Leitsatz

Wird einem Steuerpflichtigen rückwirkend für ein Kind Kindergeld gewährt, kann in einem bereits bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid kein Kinderfreibetrag mehr berücksichtigt werden. Insbesondere kann die Vorlage eines Kindergeldbescheids gemäß § 175 Abs. 2 Satz 2 AO nicht als rückwirkendes Ereignis i. S. von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO angesehen werden.

 

Sachverhalt

Für die zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehegatten wurden für die Jahre 2003 und 2004 bei der Veranlagung keine Kinderfreibeträge berücksichtigt. Am 17.1.2006 beantragten die Eheleute die Änderung der Einkommensteuerbescheide 2003 und 2004 und baten um Berücksichtigung der Kinderfreibeträge. Zur Begründung legten Sie die Bescheide der Familienkasse über die rückwirkende Kindergeldfestsetzung für die Streitjahre vor. Das Finanzamt lehnte die Änderung ab, da die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht erfüllt seien. Im Klageverfahren trugen die Eheleute unter Hinweis auf R 31 Abs. 5 Satz 2 EStR vor, dass die nachträgliche Gewährung von Kindergeld ein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO darstelle, und daher die Änderung nach dieser Vorschrift erfolgen müsse.

 

Entscheidung

Nach Auffassung des FG ist die Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht möglich. Grundsätzlich ist zwar die Festsetzung und Zahlung von Kindergeld ein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO, da die Kindergeldbescheide den Tatbestand der §§ 31, 32 Abs. 6 EStG zumindest mittelbar beeinflussen und somit ein sachverhaltsänderndes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO darstellen. Die im BMF-Schreiben v. 18.11.2005 (IV C 4 - S 2282-27/05) gegen R 31 Abs. 5 EStR verstoßende - nicht näher begründete - Auffassung der Finanzverwaltung überzeugt nach Auffassung des FG demgegenüber nicht. Eine Änderung der Einkommensteuerbescheide 2003 und 2004 ist jedoch nach § 175 Abs. 2 Satz 2 ausgeschlossen, da nach Auffassung des FG die Kindergeldbescheide Schriftstücke i. S. des § 175 Absatz 2 Satz 2 AO sind, die durch eine Fiktion des Gesetzgebers nicht als rückwirkendes Ereignis gelten.

 

Hinweis

Die wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zugelassene Revision wurde inzwischen eingelegt und wird bei dem BFH unter dem Az. III R 90/07 geführt. Nach dem neuen Satz 2 von § 175 Abs. 2 AOgilt die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung nicht als rückwirkendes Ereignis. Damit wurde insbesondere der Rechtsprechung des BFH zur nachträglichen Erteilung einer Spendenbescheinigung, das er als rückwirkendes Ereignis ansah, die Grundlage entzogen. Ob die Kindergeldbescheide Bescheinigungen oder Bestätigungen im Sinne dieser Vorschrift sind ist äußert zweifelhaft und muss vom BFH entschieden werden. Sollte dies der Fall sein, wäre auch die bisher von der Finanzverwaltung praktizierte Anwendung des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO in den Fällen der Rückforderung von Kindergeld nicht zulässig gewesen.

 

Link zur Entscheidung

FG Münster, Urteil vom 11.09.2007, 14 K 5023/06 E

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