Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Nachzahlung nach Gewährung des Armenrechts

 

Leitsatz (NV)

1. Gegen die Anordnung der Nachzahlung in Fällen, in denen das Armenrecht gewährt worden ist, ist die Beschwerde gegeben.

2. Eine Nachzahlung darf nur angeordnet werden, wenn in den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen gegenüber der Lage, die für die Bewilligung des Armenrechts maßgebend war, eine Besserung eingetreten ist. Es reicht nicht aus, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse bei Anwendung der Vorschriften über die Prozeßkostenhilfe eine Ratenzahlung rechtfertigen würden.

3. Zur Bemessung der Vermögensverhältnisse.

 

Normenkette

BFHEntlG Art. 1 Nr. 4; FGO § 128 Abs. 1; Gesetz über die Prozeßkostenhilfe Art. 5 Nr. 1; ZPO a.F. § 125

 

Tatbestand

Der Bundesfinanzhof (BFH) bewilligte der Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin (Beschwerdeführerin) auf deren Antrag durch Beschluß vom 5. Mai 1977 V S 12/76 das Armenrecht für das Revisionsverfahren V R 86/75. In dem Antrag und Zeugnis auf Erlangung des Armenrechts vom 6. Dezember 1976 waren über die Vermögensverhältnisse der Beschwerdeführerin folgende Angaben enthalten:

- Monatlicher Arbeitslohn 1 150 DM brutto und 882,87 DM netto,

- monatliche Witwenrente 610,40 DM,

- Waisenrente für den im Haushalt der Beschwerdeführerin lebenden Sohn 254,70 DM,

- anteiliges Kindergeld 80 DM,

- Gesamteinkommen 1 827,97 DM (netto),

- monatliche Wohnungsmiete 200 DM.

Für den zweiten Rechtsgang bewilligte das Finanzgericht (FG) der Beschwerdeführerin das Armenrecht durch Beschluß vom 17. September 1979 V 5434/78 S-A für einen streitigen Betrag in Höhe von 35 000 DM. Im übrigen wurde der Antrag auf Bewilligung des Armenrechts mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt. In dem Antrag zur Erlangung des Armenrechts vom 17. November 1978 war über die Vermögensverhältnisse der Beschwerdeführerin folgendes angegeben:

- Arbeitslohn netto 960 DM,

- Rente 671,10 DM,

- Kindergeld 50 DM,

- Rente minderjähriger Kinder 264,80 DM,

- Einkommen insgesamt 1 631,10 DM + 314,80 DM,

- Miete 409 DM.

Der Antragsteller und Beschwerdegegner zu 1 stellte beim FG den Antrag, die Nachzahlung anzuordnen.

Durch Beschluß vom 1. August 1984 hat das FG die Nachzahlung der ,,Gerichts- und Anwaltskosten" nach § 125 der Zivilprozeßordnung i.d.F. bis zur Änderung durch das Gesetz über die Prozeßkostenhilfe vom 13. Juni 1980 - ZPO a. F. - (BGBl I 1980, 677) angeordnet und zur Begründung folgendes ausgeführt:

Nach den Ermittlungen der Kostenstelle des BFH stelle sich das monatliche Nettoeinkommen der Beschwerdeführerin wie folgt dar:

- Nettogehalt 1 316,30 DM,

- Rente 835,50 DM.

In den Vorschriften der ZPO a. F. über das Armenrecht sei nicht im einzelnen festgelegt gewesen, wann und mit welchen Raten eine Partei ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zur Nachzahlung imstande sei. Er erscheine sachgerecht, sich nunmehr bei der Entscheidung nach § 125 ZPO a. F. an der Anlage 1 zu § 114 ZPO i.d.F. des Gesetzes über die Prozeßkostenhilfe zu orientieren, in der tabellarisch die Grenzen der zumutbaren Belastung konkret bestimmt seien.

Ihre Beschwerde gegen die Anordnung der Nachzahlung begründet die Beschwerdeführerin im wesentlichen damit, es sei bedenklich, einer Entscheidung nach § 125 ZPO a. F. nunmehr § 114 ZPO mit dessen Anlage 1 - i.d.F. des Gesetzes über die Prozeßkostenhilfe - zugrunde zu legen. Unter Berücksichtigung der Geldentwertung und der allgemeinen Steigerung der Einkommen könne bei ihr - der Beschwerdeführerin - ein verändertes Einkommen nicht festgestellt werden.

Die Beschwerdeführerin beantragt, den Antrag auf Anordnung der Nachzahlung zurückzuweisen.

Der Beschwerdegegner zu 2 beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Zur Begründung führt er im wesentlichen aus, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin hätten sich gebessert. In einer Erklärung zur Erlangung des Armenrechts vom 9. April 1974 habe die Beschwerdeführerin angegeben, eine monatliche Witwenrente in Höhe von 445,10 DM zu erhalten. Demgegenüber betrügen die monatlichen Einkünfte nunmehr 2 151,80 DM.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Der Zulässigkeit steht nicht die Regelung in Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) entgegen. Entscheidungen über das Armenrecht betreffen Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege und nicht Streitigkeiten über Kosten (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 29. Juli 1975 VII B 49/75, BFHE 116, 111, BStBl II 1975, 715).

