Entscheidungsstichwort (Thema)

20 %iger Zuschlag auf zurückgeforderte Ausfuhrerstattung

 

Leitsatz (NV)

Ist Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 VO (EWG) Nr. 3665/87 i. V. m. Art. 29 Abs. 1 VO Nr. 2220/85 dahin auszulegen, daß der Zuschlag von 20 % auf die in Betracht kommende Ausfuhrerstattung auch dann zu erheben ist, wenn die zur Erstattungs-Lagerung gemäß Art. 5 VO (EWG) Nr. 565/80 abgefertigte Erstattungsware nicht -- wie ursprünglich vorgesehen -- ausgeführt, sondern im Anschluß an die Erstattungs-Lagerung bei Rücknahme des Zahlungsantrags (Art. 29 Abs. 2 VO -- EWG -- Nr. 3665/87) wieder in den freien Verkehr der Gemeinschaft zurückgeführt worden ist (Vorlage an den EuGH)?

 

Normenkette

EWGV 2220/85 Art. 29 Abs. 1; EWGV 3665/87 Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Rechtsnachfolgerin der N-GmbH (N). Diese beantragte Ende Juli 1990 für ... kg Rindfleisch der Marktordnungswarenlistennr. 0201 3000 1500 die Abfertigung zum Erstattungslager gemäß §11 Abs. 1 der Ausfuhrerstattungs-Verordnung vom 17. Feburar 1988 (BGBl I 1988, 155). Gleichzeitig beantragte sie, die angemeldeten Waren in eine Erstattungs-Lagerung mit Vorfinanzierung der Erstattung zu überführen. Die Zollstellen entsprachen den Anträgen, stellten Menge und Beschaffenheit der Waren fest, schrieben auf den in den genannten Anträgen angegebenen Lizenzen die Warenmengen ab und legten dadurch den anzuwendenden (zum 12. April 1990 im voraus festgesetzten) Erstattungssatz fest. Die Waren wurden der N überlassen.

Mit den dafür vorgesehenen nationalen Formanträgen jeweils von Ende Juli 1990 -- eingegangen beim Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt -- HZA --) Anfang August 1990 -- beantragte die N die Vorfinanzierung der Ausfuhrerstattung nach den im voraus festgesetzten Erstattungssätzen. Kurz darauf zog die N ihre Erstattungsanträge wieder zurück und erhielt auf ihren Antrag hin jeweils ein Formblatt INF 3 nach der Verordnung (EWG) Nr. 2954/76 der Kommission vom 26. November 1976 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- ABlEG -- Nr. L 335/1), weil sie beabsichtigte, die zum Erstattungslager abgefertigten Waren wieder in "das Zollgebiet der Gemeinschaft" zurückzuführen.

Das HZA erteilte Ende August 1990 -- trotz der Rücknahme der nationalen Zahlungsanträge -- vier Erstattungsbescheide und zahlte der N den der Ausfuhrerstattung entsprechenden Betrag in Höhe von insgesamt ... DM aus. Mit Rückforderungsbescheid vom November 1990 forderte das HZA die im Vorfinanzierungswege gewährte Ausfuhrerstattung zuzüglich eines 20 %igen Zuschlags gemäß Art. 33 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 (VO Nr. 3665/87) der Kommission vom 27. November 1987 (ABlEG Nr. 351/1) in Höhe von ... DM zurück. Der gegen die Erhebung des Zuschlags eingelegte Einspruch der Klägerin blieb erfolglos.

Die Klage hatte dagegen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, das HZA habe den 20 %igen Zuschlag zu Unrecht angefordert. Die Auslegeung des maßgebenden Gemeinschaftsrechts (Art. 5, 6 der Verordnung (EWG) Nr. 565/80 -- VO Nr. 565/80 --des Rates vom 4. März 1980, ABlEG Nr. L 62/5, Art. 25, Art. 29 Abs. 2, Art. 31 Abs. 1, Art. 33 VO Nr. 3665/87) ergebe, daß der 20 %ige Zuschlag nicht die Durchführung des Erstattungslagerverfahrens mit Vorfinanzierung der Ausfuhrerstattung, sondern vielmehr die pauschale Abschöpfung der durch die ungerechtfertigte Inanspurchnahme der Vorfinanzierung erzielten Vorteile sichern solle. Die Abfertigung zur Erstattungs-Lagerung schließe die Möglichkeit, die Zweckbestimmung nachträglich zu ändern, nicht aus. Mit der Änderung der Zweckbestimmung der Erstattungware entfalle die Verpflichtung zur Leistung der in Art. 31 VO Nr. 3665/87 vorgeschriebenen Sicherheit, weil die Vorfinanzierung der Ausfuhrerstattung gerade nicht mehr in Anspruch genommen werden solle. Damit entfalle auch die Zahlung des 20 %igen Zuschlags. Dies müsse auch gelten, wenn die Zollverwaltung den Vorfinanzierungsbetrag trotz Rücknahme der Zahlungsanträge, also ohne Rechtsgrundlage, und damit fehlerhaft auszahle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des HZA.

