Leitsatz

Die nach §§ 276, 317 FamFG gerichtlich bestellten Verfahrenspfleger für Betreuungs- und Unterbringungssachen können sich auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen.

 

Normenkette

Art. 132 Abs. 1 Buchst. g EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), § 4 Nr. 16 Buchst. k, Nr. 25 Satz 3 Buchst. c, § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG, § 158, § 276, § 317 FamFG

 

Sachverhalt

Der Kläger begehrte für die Streitjahre 2014 und 2015 die Steuerfreiheit für seine Leistungen als Verfahrenspfleger für Betreuungs- und Unterbringungssachen. Das FA sah diese Leistungen als steuerpflichtig an. Einspruch und Klage zum FG hatten in Bezug auf diese Leistungen keinen Erfolg (Sächsisches FG, Urteil vom 4.4.2019, 4 K 1673/15, Haufe-Index 14783138, EFG 2021, 1773).

 

Entscheidung

Der BFH hob das Urteil des FG auf und verwies die Sache an das FG zurück. Das FG habe die Steuerfreiheit der Umsätze des Klägers als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen unter Verstoß gegen Art. 132 Abs. 1 Buchst. g EGRL 112/2006 (=MwStSystRL) verneint. Die Sache sei aber nicht spruchreif, da Feststellungen zur Höhe der streitgegenständlichen Umsätze und dazu fehlten, ob sich aus der Steuerfreiheit Einschränkung für den dem Kläger gewährten Vorsteuerabzug ergeben.

 

Hinweis

1.§ 4 Nr. 25 Satz 3 Buchst. d UStG befreit mit Wirkung ab 1.1.2021 Einrichtungen, die als Verfahrensbeistand nach den §§ 158, 174 oder 191 FamFG und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit bestellt worden sind, wenn die Preise, die diese Einrichtungen verlangen, von den zuständigen Behörden genehmigt sind oder die genehmigten Preise nicht übersteigen; bei Umsätzen, für die eine Preisgenehmigung nicht vorgesehen ist, müssen die verlangten Preise unter den Preisen liegen, die der Mehrwertsteuer unterliegende gewerbliche Unternehmen für entsprechende Umsätze fordern. Der BFH hatte hierzu bereits zuvor eine unionsrechtlich abgeleitete Steuerfreiheit bejaht (BFH, Urteil vom 17.7.2019,V R 27/17, BFH/NV 2019, 1478).

2. Bislang noch nicht entschieden war, ob die Leistungen eines Verfahrenspflegers in Betreuungs- und Unterbringungssachen auf der unionsrechtlichen Grundlage des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g EGRL 112/2006 (= MwStSystRL) als "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen" einer anerkannten Einrichtung steuerfrei sein können. Der BFH bejaht dies mit dem vorliegenden Urteil.

3. Hierfür muss es sich zum einen um eine Leistung für eine hilfsbedürftige Person handeln. Die Hilfsbedürftigkeit kann körperlich oder wirtschaftlich bestehen. Es kann sich z.B. um Kinder oder um Senioren handeln. Die Leistungen müssen dabei als "unerlässlich" anzusehen sein. Dies bejaht der BFH für die Leistungen des Verfahrenspflegers nach § 276 FamFG und § 317 FamFG.

a) Die Hilfsbedürftigkeit der Person, auf die sich die Leistung des Verfahrenspflegers bezieht, ergibt sich daraus, dass der Verfahrenspfleger in Betreuungssachen für volljährige Personen tätig ist, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen können. Im Unterbringungsverfahren ist der Verfahrenspfleger für Personen tätig, bei denen aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Gefahr besteht, dass sie sich selbst gefährden oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügen und daher eine zivil- oder öffentlich-rechtlich begründete Unterbringung erforderlich erscheint. Es handelt sich jeweils um hilfsbedürftige Personen, zu denen auch Erwachsene gehören, deren geistige Fähigkeiten infolge Krankheit, Behinderung oder Gebrechlichkeit stark beeinträchtigt sind.

b) Die Leistungen des Verfahrenspflegers sind für die der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unterfallenden Umsätze von Betreuern in rechtlicher Hinsicht unerlässlich, da die Bestellung eines Betreuers ebenso wie die Anordnung der geschlossenen Unterbringung die Mitwirkung eines Verfahrenspflegers voraussetzt. So kann dem Betroffenen nach § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG ein Verfahrenspfleger bestellt werden, wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist. In Unterbringungsverfahren gilt dies entsprechend (vgl. § 317 Abs. 1 Satz 1 FamFG). Dabei ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers insbesondere dann erforderlich, wenn von einer Anhörung des Betroffenen abgesehen werden soll (§ 317 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FamFG).

Dass als Verfahrenspfleger im Regelfall Anwälte bestellt werden, ist unerheblich. Denn der Verfahrenspfleger wird mit dem Akt der Bestellung zum Beteiligten und hat damit die Aufgabe, die Interessen des Betroffenen wahrzunehmen, ohne an dessen Weisungen gebunden zu sein. Der Verfahrenspfleger ist nach der gesetzlichen Ausformung ein "besonderer Pfleger", der für seine Aufgaben anwaltliche Qualifikationen mitbringen kann, aber nicht notwendigerweise mitbringen muss. Die Verfahrenspflegschaft ist daher keine anwaltsspe...

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