofortigen Vollziehung der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 5 Satz 4 AO 1977 wäre deshalb möglicherweise nur dann rechtmäßig, wenn neben der in dieser Vorschrift selbst genannten Voraussetzung an der sofortigen Vollziehung ein öffentliches Interesse i. S. von § 361 Abs. 4 Satz 2 AO 1977 und § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO bestände und die Finanzbehörde dieses Interesse auch schriftlich begründete.

Ob diese Voraussetzungen im Streitfall erfüllt wären, erscheint bei summarischer Prüfung ernstlich zweifelhaft. Der sofortige Vollzug ist dem Beschwerdeführer gegenüber bei seiner persönlichen Vorsprache am 28. Februar 1989 erklärt worden. Die schriftliche Begründung erfolgte erst am 3. März 1989. Ob ein derartiges Nachschieben der Begründung - auch die Niederschrift über die mündliche Anordnung enthält keine ausdrückliche Begründung - zulässig ist, ist fraglich. In der allgemeinen Verwaltungsrechtsprechung wird diese Frage nicht einheitlich beantwortet (vgl. Eyermann/Fröhler, a. a. O., § 80 Rdnr. 28 mit weiteren Nachweisen).

Selbst für den Fall, daß die nachgereichte schriftliche Begründung vom 3. März 1989 formell den Anforderungen i. S. der §§ 361 Abs. 4 Satz 2 AO 1977 und 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügen sollte, könnten Zweifel bestehen, ob dieses Schreiben inhaltlich das öffentliche Interesse ausreichend begründen würde. Für die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts auch nach § 284 Abs. 5 Satz 4 AO 1977 könnte ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich sein, das über jenes Interesse hinausgeht, das den angefochtenen Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 1973 1 BvR 23 und 155/73, Neue Juristische Wochenschrift 1974, 227, 228 betreffend den sofortigen Vollzug von Ausweisungsverfügungen). Dieses Interesse ließe sich nicht im allgemeinen, sondern nur im Einzelfall begründen und müßte in der schriftlichen Begründung über die Anordnung der sofortigen Vollziehung ausdrücklich und in gerichtlich nachprüfbarer Weise dargelegt werden.

Die Begründung der angefochtenen Entscheidung im Schreiben vom 3. März 1989 läßt bei summarischer Betrachtung nicht erkennen, daß das ZFA einer etwa so zu verstehenden Begründungspflicht genügt hat. Dem Begründungsschreiben ist lediglich zu entnehmen, warum das ZFA weiterhin die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung für notwendig erachtet (Begründung des zu vollziehenden Verwaltungsakts selbst) und warum eine Aussetzung der sofortigen Vollzugsanordnung nach § 361 Abs. 2 AO 1977 nicht gewährt werden kann. Ob dies als Begründung des besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ausreichend sein würde, könnte zweifelhaft erscheinen.

b) Der Senat braucht aber über alle diese Fragen letztlich nicht zu entscheiden. Denn bereits die vom FG aufgezeigten Zweifel über die Auslegung des § 284 Abs. 5 AO 1977 rechtfertigen die Aussetzung der Vollziehung. Bei der nach § 69 Abs. 3 FGO gebotenen summarischen Betrachtung bestehen ernstliche Zweifel daran, ob der Beschwerdeführer mit seinen Einwendungen in diesem konkreten Vollstreckungsverfahren deshalb ausgeschlossen ist, weil er inhaltsgleiche Einwendungen in einem bereits abgeschlossenen Vollstreckungsverfahren erhoben hatte und diese Einwendungen rechtskräftig verworfen wurden. Zur Begründung verweist der Senat auf die Vorentscheidung, deren Erwägungen er sich insoweit zu eigen macht. Das Vorbringen des ZFA vermag das Gewicht der hiernach bestehenden ernstlichen Zweifel nicht zu vermindern. Dies gilt insbesondere, weil die Beschwerdebegründung letztlich darauf hinausläuft, eine ,,entsprechende" Anwendung von § 284 Abs. 5 Satz 4 AO 1977 im Hinblick auf die Erledigung eines anderen - wenn auch möglicherweise gleichgelagerten - Vollstreckungsverfahrens gegen den Steuerschuldner zu rechtfertigen. Rechtlich gesichert erscheint die Berufung auf die vorbezeichnete Vorschrift nur, wenn im laufenden Verfahren frühere Einwendungen unanfechtbar verworfen worden sind.

 

Fundstellen

BFH/NV 1990, 275

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge