Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtliches Gehör im Befangenheitsverfahren

 

Leitsatz (NV)

Werden Befangenheitsgründe gegen einen Richter vorgebracht und äußert sich dieser dienstlich zu dem Vorbringen, so hat das FG die dienstliche Äußerung zumindest dann den Beteiligten zur Stellungnahme mitzuteilen, wenn es die Äußerung in seiner Entscheidung verwerten möchte.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO §§ 42, 44 Abs. 3; GG Art. 103 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) übersandte dem Finanzgericht (FG) die Abschrift eines geänderten Einkommensteuerbescheides vom 7. April 1993 nebst Anschreiben vom 1. April 1993. Das FG übermittelte den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) eine Abschrift des FA-Anschreibens mit dem Zusatz Stellen Sie den Antrag nach § 68 Satz 1 FGO? Auf die Frist des § 68 Satz 2 FGO wird hingewiesen. Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger gibt an, am 5. April 1993 den Vorsitzenden Richter am FG (VRiFG) X, der die FG-Verfügung unterschrieben habe, angerufen und ihn gefragt zu haben, ob die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids auf die Frist des § 68 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hinweise; VRiFG X habe dies bejaht, obwohl der erst am 8. April 1993 zugegangene Änderungsbescheid keinen entsprechenden Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung enthalten habe; dies begründe die Besorgnis der Befangenheit des VRiFG X.

VRiFG X äußerte sich dienstlich am 18. Mai 1993. Die dienstliche Äußerung wurde den Beteiligten nicht bekannt gegeben. Das FG wies den Antrag der Kläger, VRiFG X von der weiteren Mitwirkung am Verfahren auszuschließen, mit Beschluß vom 24. Mai 1993 ab. In dem Beschluß ist u.a. dargelegt: Auch die angeblich telefonisch gegebene Auskunft, woran sich der Vorsitzende im einzelnen nicht mehr erinnern kann, nämlich daß die Rechtsbehelfsbelehrung den Hinweis auf die Frist des § 68 Satz 2 FGO enthalte, war ebenfalls von dem Bestreben getragen, die Kläger vor prozessualen Nachteilen zu bewahren.

Mit der Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, wiederholen die Kläger ihr bisheriges Vorbringen und machen zusätzlich geltend: Der o.a. Satz des angegriffenen Beschlusses lasse erkennen, daß der VRiFG X eine dienstliche Äußerung abgegeben habe; diese Äußerung hätte ihnen zuvor zur Stellungnahme zugeleitet werden müssen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Für die Ablehnung von Gerichtspersonen gelten im finanzgerichtlichen Prozeß die §§ 41 bis 49 der Zivilprozeßordnung (ZPO) sinngemäß (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO). Gemäß § 42 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Es kann offenbleiben, ob das Vorbringen der Kläger eine solche Besorgnis gegenüber dem VRiFG X begründet. Die Vorentscheidung ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Das FG hätte die dienstliche Äußerung des VRiFG X (§ 44 Abs. 3 ZPO) den Beteiligten bekannt geben und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen.

Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) gebietet, dienstliche Äußerungen eines Richters zu einem Ablehnungsgesuch den Beteiligten jedenfalls dann bekannt zu geben, wenn Tatsachen und Beweisergebnisse aus den dienstlichen Äußerungen verwertet werden sollen (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 25. Juni 1968 2 BvR 599, 677/67, BVerfGE 24, 56; Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 31. Mai 1972 II B 34/71, BFHE 105, 337, BStBl II 1972, 576; vom 11. März 1986 VII B 54/85, BFH/NV 1986, 543; vom 12. Juli 1991 III B 151/87, BFH/NV 1992, 122; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 51 Anm. 52; zur Bedeutung des rechtlichen Gehörs in Ablehnungsfällen vgl. auch BVerfG-Beschluß vom 8. Juni 1993 1 BvR 878/90, Neue Juristische Wochenschrift 1993, 2229). Dieser Fall ist hier gegeben. Die Kläger stützen ihr Ablehnungsgesuch auf eine ihrem Prozeßbevollmächtigten angeblich telefonisch von VRiFG X erteilte Auskunft, die Rechtsbehelfsbelehrung enthalte einen Hinweis auf § 68 Sätze 2 und 3 FGO. Hierzu hat sich VRiFG X schriftlich geäußert (FG-Akte Bl.62). Das FG bezieht sich erkennbar auf die Passage in der schriftlichen Äußerung, er, der VRiFG X, könne sich nicht mehr erinnern, daß der Prozeßbevollmächtigte ihn gefragt habe, ob der Hinweis auf die Monatsfrist in der Rechtsbehelfsbelehrung enthalten sei.

Die Sache wird an das FG zurückverwiesen. Die Verletzung des Anspruchs der Kläger auf rechtliches Gehör kann nicht in der Beschwerdeinstanz geheilt werden (hierzu BFH-Beschluß vom 29. September 1976 I B 113/75, BFHE 120, 134, BStBl II 1977, 83). Die Kläger müssen die Möglichkeit erhalten, nach Kenntnisnahme der dienstlichen Äußerung des VRiFG X ihr Ablehnungsgesuch zu überdenken.

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 190

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