Rz. 18

Vor dem Inkrafttreten des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG)[1] war eine eigenständige Steuerbilanz im deutschen Steuerrecht nahezu unbekannt. Gem. § 60 EStDV a. F. war es lediglich erforderlich, eine unter Beachtung der steuerlichen Vorschriften korrigierte Handelsbilanz beim Finanzamt einzureichen. Dabei waren der Grundsatz der Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen GoB für die steuerliche Gewinnermittlung gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG a. F. sowie die umgekehrte Maßgeblichkeit i. S. v. § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG a. F. zu beachten. Dies hatte zur Folge, dass nicht nur die handelsrechtlichen GoB Auswirkungen auf die Steuerbilanz hatten, sondern auch (rein) steuerliche Wahlrechte nur in Übereinstimmung mit der handelsrechtlichen Bilanzierung ausgeübt werden konnten.[2] Als Ergebnis resultierte die Idee einer auf der sog. Teilhaberthese[3] beruhenden sowie von den sog. Saarbrücker Thesen[4] gestützten Einheitsbilanz, d. h. einer Bilanz, die handelsrechtlichen und steuerlichen Anforderungen gleichermaßen Rechnung trägt, und die vornehmlich von (unkonzernierten) mittleren und kleinen Kapitalgesellschaften sowie von Personenunternehmen präferiert wird.[5]

 

Rz. 19

Das Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 3 Abs. 1 GG) befolgend, kam dem Beschluss des Großen Senats des BFH v. 3.2.1969 eine entscheidende Bedeutung zu, nach dem es "[…] dem Sinn und Zweck der steuerrechtlichen Gewinnermittlung entspricht, den vollen Gewinn zu erfassen […] und es nicht im Belieben des Kaufmanns stehen [kann, d. Verf.], sich durch Nichtaktivierung von Wirtschaftsgütern, die handelsrechtlich aktiviert werden dürfen, oder durch den Ansatz eines Passivpostens, der handelsrechtlich nicht geboten ist, ärmer zu machen, als er ist."[6] Somit führten im Rahmen dieser formellen Maßgeblichkeit neben der Übernahme handelsrechtlicher Bilanzierungsgebote und -verbote in die Steuerbilanz handelsrechtliche Aktivierungswahlrechte (Passivierungswahlrechte) zu entsprechenden steuerlichen Aktivierungsgeboten (Passivierungsverboten). Der Handlungsspielraum des Steuerpflichtigen wurde zugunsten eines höheren steuerlichen Gewinns eingeschränkt. Für Zwecke der Einheitsbilanz waren dementsprechend handelsrechtliche Aktivierungswahlrechte (mit Ausnahme damaliger Bilanzierungshilfen) in der Handelsbilanz auszuüben und Passivierungswahlrechte zu unterlassen.

 

Rz. 20

Nach Inkrafttreten des BilMoG verlor obiger BFH-Beschluss an Bedeutung, da bislang bestandene handelsrechtliche Aktivierungs- und Passivierungswahlrechte (größtenteils) aufgegeben wurden. Zudem entstanden im Zeitablauf – vielfach aufgrund fiskalisch motivierter "Grundsätze ordnungsmäßiger steuerlicher Bilanzierung"[7] – zahlreiche unüberbrückbare Unterschiede zwischen Handelsbilanz und steuerlicher Gewinnermittlung, die eine Einheitsbilanz erschweren bzw. unmöglich machen.[8] Simultan erfolgte durch das BilMoG die Abschaffung der umgekehrten Maßgeblichkeit, deren ursprüngliche Intention in einem gleichermaßen bestehenden Steuerverzicht des Staates als stillem Teilhaber sowie einem Ausschüttungsverzicht der Gesellschafter bestand,[9] verbunden mit der Abkehr von der Maßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB bei der Ausübung steuerlicher Wahlrechte (§ 5 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz EStG). Die unter anderem hieraus resultierende Erhöhung des Informationsniveaus der Handelsbilanz wird jedoch im Fall einer Inanspruchnahme GoB-inkonformer steuerlicher Wahlrechtedurch die unmögliche Aufstellbarkeit einer Einheitsbilanz erkauft. Demgegenüber eröffnen GoB-konforme steuerliche Wahlrechte simultan steuerbilanzpolitische Freiheitsgrade und können (nicht müssen!) auch in der Handelsbilanz nachvollzogen werden, um dem Ziel einer Einheitsbilanz näher zu gelangen. Insofern besteht die Möglichkeit (nicht Pflicht!) zur Entkopplung beider Rechenwerke. Das BMF-Schreiben v. 12.3.2010[10] verweist zwar auf das enge Verhältnis von Handels- und Steuerbilanz, bestätigt jedoch zugleich eine (mögliche) eigenständige Steuerbilanzpolitik. Herzig tituliert die hierdurch aufgewertete besondere Rechnungslegung für steuerliche Zwecke als tax accounting.[11] Es ist zu erwarten, dass Unternehmen vielfach eine duale Bilanzpolitik in Anspruch nehmen werden, um den jeweiligen Zwecken der Rechenwerke differenziert Rechnung zu tragen.[12]

 

Rz. 21

Auch der durch das Steuerbürokratieabbaugesetz[13] eingeführte § 5b EStG zur elektronischen Übermittlung von Bilanzen sowie Gewinn- und Verlustrechnungen (GuV) – Projekt "E-Bilanz" – indiziert die Entwicklung in Richtung einer eigenständigen Steuerbilanz.[14] Nach wie vor besteht zwar die (Alternativ-)Möglichkeit, eine Handelsbilanz, eine handelsrechtliche Gewinn- und Verlustrechnung sowie eine Überleitungsrechnung "nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz" einzureichen,[15] womit die Befolgung der Vorgaben der Taxonomie, welches als Datenschema für Jahresabschlussdaten definiert ist, gemeint wird.[16] Allerdings ist der vom hierzu ermächtigten BMF festgelegte Mindestumfang i. S. v. § 51 Abs. 4 N...

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