Leitsatz

1. Die durch das UntStFG geschaffenen gesetzlichen Regelungen zur sog. Mehrmütterorganschaft sind verfassungsgemäß. Sie verstoßen nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Rückwirkungsverbot.

2. Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen über das Ruhen von Verfahren kraft Gesetzes in § 363 Abs. 2 Satz 2 AO begründen keinen einfachgesetzlichen Vertrauensschutz, der einer rückwirkenden Anwendung des § 2 Abs. 2 Satz 3, § 36 Abs. 2 Satz 2 GewStG 1999 i.V.m. § 14 Abs. 2 KStG 1999 (jeweils i.d.F. des UntStFG) entgegenstünde.

3. Auch im Fall der Beendigung einer sog. Mehrmütterorganschaft gilt, dass Verluste der Organgesellschaft, die während der Dauer der Organschaft entstanden sind, nur von dem maßgebenden Gewerbeertrag der Organträger-GbR abgesetzt werden können. Eine anteilige Berücksichtigung bei einem an der GbR – vormals – beteiligten Unternehmen kommt mangels Unternehmensidentität (§ 10a GewStG 1984/1999) selbst dann nicht in Betracht, wenn dieses Unternehmen den Betrieb der Organgesellschaft fortführt (Bestätigung des BMF-Schreibens vom 26.8.2003, BStBl I 2003, 437, Tz. 20).

 

Normenkette

Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 3 GG, § 2 Abs. 2 Satz 3, § 10a Satz 1, § 36 Abs. 2 Satz 2 GewStG 1999 i.d.F. des UntStFG, § 14 Abs. 2 KStG 1999 i.d.F. des UntStFG, § 363 Abs. 2 Sätze 2 und 4, § 207 Abs. 1 AO

 

Sachverhalt

Die Beteiligten stritten darüber, ob die Klägerin, eine AG, im Streitjahr 1987 gem. § 10a GewStG 1984 anteilige Verluste in Abzug bringen kann, die im Rahmen zweier zwischenzeitlich beendeter sog. Mehrmütterorganschaften aufgelaufen waren.

Das FA lehnte die Berücksichtigung der von der Klägerin in beiden Fällen geltend gemachten Verlustvorträge der jeweiligen früheren Organträger-GbR unter Hinweis auf Abschn. 17 Abs. 6 GewStR 1984 ab.

Auf die Revision der Klägerin hin wurde das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (BFH, Urteil vom 9.6.1999, I R 43/97, BStBl II 2000, 695). Der BFH vertrat hierbei in Abweichung von Abschn. 17 Abs. 6 GewStR 1984, Abschn. 14 Abs. 6 GewStR 1998 und unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung die Auffassung, dass bei einer sog. Mehrmütterorganschaft die Beteiligungen der lediglich zur einheitlichen Willensbildung in einer GbR zusammengeschlossenen Gesellschaften an der nachgeschalteten Organgesellschaft unmittelbar den Muttergesellschaften zuzurechnen seien (sog. Lehre von der mehrfachen Abhängigkeit).

Die Organschaft bestehe zu den Muttergesellschaften und nicht zu der jeweiligen BGB-Gesellschaft.

Die den Muttergesellschaften anteilig zuzurechnenden Gewerbeerträge und Gewerbekapitalien seien in entsprechender Anwendung von § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO einheitlich und gesondert festzustellen (ebenso BFH, Urteil vom 9.6.1999, I R 37/98, BFH/NV 2000, 347).

Im 2. Rechtsgang setzte das FG das Verfahren gem. § 74 FGO aus, um der Finanzbehörde die einheitliche und gesonderte Feststellung der in den Organgesellschaften aufgelaufenen Gewerbeverluste zu ermöglichen.

Mit Schreiben vom 4.12.2000 (BStBl I 2000, 1571) ordnete das BMF an, dass die Grundsätze der zitierten Senatsurteile in BStBl II 2000, 695 und in BFH/NV 2000, 347 "bis auf weiteres nicht allgemein anzuwenden" seien. Im Hinblick auf eine mögliche gesetzliche Regelung seien vergleichbare Fälle offen zu halten. Veranlagungen bzw. Steuerfestsetzungen und gesonderte Feststellungen seien auf der Grundlage der bisherigen Verwaltungsauffassung (Abschn. 52 Abs. 6 KStR 1995, Abschn. 14 Abs. 6 GewStR 1998) unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) durchzuführen.

Zur Begründung wurde da?rauf verwiesen, dass die Regelungen über die steuerliche Organschaft aufgrund eines Auftrags des Deutschen Bundestags an die Bundesregierung insgesamt überprüft würden. Es sei zu erwarten, dass eine gesetzliche Regelung erfolge, die eventuell auch die Vergangenheit mit einbeziehe.

Nachdem durch UntStFG vom 20.12.2001 (BStBl I 2002, 35) sowohl § 14 Abs. 2 Satz 1 KStG 1999 als auch § 2 Abs. 2 Satz 3 GewStG 1999 im Sinn der bisherigen Verwaltungspraxis geändert worden waren – und zwar gem. § 34 Abs. 6 Nr. 1 KStG 1999 sowie gem. § 36 Abs. 2 Satz 2 GewStG 1999 rückwirkend –, nahm das FG das Verfahren wieder auf und gab der Klage entgegen dem BMF-Schreiben vom 26.8.2003 (BStBl I 2003, 437, Tz. 20) statt.

Die rückwirkenden Regelungen in § 14 KStG 1999 und § 2 GewStG 1999 stünden einem Übergang von gewerbesteuerlichen Verlusten auf den verbleibenden Gesellschafter nach Beendigung einer Mehrmütterorganschaft durch Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters aus der Willensbildungs-GbR nicht entgegen, wenn im Übrigen – wie im Streitfall – die gesetzlichen Vo?raussetzungen des § 10a GewStG 1984/1999 (Unternehmensidentität und Unternehmeridentität) erfüllt seien (EFG 2004, 412).

 

Entscheidung

Das FA legte Revision ein und hatte Erfolg. Alles Weitere ist bekannt und den obigen Praxis-Hinweisen bzw. jenen in BFH-PR 2006, 240 zum BFH-Beschluss vom 22.2.2006...

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