1 Grundlagen

1.1 Begriff und Zielsetzung der Steuerbilanzpolitik

 

Rz. 1

Zitat

Steuern beeinträchtigen […] das Ausmaß der Verwirklichung unternehmerischer Ziele in erheblichem Umfang. Gleichwohl hat man zu beachten, dass Umfang und zeitliche Verteilung von Steuerbelastungen nicht unbeeinflußbar sind.[1]

Als Unternehmenspolitik sind die möglichen sowie tatsächlichen Zielsetzungen und Entscheidungen zu verstehen, die von der Führung eines Unternehmens getroffen werden[2] und sich auf verschiedene interdependente und damit aufeinander abzustimmende Teilbereiche einer Betriebswirtschaft beziehen.[3] Einen dieser Teilbereiche verkörpert die betriebliche Steuerpolitik, unter der allgemein die zielgerichtete planmäßige Nutzung steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten verstanden wird.[4] Dazu gehört neben der Ausnutzung steuerlicher Verfahrenswahlrechte,[5] die im Regelfall längerfristigen Charakter haben und sich daher nur indirekt auf die periodische Ermittlung der Steuerbelastung beziehen, insbesondere die Steuerbilanzpolitik. Diese erstreckt sich auf laufende situative Entscheidungen[6] und verfolgt als dynamischer Prozess[7] durch Wahrnehmung gesetzlich zulässiger Wahlrechte und Sachverhaltsgestaltungen die bewusste und zweckorientierte Beeinflussung des steuerbilanziellen Ergebnisses.[8]

 

Rz. 2

Die Basis der Steuerbilanzpolitik bildet der den steuerlichen Vorschriften entsprechende Jahresabschluss, welcher aufgrund der Maßgeblichkeit handelsrechtlicher Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz EStG wiederum in einem engen Verhältnis zum Jahresabschluss nach HGB steht.[9] Während sich bei Letzterem die Informations- und Zahlungsbemessungsfunktion ohne festgelegte Hierarchie nebeneinander befinden,[10] liegt die Aufgabe der Steuerbilanz, welche übrigens erstmals im Rahmen des E-Bilanz-Projekts im Jahr 2011 eine offizielle Definition fand,[11] primär in der Ermittlung der Ausgangsbasis für die Steuerbemessungsgrundlage.[12] Dementsprechend werden im Rahmen der Steuerbilanzpolitik ausschließlich finanzpolitische Ziele verfolgt, wohingegen für den handelsrechtlichen Abschluss zusätzlich publizitätspolitische Ziele Beachtung finden.[13]

 

Rz. 3

Im Kontext der betrieblichen Steuerpolitik ist demnach die Zielfunktion "Steuerminimierung" vorherrschend.[14] Dieses Ziel kann jedoch nicht isoliert betrachtet werden, da die niedrigste Steuerbelastung dann erreicht ist, wenn insgesamt keine Gewinne erzielt werden, was einer Aufgabe der Geschäftstätigkeit gleichkäme. Da Unternehmen jedoch langfristig bestrebt sind, ihren Gewinn nach Steuern zu maximieren, können die steuerbilanzpolitischen Entscheidungen somit nicht die absolut niedrigste Steuerbelastung zur Folge haben.[15] Eine Anpassung der Zielfunktion muss daher unter der Prämisse erfolgen, dass die jeweilige Steuerbilanz zwar ein zurückliegendes Wirtschaftsjahr abbildet, eine darauf basierende steuerbilanzpolitische Entscheidung jedoch aufgrund des Bilanzzusammenhangs auch den Gewinn zukünftiger Perioden beeinflussen kann.[16] Entsprechend bieten sich in einer mehrperiodischen Betrachtung die Nettokapitalwertmaximierung und die Steuerbarwertminimierung als gewinnorientierte Ziele an,[17] mit deren Hilfe die relativ niedrigste Steuerbelastung i. S. e. Steueroptimierung erreicht werden soll.[18]

[1] Börner/Krawitz, Steuerbilanzpolitik, 1977, S. 26.
[2] Vgl. Sandig, Betriebswirtschaftspolitik, 2. Aufl. 1966, S. 6.
[3] Vgl. Börner/Krawitz, Steuerbilanzpolitik, 1977, S. 25.
[4] Vgl. Schneeloch, Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Band 2: Betriebliche Steuerpolitik, 3. Aufl. 2009, S. 3.
[5] Verfahrenswahlrechte spiegeln die Entscheidungsfreiheiten des Steuerpflichtigen hinsichtlich der Durchführung des Besteuerungsverfahrens wider, z. B. die Festlegung des Wirtschaftsjahrs oder die Wahl der Gewinnermittlungsmethode. Vgl. Börner/Krawitz, Steuerbilanzpolitik, 1977, S. 31 f.
[6] Vgl. Börner/Krawitz, Steuerbilanzpolitik, 1977, S. 34.
[7] Vgl. hierzu Küting/Kaiser, BB, Beilage 2/1994, S. 2.
[8] Vgl. Börner/Krawitz, Steuerbilanzpolitik, 1977, S. 38.
[9] Vgl. hierzu ausführlich Rz. 18 ff.
[10] Vgl. Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, 26. Aufl. 2021, S. 18 f.
[11] "Die Steuerbilanz stellt […] eine auf den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung beruhende Bilanz dar, deren Ansätze ohne weitere Zusätze und Anmerkungen den steuerlichen Vorschriften entsprechen." BMF, Schreiben v. 28.9.2011, IV C 6 – S 2133-b/11/10009, BStBl 2011 I S. 858, Anlage zu Rz. 11. Vgl. Rz. 21 zur E-Bilanz.
[12] Vgl. Bieg/Kußmaul/Waschbusch, Externes Rechnungswesen, 6. Aufl. 2012, S. 68.
[13] Vgl. Kußmaul, Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 8. Aufl. 2020, S. 145 ff.
[14] Vgl. Rückle, Normative Theorie der Steuerbilanzpolitik, 1983, S. 254.
[15] Vgl. Wöhe, Bilanzierung und Bilanzpolitik, 9. Aufl. 1997, S. 685.
[16] Vgl. Börner/Krawitz, Steuerbilanzpolitik, 1977, S. 38.
[17] Zur weiteren Erläuterung dieser Modelle, vgl. Rz. 16.
[18] Vgl. Rückle, Normative Theorie der Steuerbilanzpolitik, 1983, S. 259.

1.2 Instrumente der Steuerbilanzpolitik

 

Rz. 4

Das ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Finance Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge