Entscheidungsstichwort (Thema)

Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung in einer Nichtzulassungsbeschwerde

 

Leitsatz (NV)

Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache (hier: zu § 174 Abs. 4 AO 1977) wird nicht mit einem Vortrag dazu ordnungsgemäß i. S. des § 115 Abs. 3 FGO dargelegt, daß das Urteil des FG gegen feste und unbestrittene Rechtsgrundsätze verstoße und somit falsch sei.

 

Normenkette

AO 1977 § 174 Abs. 4; FGO § 115

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb 1974 und in der Folgezeit ein Bauunternehmen. Für 1974 setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) die Umsatzsteuer zunächst erklärungsgemäß mit Bescheid vom 1. Juli 1976 auf ./. 57 494,25 DM fest. Nach einer Umsatzsteuerprüfung im Jahre 1976 für die Veranlagungszeiträume 1973 bis 1975 erließ das FA den Änderungsbescheid 1974 vom 2. Nov. 1976 gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung (AO), mit dem es die Umsatzsteuer 1974 auf ./. 29 278,60 DM festsetzte.

Nach einer Betriebsprüfung im Jahre 1978 bezüglich der Jahre 1973 bis 1975 änderte das FA lediglich den Umsatzsteuerbescheid 1975. Gegen diesen Änderungsbescheid legte der Kläger Einspruch ein mit der Begründung, die Umsätze aus einem Hausverkauf seien nicht 1975 zu erfassen, weil das Haus bereits 1974 fertiggestellt worden sei.

Das FA folgte der Auffassung des Klägers mit Bescheid vom 14. 8. 1981. Gleichzeitig erließ es allerdings einen nach § 174 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Umsatzsteuerbescheid 1974, in dem es die Umsätze aus dem Hausverkauf mit netto 325 266 DM erfaßte und die Umsatzsteuer auf 6 496,23 DM festsetzte. Der Einspruch dagegen hatte keinen Erfolg.

Mit der Klage dagegen beantragte der Kläger, unter Änderung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids 1974 vom 14. August 1981 in Gestalt der Einspruchsentscheidung die Umsatzsteuer 1974 auf ./. 29 278,60 DM festzusetzen. Er machte geltend, der auf § 174 Abs. 4 AO 1977 gestützte Änderungsbescheid 1974 sei wegen Verstoßes gegen § 173 Abs. 2 AO 1977 rechtswidrig. Nach dieser Vorschrift dürften Bescheide, die aufgrund einer Außenprüfung ergangen seien, nur aufgehoben oder geändert werden, soweit eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung vorliege. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Überdies könne § 174 AO 1977 nicht für Zeiträume angewendet werden, die vor Inkrafttreten der AO 1977 lägen. Die Anwendung des § 174 AO 1977 ergebe hier eine unzulässige, steuerlich belastende Rückwirkung. Im übrigen werde auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. Oktober 1980 VIII R 186/78 (BFHE 132, 182, BStBl II 1981, 388) Bezug genommen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es beurteilte den auf § 174 Abs. 4 AO 1977 gestützten Änderungsbescheid für 1974 als rechtmäßig. Zum Verhältnis des § 173 Abs. 2 AO 1977 zu § 174 Abs. 4 AO 1977 führte es insbesondere aus: Beide Änderungsvorschriften seien voneinander unabhängig. § 173 AO 1977 beruhe auf nachträglichem Bekanntwerden von Tatsachen oder Beweismitteln. § 174 AO 1977 solle widerstreitende Steuerfestsetzungen vermeiden. Durch eine Änderung nach § 174 Abs. 4 AO 1977 könne somit § 173 Abs. 2 AO 1977 nicht unterlaufen werden.

Das FG ließ die Revision nicht zu mit der Begründung, der vorliegende Fall sei aufgrund seiner Besonderheit nicht geeignet, eine generelle Entscheidung des Verhältnisses der beiden Änderungsvorschriften herbeizuführen. Deshalb fehle die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

Der Kläger hat die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten. Er macht geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Die vom FG verneinte Frage, ob die Vorschrift des § 173 Abs. 2 AO 1977 die Änderung eines Bescheids nach § 174 Abs. 4 AO 1977 ausschließe, bedürfe einer Klärung durch den BFH. Denn bisher habe aufgrund des § 173 Abs. 2 AO 1977 der ,,eherne Grundsatz" gegolten, daß aufgrund einer Außenprüfung ergangene Steuerbescheide - abgesehen von Fällen der Steuerverkürzung - ausnahmslos nicht mehr geändert werden könnten. Nach dem Sinn und Zweck des § 173 Abs. 2 AO 1977 könne es keinen Unterschied machen, ob bei einem aufgrund einer Außenprüfung ergangenen Bescheid die seine Unrichtigkeit begründenden Tatsachen nachträglich ,,schlicht" i. S. des § 173 Abs. 1 AO 1977 oder im Rahmen eines anderen Steuerfestsetzungsverfahrens bekannt würden. Nach dem verfassungsrechtlichen Gebot, gleiche Sachverhalte auch hinsichtlich der Rechtsfolge gleich zu regeln, müsse § 173 Abs. 2 AO 1977 - entgegen der Auffassung des FG - verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, daß er für alle Fälle des § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gelte, also auch für neue Erkenntnisse i. S. des § 174 Abs. 4 AO 1977. Überdies sei fraglich, ob eine irrige rechtliche Beurteilung eines aufgrund Außenprüfung festgestellten Sachverhalts geändert werden dürfe, nachdem § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 in einem solchen Fall nur neue Tatsachen oder Beweismittel gelten lasse. Bei dieser Auslegung gehe zwar unter Umständen ein bestehender Steueranspruch unter. Dem entspreche es aber - systemkonform -, daß sich die Finanzverwaltung auf die Bestandskraft einer Steuerfestsetzung auch dann berufen könne, wenn diese erkennbar unbegründet sei.

Entgegen der Auffassung des FG beruhe sein Urteil auch auf der Entscheidung dieser Rechtsfrage und nicht auf den Besonderheiten des Falles. Das zeige die breit angelegte Begründung dazu, daß § 173 Abs. 2 bei § 174 Abs. 4 AO 1977 nicht gelte.

Das FA hält die Nichtzulassungsbeschwerde für unzulässig, weil nicht ausgeführt sei, aus welchen Gründen im Interesse der Allgemeinheit die Entscheidung des BFH erforderlich sein solle. Jedenfalls sei die Beschwerde aber unbegründet, weil schon nach dem Gesetzeswortlaut die Vorschrift des § 173 Abs. 2 AO 1977 nur auf Änderungen nach § 173 Abs. 1 AO 1977 bezogen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unzulässig. Der Kläger hat zwar nach Wiederholung des festgestellten Sachverhalts eingehend dargestellt, warum das FG seiner Ansicht nach die einschlägigen Vorschriften rechtsfehlerhaft angewendet hat. Er hat aber nicht dargelegt, worin die - über den Einzelfall hinausgehende - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache bestehe.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, deren Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Es muß sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln (vgl. BFH-Beschluß vom 27. Juni 1985 I B 23/85, BFHE 144, 133, BStBl II 1985, 605 m. w. N.).

Das Interesse der Allgemeinheit an der Entscheidung der beschriebenen Rechtsfrage im Revisionsverfahren ist i. S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht schon mit dem Hinweis dargelegt, die Rechtsfrage sei noch nicht vom BFH entschieden und andere gleichgelagerte Fälle seien beim BFH anhängig (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 27. 6. 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625). Erforderlich ist die Darlegung, daß und aus welchen Gründen die Frage in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten ist. Nach der Darstellung des Klägers handelt es sich aber bei dem Urteil des FG um den Verstoß gegen einen bislang geltenden ,,ehernen Grundsatz" aus § 173 Abs. 2 AO 1977. Damit wird nur dargelegt, daß das FG gegen feste und unbestrittene Rechtsgrundsätze verstoßen habe, also sein Urteil falsch sei. Mit diesem Vortrag wird aber nur das individuelle Interesse des Klägers daran, nach dem von ihm hervorgehobenen Grundsatz behandelt zu werden, dargelegt. Der genannte Rechtsgrundsatz wird aber nicht als umstritten und damit klärungsbedürftig vorgetragen. Für eine Zulassung der Revision wegen Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) fehlt es schon am Vortrag einer Entscheidung des BFH, von dem das FG-Urteil abweiche.

Einen Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) hat der Kläger ebenfalls nicht geltend gemacht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414983

BFH/NV 1987, 384

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