Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit

 

Leitsatz (NV)

Ein Befangenheitsgrund kann nicht allein darin gesehen werden, daß der Vorsitzende bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung seine Zweifel an den von den Beteiligten vorgetragenen Tatsachen zum Ausdruck bringt.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42

 

Tatbestand

Die Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) bezog in den Streitjahren Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Daneben betrieb sie vom 1. April 1984 bis zum 30. Juni 1986 eine gewerbliche Zwischenvermietung.

Mit Schreiben vom 8. August 1988 ordnete der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) bei der Klägerin eine Außenprüfung wegen Einkommensteuer und Umsatzsteuer 1984 bis 1986 an. Die Prüfungsanordnung enthielt nur den Hinweis auf § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Auf Anweisung der Oberfinanzdirektion (OFD) begründete das FA die Prüfungsanordnung nachträglich.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Prüfungsanordnung war erfolglos. In der Beschwerdeentscheidung führte die OFD aus: Die Klägerin habe nach eigenen Angaben insgesamt 38 Wohnungen an- und weitervermietet. Für die Entscheidung, ob die Klägerin steuerrechtlich als Zwischenvermieterin zu beurteilen sei, müßten sämtliche Mietverträge, der Zahlungsverkehr und der sonstige Schriftwechsel gesichtet werden. Auch seien Feststellungen zu der erklärten Betriebsaufgabe zum 30. Juni 1986 zu treffen. Im Hinblick auf die Vielzahl der Objekte scheide wegen des Umfangs der zu prüfenden Unterlagen und der gebotenen zügigen Abwicklung eine Prüfung an Amtsstelle aus verwaltungsökonomischen Gründen aus.

Mit der Klage gegen die Prüfungsanordnung machte die Klägerin geltend, die Prüfungsanordnung sei rechtswidrig. Der Außenprüfer habe anläßlich der Außenprüfung bei dem Steuerpflichtigen X erklärt, er müsse auch bei der Klägerin eine Außenprüfung durchführen, um die steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen X vollständig aufklären zu können. Es sei ermessensfehlerhaft, bei ihr eine Außenprüfung anzuordnen, um die Rechtsverhältnisse eines Dritten auszuforschen. Die vertraglichen Unterlagen über die Zwischenmietverhältnisse (Mietverträge) könnten jederzeit vorgelegt werden. Anläßlich der Außenprüfung bei den anderen Bauträgern, für die die Klägerin tätig geworden sei, seien die einschlägigen Mietverträge bereits überprüft und steuerlich für unbedenklich erachtet worden. Eine Außenprüfung bei ihr sei daher nicht notwendig. Sie sei es auch nicht im Hinblick auf die Betriebsbeendigung. Das FA hätte hierzu zunächst eine Steuererklärung anfordern müssen und hätte dann Gelegenheit gehabt, diese Angelegenheit am Amtsstelle zu klären. Bei der geringen Zwischenvermietertätigkeit habe gar kein so hoher Aufgabegewinn erzielt werden können, daß dies die Anordnung einer Außenprüfung rechtfertige.

Das FA führte im finanzgerichtlichen Verfahren aus: Anläßlich der Außenprüfung bei X hätten sich Zweifelsfragen hinsichtlich des Zwischenmietverhältnisses ergeben, an dem X als Bauträger und die Klägerin als Zwischenvermieterin beteiligt gewesen seien. Hierbei seien auch Zweifel an der tatsächlichen Durchführung des Zwischenmietverhältnisses aufgekommen. Daß diese Zweifel im Rahmen der Prüfung des X aufgetreten seien, mache die Außenprüfung gegenüber der Klägerin nicht unzulässig oder ermessensfehlerhaft; denn die angeordnete Außenprüfung diene ausschließlich dazu, die steuerlichen Verhältnisse der Klägerin zu untersuchen. Wenn sich die Prüfung auch auf andere Steuerpflichtige (z.B. X) auswirke, liege dies in der Natur der Sache, weil beide Steuerpflichtige an dem umstrittenen Rechtsverhältnis beteiligt seien. Im übrigen sei die Zwischenvermietung von 38 Wohn- und Gewerberäumen nicht so geringfügig, daß aus diesem Grunde eine Außenprüfung ausgeschlossen sei.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) lehnte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin den Vorsitzenden wegen Befangenheit ab, weil er der Klägerin unterstellt habe, sie sei lediglich ,,Strohmann und Treuhänder" gewesen.

In seiner dienstlichen Äußerung zu dem Befangenheitsantrag erklärte der Vorsitzende, er halte sich in der Streitsache nicht für befangen. Er habe der Klägerin in keiner Weise unterstellt, daß sie bei den von ihr verwalteten Zwischenmietverhältnissen nur ,,Strohmann" oder ,,Treuhänderin" gewesen sei. Diese beiden Rechtsfiguren seien von ihm überhaupt nicht in die Diskussion eingeführt worden. Vielmehr habe er dem Prozeßbevollmächtigten vorgehalten, daß die Klägerin bisher keinen der Zwischenmietverträge vorgelegt habe. Der Prozeßbevollmächtigte habe daraufhin erklärt, aus den Berichten über die Außenprüfungen bei anderen Bauträgern ergebe sich, daß das FA die Verträge gekannt haben müsse. Um darauf hinzuweisen, daß dies nicht alle Zwischenmietverträge der Klägerin gewesen sein könnten, habe er zu dem Prozeßbevollmächtigten etwa folgendes gesagt:

,,Herr Dr. Z, Sie wissen doch aus Ihrer Erfahrung heraus, wie das in der Praxis gewöhnlich gemacht wird: Der Bauträger erstellt die Verträge und die Arzthelferin unterschreibt sie dann."

