Leitsatz

1. § 18 Abs. 1 Satz 4 der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Berufsausübungsgesellschaften (DVStB) ist mit höherrangigem (Verfassungs‐)Recht vereinbar. Insbesondere gebietet der prüfungsrechtliche Grundsatz der Chancengleichheit unter besonderer Berücksichtigung des Verbots geschlechtsspezifischer Diskriminierung aus verfassungsrechtlichen Gründen kein anonymisiertes Kennzahlensystem für die Durchführung der schriftlichen Steuerberaterprüfung (Bestätigung des Senatsbeschlusses vom 08.05.2014 – VII B 41/13).

2. Das in § 29 DVStB vorgesehene Überdenkungsverfahren erfordert eine eigenständige und unabhängige Überprüfung durch die hierfür zuständigen Prüfer. Eine gemeinsam abgestimmte Überdenkung von Klausuren durch eine Prüfermehrheit ist – anders als eine "offene" Überdenkung – unzulässig. Eine Abstimmung und Beratung über die zu vergebende Note ist allenfalls im Nachgang zu einer schriftlichen Fixierung des Ergebnisses des jeweiligen Überdenkens zulässig (Anschluss an Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG – vom 09.10.2012 ‐ 6 B 39.12; BVerwG-Urteil vom 10.04.2019 – 6 C 19.18).

 

Normenkette

§ 37b, § 158 Nr. 1 Buchst. b StBerG, § 18 Abs. 1 Satz 4, § 29 DVStB, Art. 3, Art. 12 Abs. 1 GG

 

Sachverhalt

Die Klage richtet sich gegen das Nichtbestehen der Steuerberaterprüfung 2015/2016. Die Bearbeitung der schriftlichen Aufsichtsarbeiten erfolgte handschriftlich, dabei war der Name des Prüflings anzugeben und die Aufsichtsarbeit war vom Prüfling zu unterzeichnen.

Nachdem die Klägerin die Steuerberaterprüfung zweimal nicht bestanden hatte, erzielte sie in den drei Klausuren eine Gesamtnote von 4,83. Daraufhin ließ die Beklagte sie nicht zur mündlichen Prüfung zu, da die Gesamtnote der schriftlichen Arbeiten schlechter als 4,5 ausgefallen sei.

Die Klägerin hat hiergegen Klage erhoben und parallel die Durchführung eines Überdenkungsverfahrens gemäß § 29 DVStB beantragt. Das Überdenkungsverfahren hat nicht zu einer Änderung der Bewertung geführt. Dabei gaben die betreffenden Prüfer hinsichtlich einer der drei Klausuren eine gemeinsame, zwischen ihnen abgestimmte Stellungnahme zu den Einwendungen der Klägerin ab.

Das FG wies die Klage ab (FG Hamburg, Urteil vom 24.10.2018, 1 K 24/16, Haufe-Index 13876592, EFG 2020, 938). Unter Berücksichtigung der eingeschränkten gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit von Prüfungsentscheidungen sei die Bewertung der Aufsichtsarbeiten im Streitfall nicht rechtsfehlerhaft. Insbesondere sei nicht zu beanstanden, dass die Aufsichtsarbeiten – wie in § 18 Abs. 1 Satz 4 DVStB ausdrücklich ermöglicht – mit dem Namen der Prüflinge versehen worden seien. Keinen durchgreifenden Bedenken begegne es zudem, wenn sich die Prüfer im Rahmen des Überdenkungsverfahrens abstimmten oder wenn sich bei Abgabe einer Stellungnahme der Erstprüfer einer Äußerung des Zweitprüfers anschließe. Der BFH hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin die Revision zugelassen.

 

Entscheidung

Auf die Revision der Klägerin hat der BFH das Urteil des FG und den Bescheid über das Nichtbestehen der Steuerberaterprüfung aufgehoben. Die Beklagte wurde verpflichtet, die Aufsichtsarbeit "Steuern vom Einkommen und Ertrag" durch andere Prüfer neu bewerten zu lassen und unter Berücksichtigung dieser Neubewertung einen neuen Bescheid über das Ergebnis der schriftlichen Steuerberaterprüfung zu erlassen.

 

Hinweis

Mit dem vorliegenden Urteil hat der BFH weitere Klarheit in Bezug auf die rechtlichen Rahmenbedingungen der Steuerberaterprüfung geschaffen.

1. Die Entscheidung bestätigt die Rechtmäßigkeit der Möglichkeit, die schriftlichen Prüfungsarbeiten ohne Verwendung eines anonymisierten Kennzahlensystems anfertigen zu lassen.

Nach § 18 Abs. 1 Satz 4 DVStB bestimmt die zuständige Steuerberaterkammer, ob die schriftlichen Aufsichtsarbeiten mit einer anonymen Kennzahl zu versehen sind. Nur wenige Steuerberaterkammern lassen eine Prüfung in anonymer Form nicht zu (Hamburg, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, Quelle: Neufang, StB 2012, 315).

Der BFH urteilte, dass § 18 Abs. 1 Satz 4 DVStB mit Verfassungsrecht vereinbar ist (so bereits BFH, Beschluss vom 8.5.2014, VII B 41/13, BFH/NV 2014, 1237, Haufe-Index 6799067). Der Grundsatz der Chancengleichheit unter besonderer Berücksichtigung des Verbots geschlechtsspezifischer Diskriminierung gebiete kein anonymisiertes Kennzahlensystem für die Durchführung der schriftlichen Steuerberaterprüfung. Statistische Belege für die Annahme der Klägerin, dass die Verwendung des Namens in der Steuerberaterprüfung zu geschlechtsspezifischer Benachteiligung führe, seien nicht vorhanden. Der BFH hat also bereits eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung der Klägerin aufgrund des Geschlechts verneint. Für den Prüfungserfolg in der Steuerberaterprüfung sei das Geschlecht statistisch gesehen unerheblich (vgl. auch Mansmann, NWB Karriereführer 2013, 19).

2. Die Revision der Klägerin hatte insoweit Erfolg, als der BFH die gemei...

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