Leitsatz

Aufwendungen für eine Umschulungsmaßnahme, die die Grundlage dafür bildet, von einer Berufs- oder Erwerbsart zu einer anderen überzuwechseln, können vorab entstandene Werbungskosten sein (Änderung der Rechtsprechung).

 

Normenkette

§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG , § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin erlernte den Beruf einer Industriekauffrau und war bis 1977 als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Danach war sie nicht mehr berufstätig. Im Jahr 1995 nahm sie im Alter von 44 Jahren an einem Lehrgang an einer Fahrlehrerakademie, einer amtlich anerkannten Ausbildungsstätte, teil. Nach erfolgreichem Abschluss der Prüfung zur Fahrlehrerin erzielte sie zunächst Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Zwischenzeitlich unterhält sie eine eigene Fahrschule.

Das FA berücksichtigte die Kosten der Fahrlehrerausbildung i.H.v. 23.240 DM nur mit dem Höchstbetrag des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG (900 DM) als Sonderausgaben. Das FG gab der Klage statt und anerkannte die Umschulungskosten als Werbungskosten.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision des FA – unter Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung – zurück. Das FG habe die Aufwendungen für die Umschulungsmaßnahme zutreffend als (vorab entstandene) Werbungskosten berücksichtigt. Ein hinreichend konkreter Zusammenhang mit späteren Einnahmen sei gegeben.

 

Hinweis

1. Die bisherige Rechtsprechung des BFH hatte zwischen den als Werbungskosten abziehbaren Kosten einer Fortbildung in einem ausgeübten Beruf und den als Sonderausgaben nur begrenzt absetzbaren Kosten einer Ausbildung zu einem künftigen Beruf unterschieden.

Als Fortbildungskosten erkannte die Rechtsprechung nur Ausgaben an, die ein Steuerpflichtiger tätigte, um in dem ausgeübten Beruf auf dem Laufenden zu bleiben und den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden, sowie Ausgaben, die ein Steuerpflichtiger macht, um sich in dem von ihm ausgeübten Beruf fortzubilden, damit er ohne Wechsel der Berufs- oder Erwerbsart, also ohne Übergang zu einem anderen Beruf, besser vorwärtskommen konnte.

Dagegen hatte der BFH Berufsausbildungskosten (§ 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG) bereits dann angenommen, wenn die Aufwendungen dem Ziel dienten, Kenntnisse zu erwerben, die als Grundlage für einen künftigen Beruf notwendig sind oder welchen die Grundlage dafür bilden sollten, um von einer Berufs- oder Erwerbsart zu einer anderen überzuwechseln, die also einen Berufswechsel vorbereiten sollten. Derartige Aufwendungen – so die bisherige Rechtsprechung – stünden noch nicht mit einer konkreten beruflichen Tätigkeit und hieraus fließenden Einnahmen im Zusammenhang.

Nach diesen Grundsätzen wurden Kosten einer Umschulung regelmäßig nur als begrenzt absetzbare Ausbildungskosten berücksichtigt.

2. In der vorliegenden Besprechungsentscheidung – mit der die bisherige Rechtsprechung aufgegeben wird – wird der bisherige Rechtszustand und die hiergegen erhobene Kritik nochmals ausführlich wiedergegeben. Es wird auch eingehend dargestellt, dass die überkommene Rechtsprechung letztlich auf Grundsätze des RFH zurückzuführen war, die noch von anderen Wertvorstellungen getragen wurde.

3. Der VI. Senat des BFH hat die berechtigte Kritik und die zahlreichen "Rüttelurteile" der Finanzgerichte aufgegriffen und der – von vielen erhofften – Rechtsfortbildung Platz gegeben.

Entsprechend der gesetzlichen Systematik stellt der BFH nur noch darauf ab, ob bei Bildungsmaßnahmen die Voraussetzungen von Werbungskosten (ggf. auch Betriebsausgaben), wie sie in § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG (bzw. § 4 Abs. 4 EStG) definiert sind, vorliegen. Dabei weist der BFH ausdrücklich auf das objektive Nettoprinzip hin (als Ausdruck des aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatzes der steuerlichen Leistungsfähigkeit). Was im Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit ausgegeben wird, unterliegt grundsätzlich nicht dem Steuerzugriff.

Der BFH prüft also, ob für eine Bildungs- bzw. Umschulungsmaßnahme ein beruflicher Veranlassungszusammenhang vorliegt. Dieser ist gegeben, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden (ständige Rechtsprechung). Nach Ansicht des BFH werden bei Umschulungsmaßnahmen regelmäßig – vorab entstandene – Werbungskosten vorliegen.

4. In seiner Urteilsbegründung wird vom BFH auch zutreffend und eingehend dargelegt, dass der Rechtsprechungs-Änderung die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG nicht entgegensteht. Denn Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung sind nach dem Eingangssatz des § 10 Abs. 1 EStG nur dann Sonderausgaben, "wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind" (sog. Werbungskostenvorrang).

Der BFH führt ferner ausführlich an, dass einer Anerkennung von Umschulungskosten als Werbungskosten auch die Vorschrift des § 12 Nr. 1 Sätze 1 und 2 EStG nicht entgegensteht. Umschulungskosten haben regelmäßig keinen Bezug zur privaten Lebensführung. Dies gilt insbesondere im Fall einer durch Arbeitslosigkeit bedingten Umschulung.

5. Zuzustimmen ist auch den Ausführungen de...

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