Dieser Äußerung sei der Vortrag des Prozeßbevollmächtigten vorausgegangen, daß die Klägerin ,,keinen (eigentlichen? gewöhnlichen?) Gewerbebetrieb" unterhalten habe. Vielmehr sei sie von Beruf Arzthelferin und habe diesen Beruf auch in den Streitjahren ausgeübt. Die Zwischenvermietung habe sie gewissermaßen nur als Nebenbeschäftigung betrieben. Sie habe kein Büro und auch keine üblichen Gewerberäume unterhalten. Eine Außenprüfung in der Privatwohnung der Klägerin sei unzumutbar und verstoße gegen das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung.

Das FG wies den Ablehnungsantrag durch Beschluß als unbegründet zurück.

Mit der Beschwerde trägt der Prozeßbevollmächtigte in Vertretung der Klägerin vor: Der Vorsitzende habe in der dienstlichen Stellungnahme seine Äußerung nicht zutreffend wiedergegeben. Er habe bei der Erörterung des Sachverhalts in bezug auf die Klägerin und ihre Rechtsstellung als gewerbliche Zwischenvermieterin erklärt: ,,Wir wissen, wie das so geht, da wird ein Vertrag vorgelegt und dann einfach unterschrieben, was der Bauherr will." Dies sei eine klare und eindeutige Meinungsäußerung des FG zu dem Streitfall. Damit habe sich der Vorsitzende die Auffassung der Finanzverwaltung zu eigen gemacht, daß die Klägerin nur als ,,Strohmann" und ,,Treuhänderin" für X gehandelt habe. Zu einer derartigen Auffassung habe das FG jedoch nur nach einer Beweisaufnahme und ausführlicher Tatsachenfeststellung gelangen können. Wenn der Vorsitzende dies jedoch ohne Beweisaufnahme aufgrund seiner Erfahrung unterstelle, nur weil die Klägerin Arzthelferin von Beruf sei, bedeute dies eine Voreingenommenheit und die Vorwegnahme einer notwendigen Sachaufklärung. Streitig sei ein tatsächlicher Vorgang gewesen, nämlich, ob dem FA die Zwischenmietverträge aus der Prüfung der Bauherrenmodelle bei den einzelnen Bauherren hätten bekannt sein müssen. Dies habe der Vorsitzende bezweifelt. Mit der umstrittenen Äußerung habe er den ,,Boden der Neutralität" verlassen, weil er einen Sachverhalt unterstellt habe, der bestritten und keinesfalls bewiesen sei. Der Vorsitzende habe seine Äußerung eindeutig auf den Streitfall bezogen und nicht als hypothetischen Sachverhaltsverlauf verstanden, wie es der Beschlußsenat auszulegen versuche. Dies begründe den Verdacht, daß der Vorsitzende nicht mehr in der Lage sei, den Rechtsstreit mit der nötigen Unparteilichkeit zu entscheiden.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Zu Recht hat das FG den Ablehnungsantrag der Klägerin zurückgewiesen.

Nach § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) können die Beteiligten einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Es müssen Anhaltspunkte für eine unsachliche Einstellung oder Willkür des Richters vorliegen (z.B. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. Mai 1991 IV B 48/90, BFH/NV 1992, 395 m.w.N. zur Rechtsprechung).

Derartige Anhaltspunkte sind im Streitfall nicht erkennbar. Die von der Klägerin beanstandete Äußerung des Vorsitzenden ist kein Grund für die Annahme einer Befangenheit und zwar unabhängig davon, ob die vom Vorsitzenden behauptete oder die von der Klägerin vorgetragene Version zutrifft. Nach § 93 Abs. 1 FGO hat der Vorsitzende die Streitsache mit den Beteiligten tatsächlich und rechtlich zu erörtern. Da sich der die Verhandlung führende Vorsitzende vor der mündlichen Verhandlung bereits aufgrund der vorliegenden Akten mit dem Streitfall befaßt hat, wird er sich im Regelfall eine - wenn auch nur vorläufige - Meinung dazu gebildet haben. Hat der Vorsitzende Zweifel an den vorgetragenen Tatsachen, ist es nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten, diese Zweifel zu äußern. Die Beteiligten erhalten dadurch Gelegenheit, durch ergänzendes Vorbringen das Gericht von der gegenteiligen Meinung zu überzeugen. Das gilt insbesondere, wenn - wie im Streitfall - ein Sachverhalt zu beurteilen ist, der bekanntermaßen in anderen Fällen zu mißbräuchlichen Rechtsgestaltungen geführt hat. Hält der Vorsitzende den Beteiligten derartige gerichtsbekannte Erfahrungen vor, kann daraus nicht auf Voreingenommenheit oder Willkür geschlossen werden. Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, ist der beanstandeten Äußerung des Vorsitzenden weder eine abwertende Einstellung der Klägerin gegenüber zu entnehmen, noch kommt in ihr eine vorgefaßte Meinung zum Ausdruck, die eine unsachliche Beurteilung der Sache befürchten ließe. Es liegt kein Grund für die Annahme der Klägerin vor, das Gericht werde sie nicht anhören und ihr Vorbringen nicht in ausreichender Weise würdigen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418573

BFH/NV 1993, 110

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