 

Entscheidungsgründe

II. 1. Für die Entscheidung über die Revision des HZA kommt es auf die Frage an, unter welchen Voraussetzungen der 20 %ige Zuschlag nach Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 3665/87 zu zahlen ist. Insoweit ergeben sich Zweifel bei der Auslegung der maßgebenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften. Der Senat ist mithin gehalten, den Gerichtshof um deren Auslegung zu ersuchen (Art. 177 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft).

2. Nach den Feststellungen des FG, die den Senat nach §118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) binden, ist im Revisionsverfahren davon auszugehen, daß das Rindfleisch in den betreffenden Partien aufgrund der von der N abgegebenen vier Zahlungserklärungen zur Erstattungs-Lagerung abgefertigt worden ist (Art. 5 VO Nr. 565/80 i. V. m. Art. 25 VO Nr. 3665/87), daß das HZA aufgrund der Zahlungsanträge (Art. 29 Abs. 2 VO Nr. 3665/87) der N die vorgesehenen Vorfinanzierungsbeträge gezahlt hat, obwohl die Zahlungsanträge vorher von der N wirksam zurückgenommen waren, und daß das eingelagerte Rindfleisch wieder in den freien Verkehr entnommen wurde. Ferner steht auch fest, daß für die Abfertigung des Rindfleischs im Anschluß an die Erstattungs-Lagerung die Voraussetzungen der Rückwarenregelung nach Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 754/76 des Rates vom 25. März 1976 (ABlEG Nr. L 89/1) nicht erfüllt waren.

3. Der Senat neigt der Auffassung des HZA zu, daß im Streitfall der 20 %ige Zuschlag nach Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 3665/87 i. V. m. Art. 29 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 der Kommission vom 22. Juli 1985 (ABlEG Nr L 205/5) zu erheben ist. Nach Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 3665/87 hat der Beteiligte einen um 20 %igen erhöhten Differenzbetrag zu erstatten, wenn der für die ausgeführte Menge fällige Betrag niedriger ist als der vorfinanzierte Betrag. Ihrem Wortlaut nach geht diese Vorschrift zwar davon aus, daß eine vorfinanzierte Erstattungsware, wenn auch von geringerer Menge als vorgeschrieben, überhaupt ausgeführt worden ist. Ihrem Sinn und Zweck entsprechend müßte sie aber erst recht auch für den Fall gelten, daß die Erstattungsware entgegen einer bestehenden Verpflichtung -- wie im Streitfall -- überhaupt nicht ausgeführt wird. Dabei kommt es nach Meinung des Senats nicht darauf an, ob der Vorfinanzierungsbetrag ausgezahlt worden ist; ohne Bedeutung ist daher auch, daß er -- wie im Streitfall -- ohne rechtlichen Grund geleistet wurde. Entscheidend ist vielmehr allein, daß die Erstattungsware zur Erstattungs-Lagerung abgefertigt worden ist und damit ein Anspruch auf die Vorfinanzierung unabhängig davon besteht, ob er tatsächlich geltend gemacht wird.

Durch die Abgabe der Zahlungserklärung nach Art. 25 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 hat die N gegenüber den betreffenden Zollstellen ihren Willen bekundet, das Rindfleisch nach Abschluß der Erstattungs-Lagerung auszuführen. Die Zahlungserklärung ist mit Überlassung der Waren an die N verbindlich geworden. Sie kann danach, ohne daß dies im Gemeinschaftsrecht ausdrücklich gestattet wäre, nicht mehr mit der Folge zurückgenommen werden, daß die Abfertigung zur Erstattungs-Lagerung hinfällig wird. Mangels einer solchen Möglichkeit war N daher verpflichtet, die Waren bis zum Ablauf der Lagerfrist aus dem Lager abzumelden und gemäß Art. 32 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 innerhalb einer Frist von 60 Tagen aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft in unverändertem Zustand auszuführen oder in den in Art. 34 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 genannten Fällen ihrer Bestimmung in unveränderten Zustand zuzuführen. Die Abfertigung der Waren im Anschluß an die Erstattungs-Lagerung zum freien Verkehr ist keine nach Art. 34 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 vorgesehene Bestimmung. Da die N danach ihre nach Art. 32 VO Nr. 3665/87 bestehende Verpflichtung nicht erfüllt hat, dürfte das HZA gemäß Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 3665/87 zu Recht den 20 %igen Zuschlag bei N angefordert haben.

In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, daß die N ihren Zahlungsantrag, was sie mangels entgegengesetzter Vorschriften bis zur Entscheidung über ihn tun konnte, wirksam zurückgenommen und daß das HZA den Vorfinanzierungsbetrag somit ohne rechtlichen Grund ausgezahlt hat. Denn der Zahlungsantrag nach Art. 29 Abs. 2 VO Nr. 3665/87 ist unabhängig von der Zahlungserklärung zu stellen, aus deren Annahme durch die Zollbehörde allein sich die zuvor beschriebenen Verpflichtungen der N jeweils ergeben.

