Leitsatz

1. Im Abrechnungsverfahren kann nicht geprüft werden, ob das FA die Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheids bezüglich bereits verwirkter Säumniszuschläge hätte aufheben müssen.

2. Hält das FG die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch das FA für rechtswidrig, hat es eine eigene Schätzung vorzunehmen.

 

Normenkette

§ 162, § 218 Abs. 2, § 240 Abs. 1 Satz 1 AO, § 69 Abs. 3, § 96 Abs. 1 Satz 1, § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO

 

Sachverhalt

Da ein Steuerpflichtiger keine Einkommensteuererklärung abgegeben hatte, schätzte das FA seine Einkünfte und setzte die ESt entsprechend fest. Dagegen wurde Einspruch eingelegt und AdV beantragt. Bevor das FA über diese Rechtsbehelfe abschließend entschieden hatte, reichte der Steuerpflichtige eine Einkommensteuererklärung ein. Das FA änderte daraufhin den Einkommensteuerbescheid.

Das wegen der Ablehnung von AdV noch anhängige Einspruchsverfahren sah das FA nunmehr als erledigt an. Es setzte für die Zeit zwischen Fälligkeit der ursprünglichen Einkommensteuerfestsetzung und Ergehen des Änderungsbescheids Säumniszuschläge fest. Einen Antrag auf "Aufhebung der Säumniszuschläge" lehnte das FA ab; der Einspruch dagegen blieb ohne Erfolg.

Auf die hierauf erhobene Klage gab das FG dem FA unter entsprechender Änderung des dazu ergangenen, von ihm als Abrechnungsbescheid angesehenen Bescheids auf, die Säumniszuschläge so festzusetzen, wie sie sich "bei Durchführung einer ordnungsgemäßen Schätzung ergeben hätten".

 

Entscheidung

Das FG hätte die angeblich gegen einen Abrechnungsbescheid erhobene Klage als AdV-Antrag behandeln müssen; denn nur mit einem Antrag auf (rückwirkende) Aufhebung der Vollziehung konnte der Kläger sein Ziel erreichen, für die eben bezeichnete Zeit keine Säumniszuschläge zahlen zu müssen. Das AdV-Verfahren war also entgegen der Annahme des FA nicht erledigt, soweit der Antrag sich auf Aufhebung der Vollziehung richtete.

Im Abrechnungsverfahren hingegen musste das FA Säumniszuschläge ausweisen; denn im Abrechnungsverfahren ist nur zu prüfen, ob Säumniszuschläge nach Maßgabe des Gesetzes entstanden sind, was hier der Fall war.

Der BFH hat deshalb das Urteil des FG aufgehoben und die Streitsache an das FG zurückverwiesen, damit dieses im Beschlussverfahren nach § 69 FGO über das Begehren des Klägers entscheidet.

 

Hinweis

1. In einem Abrechnungsbescheid entscheidet die Finanzbehörde über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen. Der Abrechnungsbescheid enthält demgemäß lediglich die Feststellung, ob und inwieweit der (durch Steuerbescheid festgesetzte) Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis bereits verwirklicht (= erfüllt, z.B. durch Zahlung der Aufrechnung) oder noch zu verwirklichen ist. Der Abrechnungsbescheid enthält also lediglich ein Abbild der im Zeitpunkt seines Erlasses bestehenden Anspruchsbeziehungen zwischen FA und Steuerpflichtigem.

2. Daraus folgt fast zwangsläufig, dass in einem Abrechnungsbescheid nicht darüber entschieden werden kann, ob dem Steuerpflichtigen Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zu gewähren ist oder war und ob infolgedessen tatsächlich bestehende Ansprüche nicht entstehen würden beziehungsweise entstanden wären.

3. Folglich sind im Abrechnungsbescheid (ohne eine Festsetzung kraft Gesetzes entstehende) Säumniszuschläge für nicht beglichene fällige Steuerforderungen auszuweisen, ohne Rücksicht darauf, ob der Steuerpflichtige AdV beantragt hat und hat erhalten müssen.

4. AdV beseitigt die Fälligkeit einer Steuerforderung nicht (was allerdings strittig ist). AdV schließt jedoch die Entstehung von Säumniszuschlägen aus (was nicht strittig ist, weil die Erhebung von Säumniszuschlägen nach dem zugrunde zu legenden weiteren Vollziehungsbegriff eine Vollziehung des Steuerbescheids darstellt).

5. Die Aussetzung der Vollziehung wirkt nur in die Zukunft, unabhängig davon, wann der AdV-Antrag gestellt worden ist. Ein AdV-Antrag schließt jedoch im Zweifel immer einen Antrag auf (in die Vergangenheit wirkende) Aufhebung der Vollziehung ein, wenn das Entstehen von Säumniszuschlägen insofern in Betracht kommt.

6. Beachten Sie, dass der BFH hier einen unklaren Rechtsschutzantrag ("Aufhebung der Säumniszuschläge") großzügig so auslegt, wie ihn der Steuerpflichtige beziehungsweise sein Berater hätte stellen sollen, wenn er sich über die Rechtslage (zutreffende) Gedanken gemacht hätte. Er bringt das durch die rechtsirrtümlichen Vorstellungen aller Akteure verkorkste Verfahren auf die richtige Spur, indem er es auf die Revision eines Klägers, der in Wahrheit ein Antragsteller ist, an das FG zurückverweist und diesem aufgibt, es in einem (Beschluss-)Verfahren zu behandeln.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 18.4.2006, VII R 77/04

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