Entscheidungsstichwort (Thema)

Darlegung grundsätzlicher Bedeutung einer Rechtssache

 

Leitsatz (NV)

1. ,,Rechtssache" i.S. des § 115 Abs. 2 Nr.1 FGO meint den konkreten Streitfall. In nicht offenkundig liegenden Fällen muß auch dargelegt werden, ob und inwiefern eine aufgeworfene Grundsatzfrage die anzufechtende FG-Entscheidung beeinflußt hat.

2. Danach genügt es nicht, darauf hinzuweisen, daß das FG die Befugnis des § 159 AO 1977 in Anspruch genommen hat, obwohl diese Vorschrift in § 96 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz FGO nicht genannt ist. Es muß auch darauf eingegangen werden, ob das Benennungsverlangen eine Rechtsgrundlage in anderen Vorschriften der FGO findet.

 

Normenkette

FGO § 96 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 3; AO 1977 § 159

 

Gründe

Soweit gerügt wird, das Finanzgericht (FG) habe die Kompetenz aus § 159 der Abgabenordnung (AO 1977) zu Unrecht in Anspruch genommen, fehlt es schon an der Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr.1, Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Kläger haben zwar dargetan, daß § 159 AO 1977 in § 96 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz FGO - im Gegensatz zu der vergleichbaren Vorschrift des § 160 AO 1977 - nicht für sinngemäß anwendbar erklärt worden ist. Hieraus könnte in der Tat ein allgemeines Interesse an der Klärung der Frage hergeleitet werden, ob die FG befugt sind, bei ihrer Überzeugungsbildung (§ 96 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz FGO) Treuhandvermögen unter den Voraussetzungen des § 159 AO 1977 dem Treuhänder zuzurechnen.

Mit diesen Ausführungen ist indessen noch nicht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt. ,,Rechtssache" meint den konkreten Streitfall. Dies bedeutet, daß das anzufechtende FG-Urteil auf der aufgeworfenen Grundsatzfrage beruht, diese also nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß die Entscheidungsfolge des Urteils wegfiele (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 2. Mai 1974 IV B 3/74, BFHE 112, 337, BStBl II 1974, 524, für den Fall eines doppelt begründeten FG-Urteils; BFH-Beschluß vom 9. April 1990 III B 109/88, BFH/NV 1990, 790, für eine in der Beschwerdeschrift nicht erörterte Vorfrage; ferner BFH-Beschluß vom 17. Juni 1992 V B 99/89, nicht veröffentlicht). Für die Darlegungspflicht i.S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO folgt hieraus, daß abgesehen von offenkundig liegenden Fällen (BFH-Beschluß vom 9. Mai 1988 IV B 35/87, BFHE 153, 378, BStBl II 1988, 725) auch dargelegt werden muß, ob und inwiefern die herausgestellte Grundsatzfrage - wäre sie anders entschieden worden - die anzufechtende Entscheidung beeinflußt.

Für solche zusätzlichen Darlegungen bestand im Streitfall Anlaß. Die Kläger haben nicht vorgetragen, welche Rechtsfolge nach ihrer Ansicht eintreten solle, wenn § 159 AO 1977 im finanzgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar wäre. Sollten die Kläger in Erwägung ziehen, daß das FG den Streitfall an das Finanzamt (FA) zurückgeben müßte, damit dieses nach § 159 AO 1977 vorgehe, hätten sie sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie eine derart komplizierte Handhabung zu rechtfertigen wäre.

Unabhängig davon sind im Rahmen des § 159 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 einerseits das Benennungsverlangen und die Nachweiserbringung des Steuerpflichtigen und andererseits die Zurechnung der betroffenen Rechte und Sachen zu unterscheiden. Nur die Zurechnungsentscheidung gehört dem Entscheidungsprogramm des FG gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO an. Hingegen sind das Benennungsverlangen und die Nachweiserbringung dem Ermittlungsprogramm des FG zuzuordnen (zu den Begriffen Entscheidungs- und Ermittlungsprogramm und zur Stellung des § 159 AO 1977 innerhalb der Programme vgl. Martin, Betriebs-Berater 1986, 1021, 1027, 1029). Die Ermittlungstätigkeit des FG richtet sich nach den §§ 76 bis 87 FGO.

Hiernach war auch eine Auseinandersetzung dazu geboten, ob das Benennungsverlangen des FG vom 11.März 1991 eine Rechtsgrundlage in § 76 Abs. 1 Satz 3 FGO finden konnte, der den Beteiligten auferlegt, sich auf Anforderung des FG zu erklären. Das Verlangen, sämtliche Mitglieder der im Treuhandvertrag als Treugeber bezeichneten Sponsorengruppen mit Namen und genauer Anschrift zu bezeichnen, ließe sich im Streitfall möglicherweise auch auf § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO 1977 stützen, da laut Treuhandvertrag die Sponsorengruppen ihren Sitz im Ausland hatten. Zumindest war diese nicht ganz fernliegende Möglichkeit in der Beschwerdebegründung anzusprechen. Sollte nämlich die Aufklärungsanordnung Bestand haben oder die in ihr ausgesprochene Bezugnahme auf § 159 AO 1977 zwar rechtsfehlerhaft, aber heilbar sein, hätte dies die Entscheidungslage des FG nach § 96 FGO beeinflussen können. Das FG hätte möglicherweise schon im Rahmen freier Überzeugungsbildung nach § 96 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz FGO zu dem gefundenen Ergebnis kommen können, ohne auf die Rechtsfolgenanordnung des § 159 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 zurückgreifen zu müssen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1993, 374

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