Leitsatz

Die Einführung des besonderen Kirchgelds für Kirchenmitglieder, die in glaubensverschiedener Ehe leben, zum 1.1.2001 nach dem KiStG NRW, den einschlägigen KiSt-Ordnungen und dem KiSt-Beschluss 2001 verstößt nicht gegen Verfassungsrecht.

 

Normenkette

Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3 und 6 WRV, § 4 Abs. 1 Nr. 5 KiStG NW

 

Sachverhalt

Die Klägerin war im Streitjahr 2001 Mitglied der evangelischen Kirche; ihr Ehemann gehörte keiner Kirche an. Die Eheleute leben im Güterstand der Gütertrennung. Sie wurden zusammen zur ESt veranlagt. Das Familieneinkommen wurde allein von dem Ehemann erwirtschaftet, während die Klägerin selbst keine steuerpflichtigen Einkünfte erzielte. Auf der Grundlage eines zu versteuernden Einkommens der Eheleute von 80.879 DM und unter Berücksichtigung eines Freibetrags für ein Kind i.H.v. 9.936 DM wurde gegen die Klägerin evangelische KiSt in Form des besonderen Kirchgelds i.H.v. 180 DM festgesetzt.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg (EFG 2004, 1547).

 

Entscheidung

Der BFH hielt die vorgebrachten Verfassungseinwendungen für nicht durchschlagend. Einzelnes ergibt sich aus den Praxis-Hinweisen.

 

Hinweis

Den BFH beschäftigen derzeit – Zeichen wirtschaftlicher Engpässe (?) – verstärkt Fragen der KiSt, siehe in diesem Heft, Seite 110.

1. Konkret ging es um das von verschiedenen Landeskirchen beider großer Konfessionen erhobene sog. Kirchgeld. Es soll die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ("Lebensführungsaufwand") ddesjenigen Kirchenmitglieds besteuern, der zwar keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, jedoch infolge seiner ehelichen Gemeinschaft mit dem verdienenden, jedoch seinerseits nicht kirchenangehörigen Ehegatten in "geordneten" Verhältnissen leben kann.

2. Der BFH hat gegenüber dieser steuerlichen "Absaugung" der Leistungsfähigkeit keine verfassungsrechtlichen Einwendungen.

Er hält die Erhebung des Kirchgelds als eine eigenständige Steuer für zulässig. Sie sei geeignet, aber auch verhältniswahrend, solange das Kirchgeld an die steuerliche Zusammenveranlagung geknüpft und ihrer Höhe nach berücksichtige, dass nicht das gesamte Einkommen beider Ehegatten zugrunde gelegt werde. Eine gewisse Typisierung sei dabei hinzunehmen.

Der BFH hat auch keine Einwendungen, was die Religionsfreiheit des konfessionslosen Ehegatten anbelangt.

Er sieht schließlich kein strukturelles Vollzugsdefizit darin, dass das Kirchgeld nicht zu einer flächendeckenden Erfassung aller KiSt-Pflichtigen führe, die in glaubensverschiedener Ehe lebten. Der BFH betont in diesem Zusammenhang die "lückenschließende" Wirkung des Kirchgelds im System der KiSt, um auf diese Weise für mehr Finanzierungsgerechtigkeit zu sorgen. Der Gestaltungsspielraum der Religionsgemeinschaften sei in Anbetracht dessen weit.

3. Die konkret in Rede stehende Kirchgeldregelung in NRW verstößt nach Ansicht des BFH nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.

Der I. Senat des BFH deutet hier eine gewisse Distanzierung zu dem Verfassungsverständnis des IX. Senats an, der bekanntlich nicht nur für den Bereich der Leistungsverwaltung, sondern auch für das Steuerrecht als Eingriffsrecht einen dispositionsbezogenen Rückwirkungsbegriff vertritt und dazu ein Normenkontrollverfahren beim BVerfG eingeleitet hat (Beschluss vom 16.12.2003, IX R 46/02, BFH-PR 2004, 180, Az. des BVerfG 2 BvL 2/04; s. abgrenzend aber auch BFH, Beschluss vom 3.2.2005, I B 208/04, BFH-PR 2005, 174).

Davon abgesehen stellt der BFH indes klar: Der Eintritt oder der Austritt aus einer Kirche sei jedenfalls keine wirtschaftliche Disposition!

4. Es ist zu erwarten, dass die entschiedenen Rechtsfragen qua Verfassungsbeschwerde an das BVerfG herangetragen werden. Insofern sollten einschlägige Bescheide offen gehalten werden.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 19.10.2005, I R 76/04

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge