Leitsatz

1. Bei einer funktionierenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft kann im Hinblick auf die Übertragung des Kinderfreibetrags nach § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Verteilung der Unterhaltsleistungen zwischen den Elternteilen für im Haushalt lebende minderjährige Kinder (in Form von Natural‐, Bar- und Betreuungsunterhalt) dem Willen des allein sorgeberechtigten Elternteils oder der gemeinsam sorgeberechtigten Elternteile entspricht.

2. Leben nicht miteinander verheiratete Eltern zusammen mit einem gemeinsamen minderjährigen Kind in einem gemeinsamen Haushalt, kann nicht allein deshalb, weil ein betreuender Elternteil keinen oder nur einen geringen Beitrag zum (gemeinsamen) Haushaltseinkommen leistet, davon ausgegangen werden, dass dieser Elternteil i.S. des § 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 1 EStG seiner Unterhaltspflicht nicht im Wesentlichen nachkommt.

3. Eine fehlende Unterhaltspflicht mangels Leistungsfähigkeit i.S. des § 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 EStG kann nicht allein daraus abgeleitet werden, dass ein Elternteil ein im gemeinsamen Haushalt lebendes minderjähriges Kind überwiegend betreut und keine oder nur geringe Beiträge zum (gemeinsamen) Haushaltseinkommen leistet.

 

Normenkette

§ 32 Abs. 6 Sätze 1 und 6 EStG, § 1606 Abs. 3 Sätze 1 und 2, § 1610, § 1612 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 1626 Abs. 1 Satz 1 BGB

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist Mutter eines 1998 geborenen Sohnes (M) und einer 2001 geborenen Tochter (L). Mit dem Vater der Kinder lebte sie in nichtehelicher Lebensgemeinschaft in einem gemeinsamen Haushalt. M befand sich in Ausbildung.

In den ESt-Bescheiden der Klägerin für 2015 bis 2017 berücksichtigte das FA nur jeweils die auf die Klägerin entfallenden Kinderfreibeträge und BEA-Freibeträge, nicht aber – wie beantragt – auch die vom Kindsvater auf sie zu übertragenden Freibeträge.

Den Einspruch der Klägerin für 2015 wies das FA ab, weil beide Kinder während des gesamten VZ minderjährig gewesen seien. Für 2016 und 2017 gab das FA dem Einspruch insoweit statt, als es ab dem Monat der Volljährigkeit des M sowohl den Kinderfreibetrag als auch den BEA-Freibetrag des Kindsvaters für M auf die Klägerin übertrug.

Die Klage auf vollständige Übertragung der auf den Kindsvater entfallenden Kinderfreibeträge und BEA-Freibeträge für beide Kinder wies das FG als unbegründet ab (FG Nürnberg, Urteil vom 8.8.2019, 3 K 504/19, Haufe-Index 14058390).

 

Entscheidung

Die Revision der Klägerin wurde vom BFH als unbegründet zurückgewiesen.

 

Hinweis

Die Übertragung von Kinderfreibeträgen und Freibeträgen für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (BEA-Freibetrag) ist unterschiedlich geregelt.

1. Der Kinderfreibetrag ist zu übertragen, wenn bei einem Elternpaar, bei dem eine Ehegattenveranlagung ausscheidet (§ 26 Abs. 1 Satz 1 EStG), ein Elternteil seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind im Wesentlichen nachkommt, während der andere seine Unterhaltspflicht im Wesentlichen nicht erfüllt oder mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist (§ 32 Abs. 6 Satz 6 EStG).

2. Die für die Übertragung maßgebliche Unterhaltspflicht bestimmt sich nach bürgerlichem Recht (§ 1610 Abs. 2 und § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB). Der das minderjährige unverheiratete Kind betreuende Elternteil erbringt seine Unterhaltsverpflichtung durch Pflege und Erziehung, der nicht betreuende Elternteil hat eine Geldrente zu gewähren (§ 1612 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Diese Regelung bezieht sich aber wohl darauf, dass die Eltern getrennt leben und das Kind von einem Elternteil allein gepflegt wird, der vom Barunterhalt freigestellt werden soll.

3. Leben unverheiratete Eltern mit ihren Kindern in einem gemeinsamen Haushalt, so erlaubt die vorstehend beschriebene Zivilrechtslage nicht die Annahme, dass der Elternteil, der keine oder nur geringe Geldbeträge zum Familienunterhalt beisteuert, seine Unterhaltspflicht verletzt.

Der BFH geht vielmehr davon aus, dass zusammenlebende unverheiratete Eltern ihre Unterhaltspflicht gegenüber ihren Kindern grundsätzlich durch Absprache oder tatsächliche Handhabung regeln. Entspricht die Verteilung der Unterhaltsaufgaben dem gemeinsamen Willen der Elternteile, schließt das eine Übertragung des Kinderfreibetrags im Regelfall aus.

Eine Übertragung kommt dann nur in Ausnahmefällen in Betracht, wenn sich ein Elternteil nicht an Unterhaltsvereinbarungen oder gerichtliche Unterhaltsregelungen gehalten hat oder wenn der Elternteil, der die Betreuung des Kindes übernehmen soll, dazu krankheitsbedingt nicht in der Lage und deshalb insoweit – entsprechend einer wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit – mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist.

4. Anzumerken ist, dass die Finanzverwaltung – wie auch hier – in der Vergangenheit den BEA-Freibetrag für volljährige Kinder übertragen hat, obwohl dies gesetzlich nicht vorgesehen ist (BFH, Urteil vom 22.4.2020, III R 25/19, BFH/PR 2021, 20).

5. Wenn nichteheliche Lebensgemeinschaften mit gemeinsamen Kindern steuerli...

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