Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Steuerfreiheit von Leistungen eines Rechtsanwalts als Verfahrensbeistand bzw. Verfahrenspfleger. Kleinunternehmerregelung. Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Tätigkeiten eines Rechtsanwalts als Verfahrensbeistand nach § 158 FamFG, als Verfahrenspfleger in Betreuungssachen (§ 276 FamFG) und in Unterbringungssachen (§ 317 FamFG) sind keine eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL.

2. Die Kleinunternehmerregelung des § 19 UStG dient der Verwaltungsvereinfachung. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Kleinunternehmerregelung bestehen nicht. Insbesondere gebietet Art. 3 GG es nicht, die Umsatzsteuer über den Anwendungsbereich des § 19 UStG hinaus nicht zu erheben.

3. Es ist nicht gerechtfertigt, die Einstufung als vom EU-Mitgliedsstaat Deutschland anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter – isoliert von der im SGB VIII zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertung – allein von dem mit der Tätigkeit (hier der Veranstaltung von Ferienfreizeiten für Kinder) verbundenen Gemeinwohlinteresse abhängig zu machen.

 

Normenkette

UStG § 4 Nr. 25, § 19; EGRL 112/2006 Art. 132 Abs. 1 Buchst. g, h, i; FamFG §§ 158, 276, 317; FamGKG §§ 1, 21; SGB VIII §§ 74-75; GG Art. 3 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 25.11.2021; Aktenzeichen V R 34/19)

 

Tenor

1. Die Umsatzsteuerfestsetzungen für 2011 und 2012 auf der Grundlage der berichtigten Jahreserklärungen vom 24.09.2012 werden dahingehend geändert,

dass die Umsatzsteuer 2011 um 85,07 EUR auf 2.178,09 EUR,

und die Umsatzsteuer 2012 um 258,75 EUR auf 2.879,80 EUR

herabgesetzt wird.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob vom Kläger erzielte Umsätze als Verfahrensbeistand nach § 158 FamFG, als Verfahrenspfleger nach §§ 276, 317 FamFG sowie als Reiseveranstalter (Ferienfreizeiten) in den Streitjahren 2010 bis 2015 nach § 4 Nr. 25 UStG oder unter Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g bzw. Buchst h und i der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem – Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystemRL) – steuerfrei sind.

Im Streit steht eine Steuerbefreiung für folgende vom Kläger erzielten Umsätze:

Steuerpflichtige Umsätze

(jeweils netto), alle Beträge in EUR

2010

2011

2012

2013

2014

2015

Verfahrensbeistand Kindschafts-Sachen (§ 158 FamFG)

Umsatz lt EÜR

2.200 brutto

/1849 netto

Umsatz lt

EÜR

15.750brutto

/13.235 netto

Umsatz lt EÜR bzw. Übersicht RB-Akte 48

9.500 brutto

/7.983 netto

Umsatz lt. PB bzw. Übersicht RB-Akte 49

10.798 netto

Umsatz lt Übersicht RB-Akte 50

27.394,74 nt.

Umsatz lt EÜR

33.459,37 nt.

Verfahrenspfleger

(§§ 276, 317 FamFG)

0

0

0

0

Umsatz lt Übersicht RB-Akte 50

252,05 netto

0

Kinder- und Jugenderholung

(Marge gemäß § 25 Abs. 3 UStG)

Keine Marge erklärt

Ursprüngl JE mit neg Marge

-85,07

Berichtigte JE

Keine Marge

Ursprüngl JE mit neg Marge

-258,75

Berichtigte JE

Keine Marge

Umsatz aus Marge lt PB

1.211

USt aus Marge lt. PB 230,09

Marge netto lt USTJE

762,63

USt aus Marge 144,90

Lt UStJE

(Kz331)

USt auf Marge

129,86

Der Kläger erbrachte in den Streitjahren 2010 bis 2015 neben seiner Tätigkeit als selbständiger … Leistungen als Verfahrensbeistand in Kindschaftssachen (§ 158 FamFG), als Verfahrenspfleger in Betreuungssachen (§ 276 FamFG) sowie in Unterbringungssachen (§ 314 FamFG), als Umgangspfleger (§ 1684 Abs. 3 BGB) sowie als Organisator (Reiseveranstalter von Ferienlagern für Kinder).

Der Kläger organisierte jeweils im Sommer ein Ferienlager für Kinder. Dazu organisierte er Unterkunft, Verpflegung und Transport. Die Teilnehmergebühr bezahlten die Eltern (vgl. beispielhaft die vom Kläger vorgelegte Liste mit den Einnahmen aus Teilnehmerbeiträgen für 2013, vgl. Bp-Akte Bl. 53). Ergänzend wird auf den Internetauftritt des Klägers betreffend das Ferienlager in den Sommerferien 2014 Bezug genommen (Bp-Akte Bl. 36 ff.).

In seinen Umsatzsteuererklärungen für 2011 bis 2014 sowie in der während des Klageverfahrens eingereichten Umsatzsteuererklärung 2015 erklärte der Kläger die Differenz zwischen den Teilnehmerbeiträgen für Ferienlager und den aufgewandten Reisevorleistungen im Rahmen der Margenbesteuerung gemäß § 25 Abs. 3 UStG (hierauf entfallende Umsatzsteuer für 2011 i.H. von -85,07 EUR, für 2012 i.H. von -258,75 EUR, für 2013 i.H. von +10,33 EUR, für 2014 i.H. von +144,90 EUR, für 2015 i.H. von +129,86 EUR, vgl. jeweils Zeile 103 bzw. Kz. 331 der Umsatzsteuer-Jahreserklärungen).

Im September 2014 fand beim Kläger eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für 2013 statt, in deren Ergebnis die steuerpflichtigen Umsätze um 12.009 EUR erhöht wurden. Dabei wurden hinsichtlich der Tätigkeit als Reiseveranstalter die Umsätze um eine nach § 25 UStG zu besteuernde Marge i.H. von insgesamt 1.211 EUR sowie um bislang als steuerfrei behandelte Umsätze aus der Tätigkeit als Verfahrensbeistand i.H. von 10....

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