Unabhängig von dem Zahlungsantrag ist weiter die Verpflichtung der N zur Leistung einer Sicherheit nach Art. 31 VO Nr. 3665/87, die den 20 %igen Zuschlag, der nach Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 3665/87 unter Umständen in Betracht kommen kann, mit abdecken muß. Das folgt aus Art. 31 Abs. 1 VO Nr. 3665/87, der vorschreibt, daß die Sicherheit grundsätzlich bereits vor Annahme der Zahlungserklärung zu leisten ist. Daraus und aus Art. 31 Abs. 3 VO Nr. 3665/87, der im zweiten Spiegelstrich vorschreibt, daß auf jeden Fall die Zahlung dieses Betrages sicherzustellen ist, wenn die Sicherheit nicht schon vor Annahme der Zahlungserklärung geleistet wird, ergibt sich die selbständige Bedeutung des 20 %igen Zuschlags gegenüber der Vorfinanzierung durch Auszahlung des vorfinanzierten Erstattungsbetrages. Denn diese wird die Zollbehörde solange zurückstellen, bis die erforderliche Sicherheit geleistet worden ist.

Daraus entnimmt der Senat, daß der Zuschlag nicht nur dazu dient, die etwaige Rückzahlung des Vorfinanzierungsbetrages abzusichern und ungerechtfertigterweise finanzielle Vorteile aus der Inanspruchnahme dieses Betrages pauschal abzugelten (vgl. Gerichtshof, Urteile vom 5. Februar 1987 288/85, Slg. 1987, 621, 625 Tz. 14, und vom 27. Februar 1992 vbd. Rechtssachen C-5/90 und C-206/90, Slg. 1992, I-1157, 1223 Tz. 36), sondern daß er unabhängig von der Gewährung des Vorfinanzierungsbetrages auch die ordnungsgemäße Durchführung der Erstattungs-Lagerung sichern und die Beteiligten von deren mißbräuchlicher Inanspruchnahme abhalten soll. Darauf deutet die 23. Begründungserwägung zur VO Nr. 3665/87 hin, in der es heißt " ... Zur Vermeidung von Mißbrauch muß die Rückzahlung einen Zuschlag umfassen ... " (vgl. Bundesfinanzhof, Urteil vom 6. Mai 1997 VII R 105/96, BFH/NV 1997, 917, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1997, 20). Dieser Zweck wird nicht allein durch Art. 43 Abs. 3 i. V. m. Art. 39 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EWG) 3719/88 (VO Nr. 3719/88) der Kommission vom 16. November 1988 (ABlEG Nr L 331/1) erreicht, der vorsieht, daß für Grunderzeugnisse, für die wie im vorliegenden Fall eine Ausfuhrlizenz erteilt wurde und die aus der Zollkontrolle entnommen werden, die Abschreibung auf der Lizenz wie bei Rückwaren annulliert wird. Denn das Verfahren der Lizenzerteilung und das der Erstattungs-Lagerung sind hinsichtlich ihrer Sanktionen unabhängig voneinander. Das folgt deutlich aus Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 3665/87 der die aus Art. 43 VO Nr. 3719/88 zu ziehenden Folgerungen unberücksichtigt läßt.

Im übrigen erschiene der in Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 3665/87 vorgesehene 20 %ige Zuschlag unverhältnismäßig hoch, wenn er nur zur Abschöpfung des finanziellen Vorteils aus der ungerechtfertigten Inanspruchnahme des Vorfinanzierungsbetrages dienen sollte. Ginge es allein darum, würde ein Zuschlag ausreichen, der nach einem wenige Prozentpunkte über dem jeweils maßgebenden Diskontsatz liegenden Prozentsatz zu berechnen wäre.

4. Im Hinblick auf die Ausführungen des FG, das mit beachtlichen Erwägungen seine Entscheidung begründet hat, wonach die Erhebung des 20 %igen Zuschlags nicht in Betracht kommt, wenn die Erstattungs-Lagerung abgebrochen und die Vorfinanzierung nicht in Anspruch genommen, bzw. ohne rechtlichen Grund geleistet, und vom Beteiligten wieder zurückgezahlt wird, vermag der Senat letzte Zweifel an der Richtigkeit seiner Auffassung nicht auszuschließen und legt dem Gerichtshof deshalb die folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

"Ist Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 der VO (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission vom 27. November 1987 in Verbindung mit Art. 29 Abs. 1 der VO (EWG) Nr. 2220/85 der Kommission vom 22. Juli 1985 dahin auszulegen, daß der Zuschlag von 20 % auf die in Betracht kommende Ausfuhrerstattung auch dann zu erheben ist, wenn die zur Erstattungs-Lagerung gemäß Art. 5 der Verordnung (EWG) Nr. 565/80 des Rates vom 4. März 1980 in Verbindung mit Art. 25, 26 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 abgefertigte Erstattungsware nicht -- wie ursprünglich vorgesehen -- ausgeführt, sondern im Anschluß an die Erstattungs-Lagerung bei Rücknahme des Zahlungsantrags (Art. 29 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87) wieder in den freien Verkehr der Gemeinschaft zurückgeführt worden ist?

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 1387

ZfZ 1998, 311

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