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Ablehnung des Antrags auf Anordnung der Nachzahlung.

a) Eine Nachzahlungsanordnung nach § 125 ZPO a. F. setzt nach herrschender Auffassung voraus, daß in den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen gegenüber der Lage, die für die Bewilligung des Armenrechts maßgebend war, eine Besserung eingetreten ist (vgl. Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, Zivilprozeßordnung, 38. Aufl., § 125 Anm. 1 B, und Leipold in Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., § 125 Rdnr. 1, mit weiteren Hinweisen). Der erkennende Senat folgt dieser Auffassung. Sie entspricht nicht nur dem Wortlaut der Regelung in § 125 ZPO a. F., sondern auch dem mit der Bewilligung des Armenrechts begründeten Vertrauen des Betroffenen darin, daß er bei gleichbleibenden Vermögensverhältnissen mit der Durchführung des Rechtsstreits kein Kostenrisiko eingeht (vgl. dazu Beschluß des Oberlandesgerichts - OLG - Hamm vom 8. August 1972 23 W 279/72, Der Deutsche Rechtspfleger - Rpfleger - 1972, 457).

b) Der Entscheidung des FG liegt - in Anlehnung an den Beschluß des OLG Stuttgart vom 3. Dezember 1980 8 W 101/80 (Rpfleger 1981, 24) - offenbar die Auffassung zugrunde, nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Prozeßkostenhilfe komme es für die Anordnung der Nachzahlung nicht mehr darauf an, ob sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen gebessert haben. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Nach Art. 5 Nr. 1 des Gesetzes über die Prozeßkostenhilfe sind die Vorschriften dieses Gesetzes nicht in Verfahren anzuwenden, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes anhängig geworden sind und in denen nach den Vorschriften der ZPO a. F. Armenrecht bewilligt worden ist. In diesen Verfahren sind nach der genannten Vorschrift des Gesetzes über die Prozeßkostenhilfe ausschließlich die Vorschriften der ZPO a. F. über das Armenrecht anzuwenden. Daraus folgt, daß die Nachzahlung nach § 125 ZPO a. F. nur unter den Voraussetzungen dieser Vorschrift angeordnet werden kann, zu denen, wie dargelegt, die nachträgliche Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen gehört.

Ob in den Fällen, in denen diese Voraussetzung erfüllt ist, die Nachzahlung nach den Vorschriften des Gesetzes über die Prozeßkostenhilfe insbesondere unter Beachtung der in § 114 ZPO n. F. genannten Anlage ausgerichtet werden kann, braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden, da, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, eine Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin, wie sie für die Anordnung einer Nachzahlung nach § 125 ZPO a. F. erforderlich wäre, nicht festgestellt werden kann.

c) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Besserung der Vermögensverhältnisse eingetreten ist, müssen alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden (vgl. Beschluß des Kammergerichts vom 7. Juni 1964 1 W 805/62, Kostenrechtsprechung, ZPO § 125 Nr. 13).

Dabei ist im Streitfall von den Angaben über die Vermögensverhältnisse der Beschwerdeführerin auszugehen, die für die Bewilligungen des Armenrechts durch den BFH und das FG maßgebend waren. Das sind die Angaben in den Anträgen vom 6. Dezember 1976 und vom 17. November 1978. Es ist nicht ersichtlich, daß die vom Beschwerdegegner zu 2 bezeichnete Erklärung vom 9. April 1974 für die Bewilligungen des Armenrechts durch den BFH und das FG Bedeutung erlangt hat.

Danach kommt es für die Beurteilung der Frage, ob sich die Vermögensverhältnisse der Beschwerdeführerin gebessert haben, auf einen Vergleich der Angaben in den genannten Anträgen mit den Feststellungen über die Vermögensverhältnisse der Beschwerdeführerin und insbesondere über deren Einkommen an, die der Vorentscheidung zugrunde liegen. Aus diesem kann aber auf eine Besserung der Vermögensverhältnisse der Beschwerdeführerin nicht geschlossen werden.

Als Einkommen sind danach im wesentlichen der Arbeitslohn und die Rente zu berücksichtigen, die die Beschwerdeführerin bereits zur Zeit der Bewilligung des Armenrechts durch den BFH bezogen und in ihren Anträgen auch angegeben hat. Zwar führt der aufgezeigte Vergleich zu dem Ergebnis, daß Arbeitslohn und Rente sich erhöht haben. Der Beschwerdeführerin ist aber nicht zu widerlegen, daß die Erhöhungen lediglich eine Folge allgemeiner Einkommenssteigerungen sind. Derartige Einkommenssteigerungen können aber schon deshalb nicht als Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse gewertet werden, weil davon ausgegangen werden muß, daß sich auch die Lebenshaltungskosten erhöht haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414690

BFH/NV 1987, 186

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